Der erste Gedanke auf dem Weg nach Hause war, dass ich kaum Bargeld und nicht genug Zigaretten habe.Völlig bescheuert...aber ich bin erst zum Geldautomaten und danach zur Tankstelle gefahren um Zigaretten zu kaufen. Zuhause wartete Gisela auf mich und auf Nachricht über meine Gesundheit. Da habe ich das erste Mal gedacht: ich habe Krebs. Das ist hier kein Spaß oder Irrtum. Ich habe Krebs. Leberkrebs. Ich weiß noch, dass ich ganz laut „Scheiße“ gebrüllt habe, alleine im Auto. Ich parkte vor dem Haus. Gisela saß auf der Terrasse. Sie sah es mir sofort an. Ich war jetzt in meinem Soldatenmodus, wie ich es nenne. So eine Art emotionaler Schutzbunker. Ich berichtete alles, was es zu berichten gab und Gisela begriff die Tragweite dessen, was ich da erzählte sehr schnell. Wir beschlossen, unsere nächsten Verwandten zu informieren. Das geschah telefonisch. Meine Brüder, meine zwei „Exfrauen“, meine großen Kinder. Wie verrückt das klang...“Ich habe Krebs“.
Gisela informierte ihre Kinder und beste Freundinnen. Dann ging es wie ferngesteuert ans Tasche packen für das Krankenhaus. Die Papiere, die ich mitführte waren eindeutig und man nahm mich sofort stationär auf. Der zuständige Oberarzt konnte die Tumore in der Leber per Ultraschall gut erkennen. Der größte der Zwölf hatte einen Durchmesser von vier Zentimetern. Noch glaubten wir, dass es nicht noch schlimmer kommen könnte. Inzwischen hatten wir eine Whatsapp Gruppe gegründet mit dem bezeichnenden Titel: „Bernie-Karzinom“. In der Gruppe waren alle Leute Mitglied, die Informationen bekommen sollten. Es gibt sie noch heute, nur habe ich sie umbenannt: „Cancerfuck“ heißt sie seit gestern.
Ich hatte bereits mein Dreibettzimmer bezogen, als ich zum Abend hin noch einmal von einem Arzt nach draußen zum Gespräch gebeten wurde. Er teilte mir unumwunden mit, dass man die CD mit den Aufnahmen aus dem CT ausgewertet habe. Der Haupttumor, das Mutterkarzinom also lag in der Pankreas, der Bauchspeicheldrüse. Die Tumore in der Leber waren Metastasen. Ich blickte den Arzt nur an und fragte ihm, ob ihm klar sei, dass das für mich das Todesurteil bedeutet. Er sah seine Schuhe an, als er nur nickte.
Ich habe mich früher immer gefragt wie sich so etwas wohl anfühlt. Wie sich ein zum Tode verurteilter Mensch fühlen möge. Ich fühlte selber gar nicht so viel, tue es bis heute nicht. Keine Angst. Keine Angst vor dem Tod und keine Angst vor dem Sterben. Ich weiß um die Prognosen und ich kann Statistiken lesen. Wissen kann man das alles, begreifen allerdings nicht. Die Bürde, es meinen Kindern sagen zu müssen, meiner Mutter und den Menschen die mich lieben und schätzen wiegt schwerer als der drohende Tod. Soviel Traurigkeit und Leid wegen mir.
Ich selbst bin mit mir etwa im Reinen, bin gefestigt und im Gleichgewicht. Meine Lebensbilanz kann sich sehen lassen, denke ich. Aber was ich mit dieser Diagnose anderen zufüge ist ungeheuerlich. Es bricht mir das Herz, ich schäme mich und könnte schreien. Für mich selbst ist es okay....und schon deswegen werde ich ringen und kämpfen und nicht aufgeben, bis die verdammte Pumpe aufhört zu schlagen. Soweit für heute. Morgen schreibe ich über Hoffnung und Glauben. Und über Methadon..…
5. Juli 2017
Und wieder ein Tag weniger auf der Liste. Heute vor drei Wochen habe ich die Diagnose empfangen. Von Hoffen und Bangen, ich liege hier in meinem Krankenhausbett und warte darauf, abgeholt zu werden. Rechts und links neben mir liegen zwei sehr alte Männer. Der eine ist schwer dementiell verändert und der andere hat nie eine gute Schule genossen. Ich weiß nicht wer nervtötender ist, die hochbetagten Greise oder deren Ehefrauen, die täglich zu Besuch kommen und alle Klischees über keifende und ultrakonservative Omas bedienen. Ich war/bin Altenpfleger und hatte tagaus tagein mit solchen Menschen zu tun. Das scheint im Moment denkbar weit weg. Mein Altruismus scheint weitgehend erloschen zu sein, denn ich verspüre keinerlei Helferimpuls mehr, wenn die beiden wieder einmal an die Grenzen ihrer Ressourcen kommen. Früher hätte ich mich umfassend darum gekümmert, das ist mir abhanden gekommen.
Wenn ich meinen Körper nach Schmerzquellen scanne spüre ich das Stechen im rechten Oberbauch deutlich. Ich bekomme zwar Morphium und habe ein Fentanylpflaster kleben, schlucke Tillidin und Pregabalin und dennoch ragt der Schmerz unter dem rechten Rippenbogen wie eine Turmspitze aus dem Nebel der anderen Schmerzen und Gefühlen heraus. Das ist „Karl“. „Karl, das Karzinom“. So haben Gisela und ich meinen inneren Mitesser getauft. Der sitzt da auf der Pankreas und lümmelt sich in der Leber. Gestern gab es noch einmal ein Ganzkörper-MRT um Karls Zweigstellen zu finden. Pankreaskrebs streut gerne in die Milz, die Nieren und in die Knochen. In der Leber ist er ja schon mächtig vertreten. Mal sehen, ob es damit genug ist oder ob Karl noch weitere Filialen betreibt. Als käme es darauf noch an….
Halt, so will ich nicht denken. Denn es gibt Hoffnung. Durch einen Krebsfall in der Familie, Wochen vor der eigenen Diagnose habe ich durch Zufall bei der Recherche einen Bericht entdeckt, der sich mit dem Mittel Methadon befasste. Methadon ist eigentlich ein Opioid, das eine starke schmerzstillende Wirkung hat. Bekannt ist es, weil es als Ersatzdroge für Heroin eingesetzt wird. Methadon hat die Eigenschaft, die Krebszellen anfälliger für die Chemotherapie zu machen. Es erhöht offenbar den Wirkungsgrad der Chemotherapie. Leider ist das noch nicht durch korrekte wissenschaftliche, klinische Studien bewiesen und deswegen sträuben sich noch viele Mediziner es im Rahmen einer Chemotherapie einzusetzen.
Es gibt fundierte Berichte über Krebspatienten, die nahezu völlig vom Krebs befreit wurden, obwohl sie nach medizinischem Ermessen keine Überlebenschance hatten. So wie ich mit meiner Diagnose keine Chance auf Genesung habe. Doch das Methadon verändert die Situation. Es ist wie ein Silberstreif am Horizont für Gisela und mich und unsere Kinder. Hoffnung ist eine starke Macht. Wo es Hoffnung gibt, widersetzt man sich dem Tod. Wo Hoffnung besteht, und sei sie noch so gering, ist man kein hoffnungsloser Fall, ist man nicht zwingend verloren. Ein wenig ist das wie Lotto spielen. Gibst du keinen Schein ab, brauchst du nicht auf den Hauptgewinn zu hoffen. Indem du deine Kreuze auf dem Zettel machst, wächst diese Pflanze „Hoffnung“, denn rein theoretisch kannst du gewinnen. Und täglich gewinnen Menschen im Lotto. Also… machen Gisela und ich unsere Kreuze auf dem Methadonzettel.
Hier im Krankenhaus widersetzen sich die Ärzte der Methadonidee nicht und begleiten die Chemotherapie mit diesem Wirkstoff. Das ist unser Strohhalm, unser Tor zur Zukunft. Ohne das wäre ich im wahrsten Sinne des Wortes ein hoffnungsloser Fall. Der Krebs ist sehr weit fortgeschritten und absolut tödlich. Ohne die Chance mit dem Methadon hätte ich ziemlich sicher weniger als acht Wochen bis ich sterbe. Doch dem brauchen wir uns jetzt nicht mehr zu beugen, denn es gibt berechtigte Hoffnung. So wie es die berechtigte Hoffnung gibt, im Lotto zu gewinnen.
Bei mir gingen Wege noch nie einfach geradeaus. Immer hatte ich irgendwie eine exponierte Position im Leben. Zieht sich wie ein roter Faden durch meine Biografie. Eine nicht tödliche Krankheit zu überleben passt da genau ins Schema. Gleich werde ich abgeholt. Man wird mir einen Port legen, ähnlich wie bei Dialysepatienten. Eine Art Dauerzugang zu meinem Gefäßsystem. Durch dieses Portal wird dann die Chemotherapie verabreicht. Offiziell hat die Chemotherapie in dem Krebsstadium nur noch palliativen Charakter, das bedeutet, sie soll mir die Zeit bis zum Tode erleichtern. Heilung wird da nicht mit angestrebt.
Ich kann das alles so einfach und nüchtern erzählen, weil ich Hoffnung habe. Und selbst, wenn der Tod mich auslacht und sich vom Methadon nicht beeindrucken lässt: Die Stunden und Tage in Hoffnung nimmt mir niemand wieder weg. Jede Minute Hoffnung ist unendlich kostbar. Für Gisela, für die Kinder und für mich. Wehe, jemand versucht mir, die Hoffnung wegzunehmen. Für den gibt es dann definitiv keine Hoffnung mehr!!!
Also gut….dann ab unters Messer. Der erste Schritt eines langen Weges, an dessen Ende der Topf mit Gold auf Gisela und mich wartet.
7. Juli 2017
„Sterben für Anfänger“, sicher gibt es den Titel schon. Trotzdem trifft er so passend zu, dass ich ihn einfach diesen Zeilen voran setze. Meine Fresse, was haben wir Menschen schon über das Sterben und den Tod herum sinniert. Das wirklich blöde an unserem sogenannten Verstand ist es doch, dass wir uns über unseren eigenen Tod Gedanken machen können. Wir packen unsere Ängste und unser Grauen davor in philosophische Betrachtungen,