Das Blut des Sichellands. Christine Boy. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christine Boy
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844268690
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      Er hätte Saton beinahe nicht erkannt. Das Funkeln in den schwarzen Augen des Shajs war erloschen, so als sei ein Teil von ihm für immer gegangen.

      Wandan wollte etwas sagen, doch aus seinem geöffneten Mund kam kein Laut. Stattdessen wanderte sein Blick hinab auf das in weiche Tücher eingeschlagene Bündel, das Saton in den Armen hielt.

      Das Mädchen schlief. So seelenruhig, dass niemand hätte erahnen können, wie wenig friedlich sie in den letzten Wochen gewesen war. Er konnte zwischen den Tüchern nicht viel erkennen, aber er vermutete, dass es ein sehr hübsches Kind war.

      "Ich wäre jetzt gern allein." sagte Saton, mit einer Stimme, die nicht seine eigene war. "Allein mit... ihr." Er nickte seiner Tochter zu.

      "Natürlich."

      "Könntest du... ich meine... ich glaube, dass Mondor..." Der Shaj suchte selten nach den richtigen Worten, doch diesmal fand er sie nicht.

      "Ich werde dafür sorgen, dass Mondor sich ihrer annimmt." half Wandan ihm und obwohl er Curedas Namen nicht mehr auszusprechen vermochte, gab es keinen Zweifel, wen er meinte.

      "Danke."

      Ohne noch einmal aufzusehen, machte Saton kehrt und ging auf die andere Seite des Ganges zu, wo sich sein eigenes Schlafzimmer befand.

      Wandan kämpfte mit sich.

      "Saton?"

      Der Shaj blieb stehen.

      "Wie... wie ist ihr Name?"

      Die Antwort war eisig.

      "Len-Y-Ca. Das Ende bringend. Das scheint ihr Schicksal zu sein."

      7. Tag des Wentril im 14. Jahr Satons

      Die Terrasse auf dem Dach des Cas-Flügels wurde nur selten für Zusammenkünfte genutzt. Die neun erwählten Krieger des Shajs der Nacht feierten hier dann und wann ihre derben Feste, aber noch bevor es etwas zu sehen gegeben hätte, was genügend Gesprächsstoff für die Burgdiener gab, zogen es die obersten Kämpfer vor, die Feiern in ihren Kellern fortzuführen.

      Doch der Herrscher selbst mochte diesen Ort. Er konnte von hier aus weite Teile der Burg überblicken, ungestört seinen Gedanken nachhängen und sich so etwas Abstand vom Tagesgeschehen gönnen, ohne dass er von jedem, der des Weges kam, mit Fragen, Bitten oder belanglosen Mitteilungen belästigt wurde. Nur wenn die Sonne schien, mied er diesen Rückzugsort, denn wie alle Batí setzte er sich dem Licht und der Wärme nicht allzu gern aus.

      Saton war froh, dass das Wetter ihm ausgerechnet an diesem Tag entgegenkam. Blauschwarze Wolken verdunkelten den Himmel und ein kühler Wind strich durch den Festungshof, auf den er herabsah. Nicht mehr lange, und es würde regnen, doch dann war er vermutlich schon wieder in Besprechungen vertieft, die heute noch im Ratssaal angesetzt waren. Er beugte sich ein wenig über die Zinnen, lächelte angesichts dessen, was er dort unten beobachten konnte, machte dann kehrt und setzte sich wieder auf einen der groben Holzstühle, die die Diener samt eines niedrigen Tisches vor einiger Zeit aufgebaut hatten.

      „Und?“ fragte Wandan und wischte sich einen Sijaktropfen aus dem Mundwinkel. „Wie schlagen sie sich?“

      „Gut.“ erwiderte Saton zufrieden. „Ich glaube kaum, dass ich mir bessere Krieger wünschen könnte. Sie trainieren in jeder freien Minute. Ich schulde dir meinen Dank.“

      Ungerührt füllte der oberste Cas seinen Kelch erneut.

      „Das liegt nicht an mir. Die Säbelmeister in den Kasernen haben den Kampfwillen in ihnen geweckt und geschürt. Ich sorge nur dafür, dass er nicht einschläft.“

      „Du solltest dich nicht selbst schlechtreden. Wenn ich sehe, wie gut sich Cala entwickelt hat... Er war schon immer ein hervorragender Sichelkämpfer, aber in den letzten Jahren hat er allen anderen den Rang abgelaufen. Von dir und vielleicht noch Beleb einmal abgesehen. Und ich weiß, wer ihm all diese Kniffe beigebracht hat.“

      „Cala ist begabt. Da blieb für mich nicht viel zu tun.“

      „Das seid ihr alle. Begabt. Sonst wärt ihr nicht in die obersten Ränge aufgestiegen. Und du gehörst zu den wenigen, die echtes Talent erkennen. Früh erkennen. Erinnere dich an Celdros.“

      „Celdros...“ Wandan brummte unzufrieden. „Niemand schwingt den Säbel wie er. Darauf bestehe ich.“

      „Oh ja, daran habe ich auch keinen Zweifel. Doch du hast auch seine Schwäche erkannt. Die Sichel liegt ihm nicht. Es wäre ein Fehler gewesen, ihn von seinem Posten zu nehmen.“

      „Trotzdem sehen es manche als Strafe, dass er nicht in den Kreis der Neun aufsteigen durfte.“

      „Manche vielleicht. Er selbst aber nicht. Er hat sich bei mir für deine Einschätzung bedankt. Celdros ist zufrieden, da wo er jetzt ist. Und er hat so mehr Zeit für seinen Sohn.“

      „Den wir im Auge behalten sollten. Geschickter Junge.“

      Saton runzelte nachdenklich die Stirn. „Ich werde es mir merken. Wie war doch gleich sein Name?“

      „Rahor. Rahor Req-Nuur.“

      „Und wie alt ist er?“

      „Acht oder neun Jahre. Ich müsste nachfragen. Er soll nächstes Jahr die ersten Probestunden erhalten.“

      „Ich werde ihn mir ansehen.“ nickte Saton.

      „Celdros' Frau ist schwer krank. Sie kann sich kaum noch um die Kinder kümmern.“

      „Ich habe davon gehört. Halte mich auf dem Laufenden. Die Req-Nuurs können sich stets meiner Aufmerksamkeit sicher sein.“

      Sie sprachen noch eine Weile über den einen oder anderen Kämpfer, als plötzlich aufgeregte Stimmen vom Hof heraufschallten. Neugierig stand Saton wieder auf und sah hinunter.

      „Die Anweisungen deines Vaters waren eindeutig!“ rief gerade jetzt eine Frau. „Außerdem ist es schon viel zu spät, du wirst Ärger bekommen, wenn du nicht pünktlich zu Tisch bist!“

      Ein andere, viel hellere Stimme, deren Urheber von Satons Blickwinkel aus nicht zu sehen war, erwiderte etwas, das er nicht verstehen konnte, aber das musste er auch nicht. Er hatte eine ziemlich deutliche Vorstellung vom Inhalt dieser Entgegnung.

      Mit einem leisen Seufzen kehrte er zu Wandan zurück.

      „Lenyca?“ fragte der Cas.

      Saton nickte, halb resigniert, halb belustigt. „Aber lass sie das nicht hören. Sie mag ihren Namen nicht besonders.“

      „Ja, ich weiß. Die anderen rufen sie 'Lennys'. 'Ohne Licht'. Hat sie sich das ausgesucht?“

      Der Shaj zuckte die Achseln. „Ehrlich gesagt, bin ich mir nicht sicher, wo sie das her hat. Aber es ist auch nicht so wichtig. Vielleicht ist es sogar besser so. Sie ist noch zu jung für die große Bedeutung ihres Namens.“

      „Das ist sie allerdings. Und doch wirkt sie reifer als andere Kinder in ihrem Alter. Und ich glaube, auch du vergisst manchmal, wie alt sie ist.“

      „Wie könnte ich das vergessen? Wie könnte ich vergessen, dass Cureda vor sechseinhalb Jahren starb?“

      „Verzeih, so war das nicht gemeint. Saton, sie ist ein Kind. Sie sollte draußen in den Gärten spielen und nicht...“

      Unten im Hof klirrte etwas, gerade so, als ob ein Tonkrug zerbrochen worden wäre.

      Wandan grinste. „Weiß Alasna, dass du hier oben bist?“

      Laute Schritte auf der Treppe kamen Saton in seiner Antwort zuvor.

      „Sie weiß es...“ seufzte er leise und schon stürmte eine junge Frau aus der Turmpforte, die auf die Terrasse führte.

      „Hoher Shaj...“ stieß sie atemlos hervor. „Hoher Shaj, verzeiht, dass ich eure Ruhezeit störe, aber... eure Tochter...“

      Erneut klirrten Tonscherben, diesmal aus dem Treppenhaus