Doch nun brannte in ihm das Verlangen, der Sache auf den Grund zu gehen, noch mehr. Den Gedanken, den Dom zu verlassen, um Juw und Sim nicht mehr über den Weg zu laufen, verwarf er nun endgültig. Es gab zwei Gründe, außer seiner Neugier, warum er hinter das Geheimnis des Mönchs gelangen wollte. Erstens hoffte er, dass er dadurch seinen alten Freund, Juw, wieder zurückgewinnen konnte und der zweite Grund stammte aus seiner Kindheit. Damals hatte ihm ein Mann, den er sehr verehrte, vorhergesagt: „Seo, ich kann in deinen Augen erkennen, dass du eines Tages etwas Großes leisten wirst und somit der Welt zu etwas Gutem verhelfen kannst. Du musst nur an dich glauben und immer deinem Gefühl vertrauen, dann wirst du es schaffen!“
Eigentlich hatte er dies damals, als er noch jung war, nicht wirklich ernst genommen und war sich nicht einmal bewusst, dass er es all die Jahre in seinem Inneren gespeichert hatte. Doch lange Zeit später, als er zum Pfarrer auserkoren wurde und wenig kurz darauf den Umschlag in dem Beichtsuhl fand, erinnerte er sich wieder an dieses Gespräch. Sofort verband er die Worte des Mannes mit dem Umschlag, und seit diesem Augenblick glaubte er tatsächlich daran, dass er die Welt verändern könnte. Nur deshalb war er hier im Dom auf der Suche nach diesem Geheimnis. Darum musste er weitersuchen und alles tun, bis er es endlich gefunden hat, um damit sein Ziel zu erreichen.
Da nun sein Mut und sein Wille zurück waren, sprang er mit frisch geschöpften Kräften aus dem Bett. Nachdem er sich erfrischt hatte, ließen auch seine Kopfschmerzen etwas nach. Kurz darauf schlenderte er in die Küche. Dort traf er allerdings niemanden an.
Da seine Neugier seinen Hunger vertrieb, begab er sich hastig auf dem Weg zum Dom. Ihm war am Abend zuvor etwas eingefallen, das er nun überprüfen wollte. Doch da er niemanden wahrnahm, wunderte er sich, wo alle steckten. Andererseits war er froh, dass ihn niemand aufhielt, denn er war sehr gespannt, ob sein Verdacht richtig war. Zudem konnte er so sichergehen, dass er nicht beobachtet wurde. Mit schnellen Schritten betrat er den Dom und eilte auf ein anderes Gemälde zu. Seine Hände zitterten leicht, als er einen Finger über das Bild streichen ließ, um das Gemälde gezielt untersuchen zu können.
Mit einem enttäuschten Seufzer stellte er fest, dass er sich geirrt hat. Er hatte die Vermutung gehabt, dass sich auch auf den anderen Gemälden ein Mönch verbergen könnte und alle zusammen einen Sinn ergeben würden, aber dies war nicht so. Um sicher zu gehen, wollte er auch die anderen Bilder in Augenschein nehmen und wunderte sich abermals über sich selbst, warum ihm dieser Geistesblitz nicht schon eher gekommen war.
Plötzlich verharrte er mit seinem Finger auf einer Stelle des Gemäldes. Mit neuem Eifer stellte er fest, dass seine Hartnäckigkeit und seine genaue Nachforschung mit Erfolg gekrönt wurde. Seine Augen weiteten sich, sein Atem wurde schneller und sein Herz begann zu rasen. Schweiß trat auf seine Stirn, als er erfreut schmunzelte. „Da ist er ja!“, hauchte der Pfarrer und starrte aufgeregt auf den Mönch, der sich vor seinen Augen befand.
Mit einem Kribbeln im Bauch stellte er fest, dass auch dieser eine sehr eigenartige Körperhaltung einnahm. Es sah so aus, als würde er tanzen. Nun konnte er nicht mehr ruhig stehen bleiben. Vor lauter Freude hasteten seine Füße wie von selbst zum nächsten Bild und er ließ seinen Finger über das Gemälde gleiten. Enttäuscht, nicht fündig geworden zu sein, huschte er weiter und untersuchte das nächste Bild.
Am liebsten wäre er in einen Freudentanz verfallen und hätte laut gejubelt, er konnte sich allerdings im letzten Moment zurückhalten. Denn hätte ihn dabei jemand beobachtet, wäre er endgültig für verrückt erklärt worden.
Als er sich wieder etwas unter Kontrolle hatte, nahm er diesen Mönch ebenfalls genau in Augenschein. Auch dieser war wiederum im Hintergrund des Bildes versteckt und seine Körperhaltung war seltsam, genau wie die der anderen beiden. Nun hielt ihn nichts mehr zurück und er suchte alle weiteren Bilder der Kreuzigung ab. Insgesamt fand er vier Mönche.
Der Pfarrer war froh einen Schritt weitergekommen zu sein, doch er fürchtete sich auch ein wenig. Er hatte zwar etwas Neues entdeckt, aber er wusste noch immer nicht, was die Mönche auf den Bildern bedeuten sollten. Seo war mit seinen Ermittlungen also noch nicht sehr viel weitergekommen.
Der Geistliche wollte sich jedoch die Freude nicht verderben lassen, da gerade seine Hoffnungen neu aufgekeimt waren und er diese Entwicklung nicht unterbrechen wollte. Deshalb zerbrach er sich auch nicht den Kopf darüber, wie er weiter vorgehen sollte. Seo holte seine Notizen hervor, zückte eine Feder und Tinte und versuchte die vier Mönche abzumalen. Sein malerisches Talent war jedoch nicht sehr ausgeprägt und deshalb malte er nur Strichmännchen. Als er den letzten Mönch abgezeichnet hatte, setzte er sich auf eine der Bänke und starrte auf sein Kunstwerk.
‚Was für ein Geheimnis steckt hinter diesen Mönchen?‘, überlegte er fieberhaft. Doch es fiel ihm nichts Brauchbares ein.
„Ich muss etwas übersehen haben! Aber was, und wo? Wo kann ich noch nach Spuren suchen? Vielleicht muss ich noch mehr über den Bischof in Erfahrung bringen. Aber wie? In der Chronik gibt es nicht mehr Informationen über ihn, als diejenigen, die ich bereits überprüft habe." hauchte er bedacht vor sich hin und überlegte: ‚Aber wo kann ich mehr über ihn in Erfahrung bringen?‘
Da er nicht mehr weiter wusste und das Hochgefühl abflaute, meldete sich sein Hunger zurück. Ohne Plan war es sinnlos weiterzudenken und deshalb begab er sich in die Küche. Dort traf er auf Kea und Loa. Er musste auf die anderen sehr erschöpft und müde wirken. Aber niemand sprach ihn darauf an, worüber er sehr froh war. Was hätte er darauf antworten sollen? Auch seine Beule vom Sturz konnte er geschickt verbergen.
Kea tischte vorzügliche Speisen auf und alle ließen es sich schmecken. Dabei erkundigte er sich: „Wo wart ihr vorhin? Ich habe euch überall gesucht!“
„Ich war nur kurz im Garten und habe Kräuter zum Würzen für die Suppe geholt. Loa hat mir geholfen.“, antwortete die Haushälterin und erkundigte sich: „Aber sag, hast du Lik irgendwo bemerkt? Ich habe ihn den ganzen Tag noch nicht wahrgenommen.“
Noch bevor er seinen Mund öffnen konnte, um die Frage zu verneinen, fiel ihm Loa ins Wort: „Der ist schon wieder fleißig. Bereitet alles für die abendliche Messe vor. Sieht jetzt schon wieder nervös aus, der arme Junge.“
Bei diesen Worten, tauchte vor Seos geistigen Augen für einen kurzen Moment ein Bild auf, doch es verschwand gleich wieder. Er hatte das Gefühl, als ob ihm das Bild in seinem Kopf weiterhelfen könnte, doch was war es?
Der Pfarrer starrte konzentriert auf einen Punkt und überlegte energisch, welches Wort bei ihm etwas ausgelöst hatte. Da er es jedoch nicht mehr wusste, hakte er nach: „Was hast du gemeint? Es tut mir leid, ich habe dir nicht richtig zugehört!“
Loa blickte genervt zu ihm und wiederholte: „Ich sagte, dass Lik schon wieder fleißig ist und. . . „.
Doch Seo hörte ihm schon wieder nicht zu. Als er das Wort „fleißig“ aufschnappte, war das Bild wieder da. Loa hatte ihm vor einiger Zeit berichtet, dass der Bischof schon wieder fleißig sei und ein Buch schreibe, und dabei hatte er auch etwas von einer Liste erwähnt. Da er sich jedoch nicht mehr genau erinnern konnte, was er damit gemeint hatte, erkundigte er sich rasch: „Du hast mir doch einmal erzählt, dass es eine Liste gibt, in der die selbstverfassten Bücher des Bischofs erfasst sind. Wie war das nochmal?“
„Im Zuhören bist du wohl ein Ass, wie!?!“, scherzte Loa und erklärte: „In der Bibliothek gibt es eine Liste, in der jeder Bischof vermerkt wird, der selbst ein Buch verfasst hat. Diese Schriftrollen und Bücher werden nach dem Tod des jeweiligen Bischofs in der Bibliothek verwahrt. So ist das! Und wie du vielleicht bereits bemerkt hast, waren unsere geschätzten Bischöfe sehr zielstrebig, denn wir besitzen eine riesige Sammlung.“
Das Kribbeln in Seos Bauch begann von neuem. Er hatte eine Fährte aufgenommen! Deshalb bohrte er weiter: