Die Rache der Zarentochter. Tatana Fedorovna. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tatana Fedorovna
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742746184
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verzeiht uns!“

      Die beiden wurden von unserer Eskorte ihrer Pistolen beraubt. Meine Mutter öffnete den Eingang. Wir traten endlich ein. Alle anderen blieben draußen. Mama schloss sorgsam die Tür hinter uns zu. Was wollten wir hier?

      In dem Raum standen vor allem religiöse Utensilien, Ikonen, Leuchter und verstaubte Geschenke von fremden Herrschern aus längst vergangenen Zeiten. Meine Mutter sah sich um und ging zielstrebig zu einem der Schränke. Sie öffnete diesen, warf die darin enthaltenen Gegenstände achtlos auf den Boden und zog ein geheimes Fach heraus.

      „Nur noch zwei! Wo sind die anderen?“ Ihre Stirn kräuselte sich nachdenklich und erschrocken zugleich.

      „Mama, was ist das?“, fragte ich erschauernd.

      Meine Mutter sah mich an.

      „Olga, wir werden bald alle ermordet. Es ist nur eine Frage der Zeit. Rasputin hat sich niemals geirrt. Rasputins Prophezeiung wird eintreten. Sie kommt von Gott. Grigorij hat sich nie geirrt. Sei bereit!“

      Tränen kullerten aus ihren Augen. Die Angst vor dem Tod stand in ihrem Gesicht und war zum Greifen.

      „Wenn ich dir dieses Mittel gebe, ist alles verloren und es gibt keinen Ausweg mehr. Beiß mit aller Kraft auf diese Kapsel. Sie ist so dünn konstruiert, dass sie dem Biss nicht standhält.“

      Ich verstand gar nichts.

      „Mama, du machst mir fürchterliche Angst. Das ist doch alles nur ein böser Traum. Was ist das? Etwa tödliches Gift?“

      „Nein, genau das Gegenteil davon. Es ist deine einzige Hoffnung auf ein Weiterleben.“

      Sie winkte mich ganz dicht heran. Niemand sollte uns hören können. Ihr Mund flüsterte nun in mein Ohr: „Ich sah mit eigenen Augen, dass ein zum Tode Verurteilter, nachdem er erhängt wurde, durch diese Medizin am nächsten Tag erwachte. Man hatte sie ihm zuvor verabreicht. Der Henker musste ihm darauf den Kopf abtrennen und ihn verbrennen, um das Urteil zu vollstrecken.“

      „Was ist das für ein Mittel? Was sind das für unglaubliche Geschichten?“ Mir standen die Haare auf den Armen zu Berge. Das lag nicht an der Kälte im Raum.

      „Sie sind wahr, Olga. Es gibt eben mehr zwischen Himmel und Erde, als wir sehen. Du hast es bei Rasputin und der Heilung des Zarewitsch selbst beobachten können.“

      Sie beugte ihren Mund erneut zu meinem Ohr herab und flüsterte so leise, als könnte uns jemand belauschen.

      „Es ist ein uraltes Heilmittel und zugleich Staatsgeheimnis. Es macht dich sofort ohnmächtig und lässt dein Herz so langsam schlagen, dass jedermann dich für tot hält. Selbst wenn man dich schwer verletzt, verblutest du nicht. Es war einst ein Geschenk des chinesischen Kaisers an Katharina die Große. Ich habe zuerst die Geschichte auch nicht so richtig geglaubt und deswegen eine der Phiolen an einem zum Tode Verurteilten ausprobiert. Wer rechnet schon in glücklichen Tagen damit, ermordet zu werden? Nachdem wir die Wirkung selbst gesehen hatten, versteckten wir die verbliebenen vier Kapseln hier unter den uralten Sachen. Nur dein Vater und ich wussten eigentlich davon. Doch es fehlen zwei. Sie wurden scheinbar gestohlen.“

      „Mama, was erzählst du für Schauergeschichten und verlangst du von mir?“, fuhr es aus mir ungestüm heraus. Das Entsetzen ließ mich fast ohnmächtig werden. Die Wände schwankten. Meine Stirn glühte plötzlich wie im Fieber.

      Sie fuhr unbeirrt fort: „Wenn ich dir also eine Kapsel gebe, dann ist alles verloren und wir werden mit Sicherheit sterben. Zögere in diesem Moment nicht. Vertrau mir! Ich will, dass du lebst. Nimm Rache, dein Vater ist zu schwach dazu! Du bist stark und klug.“

      Mama war wohl verrückt geworden. Ich zitterte unwillkürlich und meine Zähne klapperten aneinander.

      „Und was ist mit den anderen von uns. Es sind doch nur zwei Kapseln? Was wird Gott dazu sagen?“

      „Der?“ Mama lachte blasphemisch. „Er wird es schon verstehen! Denn er hat uns dieses Leid angetan.“

      Diese neuartige Auslegung unseres Glaubens aus dem Mund meiner Mutter war zutiefst ungewöhnlich. Sie legte ihren Finger auf den Mund – als Zeichen, dass ich schweigen sollte. Die zwei kleinen Kapseln mit der ungewöhnlichen Tinktur steckte Mama in eine eigens mitgebrachte kleine Dose und verbarg diese in ihrer Tasche. Dann öffnete die Zarin von Russland die Tür. Ich bemühte mich, ruhig und unbefangen zu erscheinen.

      „Sofern ihr irgendjemanden erzählt, dass ich hier war, sterbt ihr!“, ermahnte sie die vollkommen verängstigten Wachposten. Beide hatten offenbar noch immer mit ihrem Tod gerechnet und nickten glücklich mir aufgerissenen Augen aus einfältigen Gesichtern.

      Wir gingen von den Kosaken eskortiert zurück.

      Das Geheimnis der Fabergé-Eier

      Was sollte ich an einem so trüben Wintertag schon gegen einen Besuch bei dem berühmten Fabergé einwenden? Ich freute mich natürlich über diese Abwechslung. Welches junge Mädchen liebte nicht den Anblick von Juwelen und Gold? Bei Fabergé gab es doch immer etwas zu bestaunen. Peter Carl Fabergé war fast schon ein Mitglied unserer Familie. Der ergraute Juwelier war wie ein Großvater für mich einfach schon immer da gewesen. Unzählige Schmuckstücke hatte er zusammen mit seinen vielen Mitarbeitern in den letzten Jahrzehnten in der Eremitage restauriert. Dieses Palais der Kunst war so etwas wie der Louvre Russlands. Dort gab es allein wegen der Unmenge von Ausstellungsstücken immer etwas für ihn zu tun. Seine Berühmtheit hatte der Goldschmied bereits vor meiner Geburt 1882 bei der Allrussischen Ausstellung durch zahlreiche extravagante und einmalig fantasievolle Schmuckstücke erlangt. Seit dem war allein der Name Fabergé eine renommierte und begehrte Marke. Sein persönliches Auftragsbuch war so voll, dass er auf Jahre ausgebucht war. Internationale Auftraggeber standen Schlange. Die Zeit seines Lebens war zu kurz um alle Aufträge auszuführen. Sein Geschick war weltweit unvergleichlich. Jeder Monarch in dieser Welt wollte inzwischen unbedingt eines seiner verspielten Meisterwerke ergattern. Daran hatte auch der Krieg nichts geändert. Unsere Familie bevorzugte er natürlich. Denn Peter Carl Fabergé war inzwischen zum Hofjuwelier aufgestiegen und durfte diesen Namen auch als Titel in seiner Firmenanschrift verwenden. Insofern war es auch nicht verwunderlich, dass Mama mich zum Abholen von zwei kürzlich bestellten Werken in seinem Geschäft einlud.

      Wir fuhren mit einem amerikanischen Automobil zu unserem Ziel. Es war ein Geschenk des dortigen Präsidenten und recht bequem. Die USA sympathisierten seit längerem im Krieg mit uns und schienen sich gegen das Deutsche Reich und Österreich zu stellen. Vater erhoffte ihren direkten Eintritt an unserer Seite. Es gab dazu bereits geheime Verhandlungen. Selbst bei der recht kurzen Fahrt stellte ich fest, dass sich die Stimmung in der Stadt noch mehr zum Schlechten gewandelt hatte. Das quicklebendige Petrograd wirkte inzwischen bedrückend und bedrohlich auf mich. Nur einige wenige Getreue trauten sich noch, ihre Verbundenheit mit dem Zarenhaus öffentlich auf der Straße zu zeigen. Winkten die Menschen vor einigen Monaten noch begeistert unserem mit den russischen Reichswimpeln geschmückten Auto zu, so ernteten wir heute fast nur noch böse Blicke. Die Zarenfamilie war in Ungnade gefallen. Der Mord an Rasputin schien die Ereignisse nur zu beschleunigen. Seine Mörder waren davongekommen. Papa hatte sich gegenüber den Tätern aus seiner eigenen Familie als zahnlos erwiesen. Mama verzieh ihm das nicht. Zwischen beiden herrschte deswegen so etwas wie eine kleine Eiszeit. Trotzdem verließ Mama ihren Gemahl in dieser schweren Zeit natürlich nicht. Sie war gläubig, glaubte an die Bedeutung der ehelichen Gelübde und war die russische Zarin, auch wenn sie vor uns immer stärker ihre deutschen Wurzeln betonte. Sicher wollte sie uns Kindern damit ein wenig Hoffnung spenden und andeuten, dass es auch eine Zukunft für uns außerhalb Russlands gab. Aber das machte uns nur um so mehr Furcht.

      Unter den Gaffern sah ich einen Mann auf Krücken durch die Straße humpeln. Wahrscheinlich hatte er ein Bein im Krieg verloren. Er sah mürrisch und finster zu unserem wimpelgeschmückten Wagen und spuckte beim Vorbeifahren in Richtung unseres Autos. Ein lauter Schlag ertönte vom Blech unseres Wagens. Jemand anders hatte tatsächlich mit einem Stein auf die schwarze Karosse geworfen. Wir zuckten zusammen. Der uns begleitende Sicherheitsdienst