Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke. Hans Christian Andersen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans Christian Andersen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783746750194
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Essen wurde aufgetragen; es war eine Suppe von Wasser, gewürzt mit Pfeffer und ranzigem Oel. Letzteres spielte die Hauptrolle beim Salat; verdorbene Eier und gebratene Hahnenkämme waren die besten Gerichte; selbst der Wein hatte einen Beigeschmack: es war eine wahre Mixtur.

      Zur Nacht wurden die Koffer gegen die Thür gestellt; einer der Reifenden hatte die Wache, während die andern schliefen; der Theologe war der Wachthabende; o, wie schwül war es drinnen! Die Hitze drückte, die Mücken summten und stachen, die miserabili draußen jammerten im Traume.

      »Ja, reisen ist schon gut,« sagte der Theologe, »hätte man nur keinen Körper! Könnte dieser ruhen und der Geist dagegen fliegen! Wohin ich komme, fühle ich einen Mangel, der das Herz drückt; etwas Besseres, als das Augenblickliche, ist es, was ich haben will; ja, etwas Besseres, das Beste; aber wo und was ist es? Im Grunde weiß ich wohl, was ich will: ich will zu einem glücklichen Ziele, dem glücklichsten von allen!«

      Und so wie das Wort ausgesprochen war, befand er sich in der Heimath. Die langen, weißen Gardinen hingen vor den Fenstern herab und mitten in der Stube stand der schwarze Sarg; in diesem lag er in seinem stillen Todesschlafe; sein Wunsch war erfüllt, der Körper ruhte, der Geist reiste. Preise Niemanden glücklich bevor er in seinem Grabe ist, waren die Worte Solon's; hier wurde ihre Bekräftigung erneuert.

      Jede Leiche ist eine Sphinx der Unsterblichkeit; auch die Sphinx hier auf dem schwarzen Sarkophage beantwortete uns, was der Lebende zwei Tage vorher niedergeschrieben hatte:

      Du starker Tod, Dein Schweigen machet Grau'n;

      Du hinterläßt als Spur nur Kirchhofsgräber.

      Soll nicht der Geist die Jacobsleiter schau'n?

      Nur auferstehn als Todesgarten-Gräser?

      Das größte Leiden sieht die Welt oft nicht!

      Du, der Du einsam warst bis an Dein Ende,

      Weit schwerer drückt das Herz so manche Pflicht,

      Als hier die Erde an des Sarges Wände!

      Zwei Gestalten bewegten sich im Zimmer. Wir kennen sie beide; es war die Fee der Sorge und die Abgesandte des Glücks. Sie beugten sich über den Todten hin.

      »Siehst Du?« sagte die Sorge. »Welches Glück brachten Deine Gallochen wohl der Menschheit?«

      »Sie brachten wenigstens ihm, der hier schlummert, ein dauerndes Gut!« antwortete das Glück.

      »O nein!« sagte die Sorge. »Er ging von selbst fort, er wurde nicht gerufen! Seine geistig« Kraft war nicht stark genug, um die Schätze hier zu heben, die er seiner Bestimmung nach heben muß! Ich will ihm eine Wohlthat erweisen!«

      Und sie zog die Gallochen von seinen Füßen; da endete der Todesschlaf, der Wiederbelebte erhob sich. Die Sorge verschwand, mit ihr verschwanden aber auch die Gallochen; sie hat sie gewiß als ihr Eigenthum betrachtet.

      Es waren fünf Erbsen in einer Hülse; sie und die Hülse waren grün, also glaubten sie, die ganze Welt sei grün, – und das war ganz in der Ordnung! Die Hülse wuchs, die Erbsen auch; sie richteten sich nach Umständen ein; sie saßen in einer Reihe. – Die Sonne schien von außen und erwärmte die Hülse, der Regen machte sie klar und durchsichtig; es war mild und gemüthlich, hell am Tage und dunkel des Nachts, wie es sein soll. Die Erbsen wurden, wie sie nun einmal so da saßen, größer und immer nachdenkender; denn etwas mußten sie doch thun.

      »Müssen wir denn ewig hier sitzen bleiben?« – fragte die eine, – »wenn wir nur nicht durch das lange Sitzen hart werden. Ist mir doch, als gäbe es draußen irgend Etwas, ich habe so ein Gefühl davon.«

      Wochen verstrichen; die Erbsen wurden gelb und die Hülse wurde gelb: »Die ganze Welt wird gelb!« – sagten sie; und dazu hatten sie ein Recht.

      Plötzlich empfanden sie einen Ruck an der Hülse; diese wurde abgerissen, gerieth in Menschenhände und glitt in die Tasche einer Jacke hinab und zwar in Begleitung anderer gefüllter Hülsen. – »Jetzt wird bald aufgemacht werden!« – sagten sie, und dessen harrten sie eben.

      »Wissen möcht' ich jetzt, wer es von uns am weitesten bringt!« – sagte die kleinste der Fünfe. »Ja, jetzt wird es sich bald zeigen.«

      »Es geschehe was geschehen muß!« – sagte die größte.

      »Krach!« – die Hülse zerplatzte und alle fünf Erbsen rollten hinaus in den hellen Sonnenschein. Da lagen sie nun in der Hand eines Kindes: ein kleiner Knabe hielt sie umfangen und sagte, es seien gar schöne Erbsen für seine Knallbüchse, und sogleich that er eine hinein und schoß sie heraus.

      »Jetzt fliege ich in die weite Welt hinaus! Hasche mich, wenn Du kannst!« – und damit war sie davon.

      »Ich,« – sagte die zweite – »ich fliege geraden Wegs in die Sonne hinein; das ist eine Hülse, die sich sehen lassen kann, und gerade so, wie sie für mich paßt!«

      Fort war sie.

      »Wir wollen uns schlafen legen, wo wir hinkommen,« – sagten die zwei nächsten, »aber wir werden schon vorwärts rollen!« – Sie rollten allerdings und fielen zu Boden, bevor sie in die Knallbüchse kamen, aber hinein kamen sie doch. »Wir werden es am weitesten bringen!«

      »Es geschehe, was geschehen muß!« – sagte die letzte, indem sie aus der Büchse geschossen wurde; sie flog gegen das alte Brett unter dem Fenster der Dachkammer in eine Ritze, die mit Moos und weicher Erde ausgefüllt war; das Moos schloß sich um sie zusammen, – da lag sie, zwar gefangen, aber nicht übergangen vom lieben Herrgott.

      »Es geschehe, was geschehen muß!« – sagte sie.

Illustration: Hutschenreuter/Petersen

      Drinnen in der kleinen Dachkammer wohnte eine arme Frau, die am Tage ausging, um Oefen auszuputzen, Holz klein zu machen und dergleichen Arbeit zu verrichten, denn sie war stark und auch fleißig; aber sie blieb doch immer arm. Zu Hause in der Kammer lag ihre halberwachsene, einzige Tochter, die sehr fein und zart war; seit einem Jahre war sie bettlägerig und es schien, als könne sie weder leben noch sterben.

      »Sie geht zu ihrer kleinen Schwester!« – sagte die Frau. »Ich hatte nur die zwei Kinder und es war kein Leichtes, für Beide zu sorgen; aber der liebe Gott theilte mit mir und nahm das eine zu sich; jetzt möchte ich doch gar gern das andere behalten, das mir noch blieb; aber er will sie wahrscheinlich nicht getrennt wissen, und mein krankes Mädchen wird zu der Schwester dort oben gehen!«

      Allein das kranke Mädchen blieb wo es war; es lag geduldig und still den langen Tag über, während die Mutter außer dem Hause dem Verdienste nachging.

      Es war Frühling, und in einer frühen Morgenstunde, eben als die Mutter auf Arbeit gehen wollte, schien die Sonne recht mild und freundlich durch das kleine Fenster und warf ihre Strahlen über den Fußboden hin, und das kranke Mädchen richtete den Blick auf die unterste Glasscheibe.

      »Was mag doch das Grün sein, das dort an der Scheibe guckt? – Es bewegt sich im Winde!«

      Die Mutter trat an's Fenster und öffnete es halb. »Ach!« – sagte sie – »das ist wahrlich eine kleine Erbse, die hier gekeimt hat und ihre grünen Blätter treibt. Wie mag doch die hier in die Ritze gekommen sein? Das ist ein kleiner Garten, an dem Du Dich ergötzen kannst!«

      Das Bett der Kranken wurde näher an's Fenster gerückt, damit sie die keimende Erbse sehen könne; die Mutter aber ging auf Arbeit.

      »Mutter, ich glaube, ich werde wieder gesund!« sagte am Abend das kranke Mädchen. »Die Sonne hat heute hier gar lieblich warm zu mir herein geschienen. Die kleine Erbse gedeiht vortrefflich, und auch ich werde gewiß gedeihen und aufstehen und in den Sonnenschein hinaus kommen!«

      »Wollte Gott!« sagte die Mutter; aber sie glaubte nicht, daß es geschehen würde; doch, das keimende Grün, das dem Kinde die frohen Lebensgedanken eingegeben hatte, stützte