„Was ist denn passiert? Warum braucht Seine Singulari... ich meine, Seine Gleichheit meine Hilfe?“
„Das wirst du von ihm selbst erfahren.“
„Aber ... wie komme ich dann wieder zurück in die Oberwelt?“
„Das weiß ich nicht. Seine Gleichheit hat mich nur beauftragt, dich zu holen.“
Primo schüttelt den Kopf. „So geht das nicht. Ich helfe euch ja gerne, aber ich bin der Beschützer des Dorfes. Ich kann nicht einfach so verschwinden. Außerdem habe ich meine Waffe neben der Schlucht, äh, vergessen, und es gibt gleich Mittagessen. Wie wär’s, wenn du morgen wiederkommst? Dann könnte ich noch ein paar Dinge vorbereiten und meiner Frau Bescheid sagen und meinen besten Freund Kolle fragen, ob er mitkommen will, und ...“
„Du verstehst mich falsch, Sterblicher. Ich habe dich nicht gefragt, ob du mitkommen willst. Ich bin hier, um dich zu holen.“
„Wie meinst du das?“
„Ich habe den Auftrag, dich zu Seiner Gleichheit zu bringen, und das werde ich tun, ob du es willst oder nicht. Halt still!“
Der Enderman streckt seine langen Arme nach Primo aus, der unwillkürlich einen Schritt zurück macht.
„He, Moment mal!“, ruft er. „Du kannst mich doch nicht einfach zwingen, mitzukommen!“
„Du zögerst nur das Unausweichliche hinaus, Sterblicher“, krächzt der Enderman in seinem Kopf. Erneut streckt er seine Arme nach Primo aus, der wiederum einen Schritt zurück macht, dabei jedoch mit dem Rücken gegen einen Baumstamm prallt.
Der Enderman kommt mit ausgestreckten Armen näher. Primo stößt ihn mit aller Kraft zurück, wendet seinen Blick von den unheimlichen Augen ab und rennt davon. Hinter ihm ertönt ein fremdartiges Geräusch, als der Enderman verschwindet, nur um im nächsten Moment unmittelbar vor Primo aufzutauchen. Er krächzt etwas Unverständliches.
Primo schlägt einen Haken nach rechts und weicht den Armen der schwarzen Gestalt knapp aus. Doch schon erklingt das Teleportationsgeräusch erneut, und dann noch einmal und noch einmal. Erschrocken sieht sich Primo von drei Endermen umzingelt.
„Lasst mich in Ruhe!“, ruft er. „Ich will nicht!“
Doch die schwarzen Gestalten bedrängen ihn von allen Seiten. Sie umfassen ihn mit ihren langen Armen, und im nächsten Moment löst sich die Welt in einer Wolke violetter Funken auf.
3. Wo ist Primo?
Golina betrachtet missmutig die Pilzsuppe, die sie zum Mittagessen gekocht hat und die nun langsam kalt wird. Das ist wieder mal typisch! Sie schuftet den ganzen Tag, hält den Haushalt in Ordnung, kauft ein, kocht jeden Tag zwei Mahlzeiten, kümmert sich um Nano und den Wolf, während Primo in seiner Diamantrüstung durchs Dorf stolziert und so tut, als müsse er irgendwelche unsichtbaren Gefahren abwenden, wenn er nicht gerade auf irgendeinem verrückten Abenteuer ist und sie sich zu Tode um ihn sorgt. Und was bekommt sie für all ihre Mühe? Nicht das kleinste bisschen Anerkennung!
Ihr Blick fällt auf den Stern, den Primo ihr bei seinem letzten Abenteuer vom Himmel geholt hat und der nun über dem Ofen an der Wand hängt. Zugegeben, manchmal zeigt er ihr doch, dass er sie liebt, und irgendwie ist sie auch stolz darauf, dass er der offizielle Beschützer des Dorfs ist. Aber trotzdem könnte er ruhig öfter ...
Gebell und lautes Weinen reißen sie aus ihren trüben Gedanken. Im nächsten Moment fliegt die Tür auf und Nano kommt mit tränenüberströmtem Gesicht hereingestürmt, gefolgt von Paul.
„Sie haben Papa mitgenommen!“, schluchzt er.
Golina nimmt ihren Sohn in den Arm. „Nun beruhige dich erstmal“, sagt sie. „Was ist passiert? Wer hat Papa mitgenommen?“
„Die ... die schwarzen ... Entenmänner!“, bringt Nano heraus.
Golina läuft ein Schauer über den Rücken.
„Was sagst du da?“ Sie beugt sich zu ihm herab und sieht ihm in die Augen. „Erzähl mir ganz genau, was passiert ist!“
„Ich war neben der Schlucht und habe gespielt und Maffi war ganz blöd und hat gesagt dass ich ein Doofmann bin und sie genauso mutig ist wie ich, aber das stimmt gar nicht, denn ich war auf dem Mond bei den Krähenfüßen und jetzt bin ich selbst einer und ...“
„Nano, wo ist Papa?“, unterbricht Golina ihn. „Was hast du gesehen?“
„Ich ... ich bin mit ihm zum Fluss gegangen, aber er hat gesagt, ich darf nicht mit zu Tante Ruuna und Onkel Willert, und dann ist er in den Wald gegangen und nicht wieder zurückgekommen.“
Golina atmet erleichtert aus. „Puh, du hast mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt, Nano. Hab keine Angst, Papa kommt sicher bald nach Hause. Er ist bloß in den Wald gegangen, um Tante Ruuna und Onkel Willert zu besuchen.“
Es passt zu Primo, dass er zu den beiden geht, wenn er wütend ist. Golina muss zugeben, dass sie ihn verstehen kann: Sie war wirklich nicht sehr nett zu ihm. Andererseits hätte er ihr ruhig sagen können, dass er die Hexe und den Einsiedler besuchen will. Sie betrachtet den Topf mit Pilzsuppe. Das Essen wird jedenfalls längst kalt sein, wenn er nach Hause kommt.
„Aber die Entenmänner waren da, und sie haben ihn mitgenommen!“, beharrt Nano.
„Ach was, du hast bestimmt nur ein paar Schatten gesehen, die sich bewegt haben. Hab keine Angst!“
„Ich hab keine Angst!“, protestiert Nano. „Schließlich bin ich ein Krähenfuß! Wenn so ein Entenmann kommt, dann hol ich Papas Schwert und seine Diamantrüstung, die neben der Schlucht liegen, und verhau ihn!“
„Moment, was hast du gesagt? Papas Schwert und Rüstung liegen neben der Schlucht?“
„Ja. Da hat er sie hingeworfen, als er sich mit Kolle gestritten hat.“
„Und dann ist er in den Wald gegangen?“, fragt Golina, die sich nun doch wieder Sorgen macht. „Unbewaffnet?“
„Ja, und dann sind die Entenmänner gekommen, und ...“
„Komm!“, unterbricht ihn Golina. „Zeig mir, wo Papas Sachen sind!“
Sie folgt Nano zur Wiese neben der Schlucht, wo sich Hakun, der Fleischer, und Olum gerade lautstark streiten.
„Gib sie her!“, schimpft Hakun und zerrt an Primos Diamantrüstung, die Olum und er in den Händen halten, während Primos Schwert und einige Fische um sie herum im Gras verstreut liegen.
„Nein! Ich hab sie zuerst gesehen!“, ruft Olum.
„Gar nicht wahr! Ich hab ...“
„Was soll das?“, ruft Golina dazwischen. „Lasst gefälligst Primos Rüstung los!“
Erschrocken lassen die beiden die Rüstung fallen und drehen sich zu ihr um.
„Ach, das ist Primos Rüstung?“, fragt Hakun. „Das hab ich gar nicht gewusst!“ Doch sein schuldbewusster Blick straft seine Worte Lügen.
„Was lässt er auch überall seine Sachen rumliegen?“, beschwert sich Olum, während er seine Fische aufsammelt. „Wir wollten die bloß wegräumen, damit, äh, keiner darüber stolpert.“
„So, so!“ Golina stemmt die Arme in die Hüften. „Habt ihr Primo gesehen?“
„Nein“, erwidert Hakun. „Deswegen dachte ich ja, dass es nicht seine Rüstung sein kann, weil nämlich, er hat sie doch immer an.“
„Und sein Schwert trägt er immer bei sich“, bestätigt Olum.
Die beiden haben recht, es