DIE LEICHE MUSS WEG. Irene Dorfner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Irene Dorfner
Издательство: Bookwire
Серия: Leo Schwartz
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742705983
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hatte nicht mitbekommen, dass er belauscht wurde. Severin stand während des Gesprächs in der Nähe und hatte Wortfetzen aufgeschnappt. War das möglich? Hatte er Wolf richtig verstanden? Er winkte ab und pisste gegen die Hauswand. Welchen Grund sollte Wolf haben, die Kameraden zu verraten? Nein, das konnte nicht sein. Er hatte sich sicher verhört, woran das Bier, von dem er viel zu viel trank, sicher schuld war. Severin ging zurück zu den Kameraden, die zu seiner Familie geworden waren. Hier fühlte er sich wohl, er wollte nirgendwo anders sein.

      4.

      Silvester 31.12., 8.30 Uhr

      Diana Nußbaumer war voller Vorfreude. Morgen war es so weit und sie trat ihre neue Stelle in Mühldorf an. Die Stadt selbst war ihr nicht unbekannt. Sie wurde in Burghausen geboren, wuchs dort auf und lebte immer noch dort. In der Schule wurden diverse Ausflüge nach Mühldorf unternommen. Außerdem führte die Bahn direkt über diesen Ort, wo sie manche Stunde wartend auf den nächsten Zug verbrachte. Das alljährliche Stadtfest war neben vielen anderen Veranstaltungen ein Besuchermagnet, das auch sie, ihre Familie und Freunde immer wieder nach Mühldorf führte. Als sie die Zusage für die vom Innenministerium ausgeschriebene Stelle bei der Kriminalpolizei Mühldorf bekam, war sie hin und weg. Niemals hätte sie daran geglaubt, in der Nähe ihres Wohnortes einen geeigneten Job finden zu können. Innerlich hatte sie sich bereits darauf eingestellt, weit weg ziehen zu müssen. Dadurch hätte sie ihre Familie zurücklassen müssen, was ihr als eingefleischtem Familienmenschen nicht gefallen hätte. Sie lebte mit ihren achtundzwanzig Jahren immer noch in ihrem Elternhaus, was ihr im Freundeskreis Hohn und Spott einbrachte. Aber das war ihr gleichgültig. Sie liebte das warmherzige Heim, ihre Eltern und ihren Bruder, der seit zwei Jahren mit seiner Frau das ausgebaute Dachgeschoss bewohnte. Im Haus gleich nebenan lebten ihre Großeltern, die sie über alles liebte. Vor allem ihr Opa Alois hatte es ihr angetan. Weil er Polizist gewesen war, hatte sie diese Laufbahn eingeschlagen. Sie wollte so sein wie er, ihn wollte sie stolz machen, was ihr auch gelang. Es kam nicht selten vor, dass der Opa unter der Woche am Fenster wartete und sie abpasste, wenn sie nach Hause kam. Erst musste sie ausführlich von ihrem Tag erzählen. Dann kramte Opa in seinen Erinnerungen und erzählte dazu passende Geschichten. Wie er das machte, war ihr ein Rätsel. Diana liebte diese Gespräche. Dabei tranken sie Pfefferminztee und aßen Kekse, die Oma extra für diese Gespräche gebacken hatte. Wenn sie dann nach Hause ging, wartete dort die Familie und alle berichteten über die Erlebnisse des Tages. Die Wochenenden wurden gemeinsam verbracht. Man kochte und aß gemeinsam, für alle war das selbstverständlich. Nein, dieses Zuhause, um das sie viele insgeheim sicher beneideten, würde sie nur sehr ungern aufgeben. Für sie war es schön, heimzukommen und zu wissen, dass sie nicht allein war. Hier wartete man auf sie und interessierte sich für jede Kleinigkeit.

      Da Mühldorf über die neue Autobahn keine halbe Stunde entfernt war, war allen klar, dass sich an der Wohnsituation nichts ändern würde. Und damit das auch so blieb, bekam sie von ihren Großeltern zu Weihnachten einen neuen Wagen geschenkt. Wäre sie nicht völlig verrückt, wenn sie diese Familie verlassen würde?

      Diana wusste natürlich, dass am Mühldorfer Stadtplatz eine riesige Silvesterparty geplant war. Deshalb hatte sie Karten gekauft und wollte dort mit ihrem Bruder und dessen Frau ins neue Jahr feiern. Gäbe es einen geeigneteren Ort? Ganz sicher nicht!

      5.

      Silvester 12.00 Uhr

      Die Kameraden der Blauen Armee trudelten am vereinbarten Treffpunkt in München nur sehr zögerlich ein. Carly Eckmann ärgerte sich über die Unpünktlichkeit seiner Leute, die sich nicht einmal dafür schämten, dass andere auf sie warten mussten. Aber er war erfreut darüber, wie die Kameraden aussahen, denn alle hielte sich an seine Vorgaben und sahen sehr adrett aus. Die Gespräche während der Fahrt hielten sich in Grenzen. Viele hatten einen dicken Kopf, andere schliefen. Charly ließ während eines Staus seinen Blick über die insgesamt vierunddreißig Insassen des Busses, den er selbst fuhr, schweifen. Er war enttäuscht, dass auch Severin schlief. Von Helen wusste er, dass ihr Sohn heute Nacht nicht nach Hause gekommen war. Er hatte sie beruhigen und ablenken müssen, denn sie machte sich immer große Sorgen um ihren Jungen, den sie abgöttisch liebte.

      Es gab vier Kameraden, die hellwach schienen, darunter auch Wolf Perlinger, der erst seit wenigen Monaten Teil der Gruppe war. Charly war sofort begeistert gewesen, als er den Mann ganz zufällig kennenlernte und er ihn unbedingt als neues Mitglied gewinnen wollte, als er sich über dessen Lebenslauf informiert hatte. Für das, was geplant war, konnte er einen Mann mit seinen Fähigkeiten gut brauchen.

      Charly trommelte ungeduldig auf das Lenkrad. Sie waren spät dran und konnten sich diesen Stau nicht leisten. Hoffentlich löste sich der demnächst auf, denn sonst konnten sie sich die Aktion in Mühldorf in die Haare schmieren. Charly wusste immer noch nicht, wer von seinen Leuten der Spitzel war. Wollte er das überhaupt wissen? Wäre er nicht sehr enttäuscht darüber, wenn er die Wahrheit wüsste? Doch, er musste es wissen, denn der Gedanke daran ließ ihn nicht mehr in Ruhe. Aber wer war es?

      Endlich ging es weiter. Ein Lkw war liegegeblieben, er hatte den Stau verursacht. Als Charly an der Stelle vorbeifuhr, zeigten er und die wachen Kameraden den Polizisten den Mittelfinger. Alle lachten über den Spaß.

      Kurz vor Mühldorf kam Leben in den Bus. Alle sahen nach draußen, schließlich wusste niemand, wo das Kaff genau war und wie es hier aussah. Die Enttäuschung war groß, dass es sich tatsächlich um einen kleinen Ort handelte. Ob das wirklich klug war? Daran war jetzt nichts mehr zu ändern. Sie waren jetzt hier und mussten ihr Ding wie geplant durchziehen.

      Für den Bus fand Charly mitten in einer Wohnsiedlung einen geeigneten Parkplatz. Hier schwor er die Kameraden nochmals auf das bevorstehende Ereignis ein, auch wenn nicht mehr viel Zeit blieb. Jetzt waren alle hellwach und wussten, was zu tun war. Charly war begeistert!

      15.00 Uhr

      Die Bühne war dekoriert, alle Buden waren längst aufgebaut und eingeräumt, die Silvesterparty auf dem Mühldorfer Stadtplatz konnte pünktlich in einer Stunde losgehen. Die Polizisten waren auf ihren Posten. Alles war perfekt, nur das Wetter spielte nicht ganz mit. Schon den ganzen Tag über pfiff ein schneidend kalter Wind, der sehr unangenehm war. Darüber hinaus war Eisregen angesagt, der den Einsatz nicht gerade erleichtern würde.

      Leo Schwartz war wieder viel zu leicht angezogen. Er trug zwar einen dicken Pulli unter der Lederjacke, den ihm seine Ersatzmutter und Vermieterin Tante Gerda zu Weihnachten geschenkt hatte, aber der reichte gegen die Kälte nicht aus. Während alle anderen mit langen Unterhosen, dicken Stiefeln, Mütze, Schal und Handschuhen ausgestattet waren, hatte Leo wie immer nur Jeans und Cowboystiefel an. Mütze, Schal und Handschuhe besaß er nicht. Und wenn doch, dann hatte er keine Ahnung, wo er danach suchen sollte.

      „So willst du die Nacht überstehen?“, sagte Hans, der warm eingepackt war und den Leo kaum wiedererkannte. Die Mütze war tief ins Gesicht gezogen. Die dicken Stiefel und die gefütterte Hose hatte Leo noch nie bei ihm gesehen.

      „Ist das eine Skihose?“

      „Klar! Wenn der Mist hier vorbei ist, möchte ich mit meiner Anita zu einem romantischen Wochenende nach Kärnten fahren. Denkst du, ich möchte eine Erkältung riskieren? Zieh dich um, du wirst sonst krank.“

      „Ich werde nie krank. Schwaben sind von Natur aus sehr robuste Typen“, maulte Leo zurück.

      An beiden Stadttoren warteten schon unzählige Gäste, die es kaum erwarten konnten, endlich ins neue Jahr feiern zu dürfen. Punkt sechzehn Uhr begann der Einlass. Die Mengen, unter denen sich auch Diana Nußbaumer, ihr Bruder und dessen Frau Eva befanden, stürmten den Stadtplatz und bevölkerten sofort die Buden, an denen Alkohol ausgeschenkt wurde. Durchsuchungen konnten aufgrund des Andrangs nur stichpunktartig ausgeführt werden. Noch klang laute Musik aus den Lautsprechern. Eine dreiviertel Stunde später betrat die Band die Bühne, die lautstark begrüßt wurde. Leo kannte die Band nicht. Er konzentrierte sich darauf, die Leute um sich herum zu beobachten. Längst wusste er, dass er auf Hans hätte hören sollen, denn er fror entsetzlich. Ob er die Silvesternacht