Lysistratos oder Der Traum von Freiheit. T.F. Carter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: T.F. Carter
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737517072
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von dieser Großen Tochter ausging, nicht erwehren.

      „Komm mit!“ freute sich der Freund. „Wir beide…“

      Ehe Lysistratos es sich überlegen konnte, wurde er mitgerissen, von seinem Freund, von ein paar anderen Drohnen. Er hörte noch, wie hinter ihm Rubinrot rief: „Amalthea, sei vorsichtig. Sei eine starke Königin!“ Und er hörte, wie die Arbeiterinnen hinter ihnen jubelten, während sie sich in die Lüfte schraubten.

      Das Licht der Großen Gelben Scheibe am Himmel war hell, viel greller, als er vermutet hatte. Es war heiß, doch ein kühler Wind wirbelte die jungen Bienen in die Lüfte. Er sah Amalthea vor sich, zahlreiche Drohnen um sie herum, er sah andere Große Töchter, umschwirrt von ihren Begleitern. Und er bemerkte ihm fremde Bienen, fremde Große Töchter. Einige seiner Drohnenfreunde ließen von den Großen Töchtern ihres Volkes ab und flogen zu den unbekannten Großen Töchtern, so wie sich auch Drohnen aus anderen Völkern nun zu ihnen gesellten.

      Nur aus den Augenwinkeln nahm er die Umgebung wahr, die Wiese, die Blumen, den Wald, all das, was er bisher nur aus dem Flugloch hatte erspähen können. Das Fliegen war schön, die Luft war schön, die Große Gelbe Scheibe war schön… Amalthea war schön.

      Die Große Tochter war nun zum Waldrand geflogen, schwirrte in der Höhe, umschwärmt von vielleicht einem Dutzend bekannter und unbekannter Drohnen. Lysistratos roch Amalthea, ihm wurde schwindlig, ein Teil seines Körpers klappte ein und aus, ohne dass er es kontrollieren konnte. Er musste zu Amalthea…

      Eine Drohne klammerte sich im Flug an Amalthea, und er sah, dass sein Kamerad das Teil, das ein Eigenleben zu führen schien, in irgendeiner Weise in die Große Tochter schob, entrückt jubelnd.

      „Ich will auch!“ schrie Lysistratos‘ Freund.

      Eine andere Drohne rempelte Lysistratos fort, und als er sich wieder gefangen hatte, war der Drohn auf Amalthea verschwunden, und nun hatte sein Freund die Große Tochter bestiegen, drängte sich in sie.

      „Amalthea!“ seufzte der Freund glücklich. „Ach, ist das wunderbar!“

      Und nun? dachte Lysistratos. Sein Körper fühlte sich an, als ob er platzen müsste. Ich glaube, ich werde wissen, was zu tun ist.

      In diesem Augenblick wurde Lysistratos‘ Freund starr, seine Flügel hörten auf zu schlagen, und er glitt von Amalthea, stürzte, ohne sich abzufangen, zu Boden.

      „Pass auf!“ schrie Lysistratos, während weitere Drohnen sich auf die Große Tochter stürzten. Ein unangenehmes Gefühl breitete sich in ihm aus, überdeckte seine Hochstimmung. Er glitt nach unten zur Erde, fand seinen Freund und gleich daneben zwei weitere Drohnen. Keiner der drei rührte sich.

      „He!“ rief Lysistratos, landete zwischen ihnen, stieß sie an…

      Sie waren tot!

      Entsetzt blickte er nach oben, sah dort Amalthea fliegen umschwärmt von einem halben Dutzend weiterer Drohnen. Wütend stieß er sich vom Boden ab, sah zwei weitere Kameraden von der Großen Tochter stürzen, dann einen dritten, einen vierten, bis nur noch er übrig war.

      „Mörderin!“ brüllte er. „Ihr seid eine Mörderin!“

      Erstaunt wandte sich Amalthea um, kam auf ihn zu. „Mörderin? Warum?“ Ihre Beißwerkzeuge klappten aufgeregt auf und zu. Ihre Stimme war merkwürdig entrückt. „Möchtest du dich nicht mit mir vereinen, Drohne?“

      Natürlich will ich! kommandierte Lysistratos‘ Körper. „Ihr tötet sie!“

      „Wen, Drohne? Die anderen Drohnen?“ Amalthea seufzte laut auf. „Das ist eure Bestimmung. Ihr gebt mir euren Samen, und ich gründe damit einen neuen Bienenstaat. Ich bin nun nicht mehr die Große Tochter Amalthea. Ich bin Königin Amalthea. Gib mir auch deinen Samen, Drohne, damit du zu irgendetwas nütze bist.“

      „Nein!“ schrie Lysistratos, „das ist unbienisch!“

      „Unbienisch?“ Verwundert flog Amalthea an ihn heran. „Unbienisch ist, sich dem Kollektiv zu widersetzen. Sich seiner Bestimmung zu widersetzen. Du bist eine Drohne. Ein Nichts. Du hast ausschließlich mich zu befruchten. Sonst nichts. Tue es jetzt, oder suche dir eine andere Große Tochter. Minderwertigen Samen von wenig entschlusskräftigen Drohnen kann ich nicht gebrauchen. Aber sterben musst du so oder so.“

      „Ich will aber nicht sterben!“ verzweifelt blickte Lysistratos nach unten, wo einige tote Drohnen zu erkennen waren. Amaltheas Geruch war betörend, aber die Angst vor dem Tod war stärker.

      „Mach‘ was du willst, Drohne.“ Spöttisch wedelte Amalthea mit den Fühlern. „Ich meinenteils habe einen Staat zu gründen.“ Sie drehte sich schon fast fort, bevor sie sich noch einmal Lysistratos zuwandte: „Immerhin, eine Drohne, die was zu sagen hat… Interessant, sehr interessant. Meine Mutter hat mir nicht gesagt, dass es so etwas gibt. Ich muss darüber nachdenken.“

      „Ja!“ schrie Lysistratos, „denkt darüber nach! Wie ihr uns Drohnen tötet!“

      „Ich töte nicht, Drohne. Du erfüllst nur deine Pflicht, wenn du mich besteigst.“

      „Lysistratos! Ich heiße Lysistratos!“

      Amalthea riss erstaunt ihre Mundwerkzeuge auseinander: „Bitte was?“

      „Mein Name ist Lysistratos!“

      „Drohnen haben keine Namen“, schüttelte die junge Königin ihren Kopf.

      „Ich schon. Wir sollten alle Namen haben.“

      „Wozu? Ihr sterbt eh.“

      Seine Wut machte Lysistratos mutiger und mutiger, vor allem, da Amalthea keine Anstalten machte, ihn zu attackieren. Beinahe wirkte sie interessiert, so dass er schrie: „Ihr sterbt auch, Königin!“

      „Natürlich, aber erst nach einem langen Leben. Wenn ich Glück habe, werde ich, wie meine Mutter, mehrere Große Kälten überstehen. Du nicht, Drohne.“

      „Lysistratos.“

      „Meinetwegen auch Lysistratos.“ Amalthea lachte. „Du amüsierst mich, Drohne. Was denkst du, was du jetzt machen sollst? Zurück in den Stock? Sie werden dich demnächst hinausschmeißen. Und alleine essen kannst du nicht. Du wirst verhungern. Wenn du aber mich besteigst, hast du einmal im Leben die wahre Freude. Und weil du mich wirklich amüsierst, Lysistratos-Drohnerich, werde ich dir alles geben, dass du nicht sagen kannst, es sei unangenehm gewesen. Komm her.“

      Weiterer Geruch umströmte Lysistratos, und er wich zurück, obwohl ein Teil seines Körpers zu der jungen Königin drängte.

      „Sei Teil meines Staates, Lysistratos. Du Drohne mit Namen.“

      „Teil Eures Staates? Es wird Euer Staat sein. Amaltheas Staat, nicht aber Amaltheas und Lysistratos‘ Staat.“

      Laut lachte die Königin vor ihm auf: „Natürlich nicht. Ich werde leben. Du wirst sterben. Aber glücklich sterben. Verlange nicht zu viel vom Leben. Es ist das Beste, das du bekommen kannst.“

      „Nein, nein!“ rief Lysistratos und flog von Amalthea fort in Richtung des Bodens. Nun nahm er auch weitere junge Königinnen wahr. Und überall lagen Drohnen. Tote Drohnen. Gerade gestorbene und auch die Kameraden, die während der letzten Großen Helligkeiten den Stock verlassen hatte. Sie waren dazu da, um zu sterben!

      Verzweiflung machte sich in ihm breit. Wohin sollte er? Was sollte er tun? Noch immer sehnte sich ein Teil seines Körpers nach Vereinigung mit Amalthea. Aber er musste die anderen Drohnen warnen. Er konnte sie nicht ihrem Schicksal überlassen.

      Der Stock seines Volkes war direkt vor ihm, und er sah Arbeiterinnen, die geschäftig ein- und ausflogen. Mitten im Flugloch stand Walburga und beobachtete die Umgebung, stets darauf vorbereitet, bei einem Angriff Alarm zu schlagen.

      „Hallo, wen haben wir denn da?“ lachte die alte Arbeiterin, als Lysistratos vor ihr landete. „Hast du keine abbekommen? Hast du dich abdrängen lassen?“

      Eine andere Arbeiterin lachte ebenfalls.