Kathrin Sereße
Noir & Blanc
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
1. Kapitel
Es war eine lange Zugfahrt nach Paris, die Stadt war fern, so ließ mir dies die Zeit für zahlreiche Gedanken, jedoch sorgte ich mich nicht.
Zwar ließ ich alles, was man sah, zurück, in Wahrheit aber nahm ich mit, was die Vergangenheit in mir bereitet, was mich selbst geschaffen und geformt und ausgerüstet hatte. Ich war offen, dachte ich, bereit, zu tun, was ich tun sollte.
Ich beobachtete aufmerksam. –
Sicherlich kannte auch ich Angst und Zweifel zur Genüge, doch ich wusste, dass sie unbegründet waren, wie oft stellten sie sich nur als Oberflächlichkeit und Imagination heraus. Ich hatte Zeit, zu denken und zu schauen, um letztendlich einzusehen, dass die Wahrheit ganz woanders liegen mochte. Zwar war mir die Zukunft gänzlich unbekannt, doch war mir immerzu bewusst, dass ihr ein Plan, ein guter Wille, Zuneigung zugrunde lagen, und dass sie aus diesem Grund gelingen konnte. Paris war eine große und mir gänzlich fremde Stadt, die ich erst würde finden und begreifen müssen, es war die Verantwortung, die mich bedrückte, nicht die Angst, und dennoch war auch Freude spürbar, denn ich war und würde sein. –
So glaubte ich und darauf wollte ich vertrauen. An dem Entschluss, herzukommen, zweifelte ich keineswegs, denn schließlich hatte mich die Stadt schon längst gerufen, nur war mir noch nicht ganz klar, in welcher Tonart. Und so fremd sie mir mitunter scheinen mochten, gab es dennoch Anknüpfpunkte zu den Menschen, die dort lebten, denn das waren sie doch, Menschen! Und dort lag wohl auch die Kunst, die ersten Brücken zu entdecken, die verbanden.
Naiv war ich sicher nicht, zumindest nicht in dieser Hinsicht. –
Paris, das sei eine verdorbene Stadt, in der nur Leid und boshafte Gefühle herrschten, keine Stadt für mich, der mir dies abscheulich erscheinen sollte und auch tat; kein Ort für unsereins, sagte mir mancher, bleib doch lieber hier, du schadest dir und uns mit diesem irren Schritt. Ich lächelte und meinte, dass ich eben gehe, weil die Stadt so sei; wie feige, anzunehmen, dies sei Grund genug, es gar nicht zu versuchen!
Die Entscheidung, die ich traf, war weder falsch noch recht zu nennen, ja sie prägte wohl mein Leben und mein Sein, doch wusste ich, dass Gott mit allen meine Plänen etwas Gutes schaffen konnte, und ich hoffte, dass Ihm dieser Plan gefiel. Es war ein Plan! Es war nicht nichts, es war ein Schritt, und meine Eltern unterstützten mich mit voller Hingabe, sie teilten mein Vertrauen und versicherten, dass es geprüft und auch erprobt werden würde, doch nicht enttäuscht.
Paris, das sei die Stadt der Liebe, sagte man. –
„Ob Sie mich kennen lernen mögen, Mademoiselle?“, fragte der Herr, der mir im TGV bereits seit Stunden gegenübersaß. Wir hatten uns recht neugierig beobachtet, beim Lesen und beim langen Blicken aus dem Fenster, mit der Neugier, die man Mitreisenden gern entgegenbringt und die nur selten gestillt wird.
„Sie glauben, dass dies in der uns verbleibenden wenigen Zeit möglich sein wird?“, erwiderte ich bedacht.
„Was meinen Sie, wie viel wir bräuchten?“ –
„Nun, wann kennen sich zwei Menschen?“
Er saß ruhig und lächelnd da, wir waren beinah allein, der Zug war leer, er glitt gemächlich in der Mittagshitze über weites Land, leicht widerstrebend, schien es mir, als wolle er Paris in Wahrheit nicht erreichen, da die sommerliche Landschaft vor dem Fenster deutlich liebenswerter wirkte.
„Man lernt sich doch wohl nicht kennen ohne Grund“, fuhr ich nun fort, „wer tut das, wer findet den Mut?“
„Wir haben keinen Grund, da liegen Sie wohl richtig, unsre Wege werden sich in der Minute bereits trennen, in der wir den Zug verlassen, doch wer weiß, wann diese eintrifft? – Es gibt mehr Gründe, als wir oftmals annehmen.“
„Wer sagt mir, ob es funktionieren würde? Es ist möglich, dass wir uns ganz fürchterlich verstehen werden“, warf ich ein. „Ja, angesichts Ihres Gepäckes, Ihrer Kleidung, erscheint es sogar wahrscheinlich, dass keinem von uns Bekanntschaft mit dem anderen gefiele.“
„Folglich meinen Sie, dass Sie mich bereits kennen?“
„Nein, Monsieur, doch kann man sagen, dass die Welten, in denen wir beide leben, sich nicht kennen, was nicht böse gemeint ist, ich sage es ohne zu werten. Wir könnten uns schlicht nicht über eine Sache unterhalten, ohne ihr Grundsätzliches abzugewinnen, das sich scheidet, sodass unsere Worte sich voneinander trennen würden, ohne Hoffnung, sich jemals wieder zu finden, geschweige denn, als eine Einheit fortzuschreiten.“
„In der Tat, ich nehme an, Ihren Beruf bereits zu kennen, denn Sie lesen und Sie lesen auf eine besondere