„Hört auf, euch zu streiten, Kinder!“, mischt sich Kolle ein. „Maffi, komm jetzt zum Mittagessen!“
„Erst, wenn der Doofmann zugibt, dass ich genauso mutig bin wie er!“
„Bist du gar nicht, du dummes Huhn!“
„Ich bin kein Huhn, und dumm bin ich auch nicht, und du bist so blöd wie ein Knallschleicher!“
„Ach, und wieso sind Knallschleicher blöd?“
„Weil sie explodieren, wenn sie sich ärgern!“
„Dein Vater wird auch ein Monster, wenn er sich ärgert. Also ist er auch blöd!“
„Nano! Du ...“, versucht Primo seinen Sohn zurechtzuweisen, doch Kolle fällt ihm ins Wort.
„So erziehst du also deinen Sohn, ja? Dass er Erwachsene beleidigt, das findest du wohl gut, was?“
„Ich erziehe meinen Sohn, wie ich will! Außerdem hat deine Tochter doch angefangen!“
„Hat sie überhaupt nicht! Dein Sohn hat behauptet, dass er mutiger sei als sie!“
„Deine Tochter hat ihn einen Doofmann genannt, das hab ich selber gehört!“
„Und er hat ‚dummes Huhn‘ zu ihr gesagt. Und dann hat er auch noch behauptet, ich wäre blöd!“
„Er hat nur gesagt, wenn Knallschleicher blöd sind, weil sie explodieren, wenn sie wütend werden, dann musst du auch blöd sein, wenn du dich in ein Monster verwandelst, weil du wütend bist. Das ist nur logisch.“
„Aha! Du findest mich also auch blöd! Nach allem, was ich für dich getan habe! Ein toller Freund bist du!“
„Was du für mich getan hast? Wer hat dich denn gerettet, als du damals im Wald von einem Nachtwandler gebissen wurdest? Wer ist denn bis zum fernen Sumpf gelatscht, um Ruuna zu finden, und wäre fast in die Luft geflogen, als er einen goldenen Apfel aus dem alten Tempel geholt hat, nur damit sie einen Heiltrank für dich brauen kann?“
„Und warum bin ich gebissen worden? Weil du nicht auf mich gehört hast und unbedingt hinter dem Fremden her in den Wald rennen musstest!“
„Ach ja? Jetzt bin ich also an allem schuld! Mir reicht’s! Dann sei du doch der Dorfbeschützer, wenn du das so viel besser kannst!“
Wütend reißt sich Primo die Diamantrüstung vom Leib und wirft sie Kolle mitsamt seinem Schwert vor die Füße.
„Was ist denn los?“, fragt Magolus, der in diesem Moment dazu kommt. „Gibt es ein Problem?“
„Das einzige Problem“, erwidert Primo gereizt, „ist, dass ich hier überflüssig bin. Dorfbeschützer, pah! Alle scheinen mich nur für den Dorftrottel zu halten! Aber eins sage ich euch: Wenn Artrax das nächste Mal das Dorf angreift, dann könnt ihr selber sehen, wie ihr damit klarkommt!“
„Niemand hat gesagt, dass du ein Dorftrottel bist“, versucht Kolle zu beschwichtigen.
„Beruhigt euch, meine Untertan..., äh, ich meine, liebe Gemeindemitglieder!“, sagt Magolus mit ausgebreiteten Armen. „Habt keine Angst: Uns kann nichts passieren, denn dieses Dorf steht unter dem Schutz Notchs, unseres Herrn.“
„Da hörst du’s!“, ruft Primo. „Ich bin vielleicht kein Dorftrottel, aber überflüssig bin ich auf jeden Fall. Notch kann auf das Dorf aufpassen. Ich werde dafür nicht gebraucht!“
Zornig stapft er in Richtung Flussufer davon, während er hinter sich Kolle sagen hört: „Na toll! Musstest du dich unbedingt einmischen, Magolus?“
„Was, jetzt bin ich auf einmal schuld?“, erwidert der Priester. „Ich habe bloß das Wort Notchs verkündet, wie es meine Aufgabe ist. Wenn Primo das nicht versteht, kann ich auch nichts dafür!“
„Von wegen ‚das Wort Notchs‘“, entgegnet Kolle gereizt. „Das denkst du dir doch alles bloß aus!“
„Was? Das ist unerhört!“, schimpft der Priester. „Ich soll mir das alles ausdenken? Ich, der ich täglich mehrere Stunden in der Kirche meditiere, um die Stimme Notchs zu hören, und wenn ich dann aufwache ...“
Den Rest hört Primo nicht mehr, denn die Stimmen werden vom Rauschen des Flusses übertönt, der das Dorf in einer Schleife umrundet. Auf der anderen Seite erstreckt sich der Wald, in dem Ruuna und Willert ihre Hütte haben. Die beiden sind jedenfalls vernünftiger als die Dummköpfe im Dorf. Kein Wunder, dass sie es vorziehen, in der Abgeschiedenheit des Waldes zu leben. Vielleicht sollte sich Primo ihnen anschließen, für eine Weile wenigstens.
„Warte auf mich, Papa!“, erklingt hinter ihm die Stimme seines Sohnes.
„Geh zu Mama!“, sagt Primo. „Es gibt gleich Mittagessen, hat sie gesagt.“
„Und du?“
„Ich muss zu Tante Ruuna und Onkel Willert.“
„Dann will ich mitkommen!“
„Nein, im Wald ist es viel zu gefährlich für dich.“
„Aber du bist doch bei mir, um mich zu beschützen. Und außerdem bin ich mutig und stark! Schließlich bin ich jetzt ein Krähenfuß, und ...“
„Ich beschütze niemanden mehr“, sagt Primo bitter. „Und jetzt tu endlich, was ich sage, und geh nach Hause zu Mama!“
„Ja, Papa.“ Enttäuscht bleibt Nano am Ufer stehen, während Primo den Fluss durchquert.
Das kühle Wasser und der Schatten der Bäume auf der anderen Seite vertreiben die brütende Hitze, und mit ihr verschwindet auch der Zorn aus Primos Kopf. Schon nach ein paar Schritten bereut er, was er zu Kolle gesagt hat, und auch, dass er gegenüber Golina so gereizt war.
Gerade, als er umkehren will, um sich bei den beiden zu entschuldigen, hört er hinter sich ein Geräusch, das nicht von dieser Welt zu stammen scheint. Es ist der nur allzu vertraute Laut eines Endermans, der in der Oberwelt erscheint.
2. Die Botschaft des Endermans
Erschrocken fährt Primo herum. Er will nach seinem Schwert greifen, doch mit einem eisigen Schreck wird ihm klar, dass es zusammen mit seiner Diamantrüstung auf der Wiese neben der Schlucht liegt. Er ist völlig schutzlos!
Rasch senkt er den Blick, um nicht in die leuchtenden Augen der schwarzen Gestalt zu sehen. Er hat keine Lust darauf, Artrax‘ heisere Stimme in seinem Kopf zu hören und von ihm verhöhnt zu werden. Wenn sein Erzfeind ihn töten will, dann soll er es hier und jetzt tun. Traurig schüttelt er den Kopf. Kolle hatte recht: Ein toller Dorfbeschützer ist er, der Schwert und Rüstung achtlos liegen lässt und allein und unbewaffnet in den Wald läuft – direkt in die Arme seines schlimmsten Feindes!
Doch der Enderman macht keine Anstalten, Primo mit seinen langen, tödlichen Armen anzugreifen. Stattdessen stößt er ein Krächzen aus, das wohl Worte in Enderman-Sprache sein sollen.
Primo hebt den Kopf und blickt nun doch in die violett strahlenden Augen. Im selben Moment erklingt eine heisere Stimme, die aus seinem Inneren zu ihm spricht.
„Komm mit mir, Sterblicher!“
Erleichtert stellt Primo fest, dass es sich nicht um Artrax handelt, obwohl er nicht genau sagen kann, woran er das erkennt.
„Wer bist du?“, fragt er.
„Mein Name ist C=3p*O. Der Herr des Endes schickt mich, um dich zu holen.“
„Zehdreipeoh?“, wiederholt Primo, der Schwierigkeiten hat, das heisere Krächzen des Endermans zu verstehen.
„In der Sprache der Sterblichen mag man es so aussprechen“, erwidert der Enderman.
„Und Seine Singularität hat dich geschickt?“