»Bald wäre ich davon gesegelt!« sagte sie, »es ist gut, daß Du kommst, denn ich habe es nöthig, den Kräften ein wenig zu Hilfe zu kommen! Es ist kalt hier im Wasser; sechs Stunden, stehe ich schon hier. Hast Du Etwas für mich?«
Der Knabe zog die Flasche hervor und die Mutter setzte sie an den Mund und trank einen Schluck.
»Ach, wie das wohl thut! Wie das wärmt! Das ist ebenso gut wie warmes Essen, und nicht so theuer! Trinke, mein Junge! Du siehst ganz blaß aus, es friert Dich in den dünnen Kleidern! Es ist ja auch Herbst. Hu! wie ist das Wasser kalt! Wenn ich nur nicht krank werde! Doch das werde ich nicht! Gieb mir noch einen Schluck und trinke auch Du, aber nur ein Tröpfchen, Du darfst Dich nicht daran gewöhnen, mein armes, gutes Kind!«
Und sie ging um die Brücke herum, auf welcher der Knabe stand und trat ans Land; das Wasser troff von der Strohmatte, die sie um den Leib gebunden hatte, und von ihrem Rocke.
»Ich arbeite und quäle mich, daß das Blut mir fast unter den Nägeln hervorquillt! aber ich thu' es gern, wenn ich Dich nur ehrlich und rechtschaffen durchbringe, mein lieber Junge!«
In diesem Augenblicke trat eine etwas ältere Frau heran, eine ärmliche Erscheinung, lahm an dem einen Beine und mit einer gar großen, falschen Locke über dem einen blinden Auge: das Auge sollte von der Locke bedeckt sein, aber sie machte den Fehler dadurch nur auffallender. Es war eine Freundin der Waschfrau; »die lahme Marthe mit der Locke,« nannten sie die Nachbarn.
»Du Arme, wie Du arbeitest und in dem kalten Wasser stehst! Du hast wahrhaftig nöthig, daß Du Dich ein wenig erwärmst, und doch schreien die bösen Zungen über die paar Tropfen, die Du trinkst! – Und nun währte es nur wenige Augenblicke, so war die ganze Rede des Bürgermeisters der Waschfrau hinterbracht, denn Marthe hatte Alles gehört und es hatte sie geärgert, daß er in solcher Weise zu dem Kinde von dessen eigener Mutter und von den wenigen Tropfen sprach, die sie zu sich nahm, und zwar weil es an diesem Tage geschehe, an welchem der Bürgermeister selbst einen großen Mittagsschmauß gab mit Wein flaschenweise! Feine Weine, und starke Weine! Ein wenig über den Durst vieler Leute! Aber das nennt man nicht trinken! Die taugen, aber Du taugst nichts!«
»Ah so, er hat mit Dir gesprochen, Kind?« sagte die Waschfrau, und ihre Lippen bewegten sich zitternd: »Du hast eine Mutter, die nichts taugt! Vielleicht hat er Recht! Aber dem Kinde sollte er es nicht sagen! Doch von dem Hause aus ist Vieles über mich gekommen!«
»Ihr habt ja dort gedient, als noch die Eltern des Bürgermeisters am Leben waren und das Haus bewohnten; das sind viele Jahre her! Seitdem sind viele Scheffel Salz gegessen, und man kann schon Durst haben;« und Marthe lächelte. »Der Bürgermeister hat heute großen Mittagstisch, den Gästen hätte es abgesagt werden sollen, aber es wurde zu spät, und das Essen war auch schon fertig. Ich habe es von dem Hausknechte gehört. Vor einer Weile ist ein Brief gekommen, daß der jüngere Bruder in Kopenhagen gestorben ist!«
»Gestorben!« rief die Waschfrau, und wurde leichenblaß.
»Ei doch!« sagte Marthe, »Nehmt Ihr Euch das so sehr zu Herzen? Nun, Ihr kanntet ihn von der Zeit her, als Ihr dort im Hause dientet.«
»Ist er todt! Er war so ein lieber, herzensguter Mann! Der Herr bekommt nicht Viele seines Gleichen!« und die Thränen rollten ihr über die Wangen herab. »O, mein Gott, es tanzt Alles um mich her – das ist, weil ich die Flasche leerte – das habe ich nicht vertragen können – ich fühle mich ganz unwohl!« und sie lehnte sich an die Planke.
»Herr Gott! Ihr seid ganz krank,« sagte die andere Frau. »Seht zu, daß das wieder vorüber geht! – Nein, Ihr seid in der That ernstlich krank! Es wird am besten sein, daß ich Euch nach Hause bringe!«
»Aber die Wäsche dort.«
»Ich werde mich schon der Wäsche annehmen! – Kommt, reicht mir Euren Arm! Der Junge kann hier bleiben und aufpassen, ich werde dann wiederkommen und den Rest waschen, das ist ja nur eine Kleinigkeit!« Und die Füße schwankten unter der Waschfrau.
»Ich habe zu lange in dem kalten Wasser gestanden; seit heute Morgen habe ich weder Essen noch Trinken gesehen! Das Fieber steckt mir im Körper. O, Herr Jesus, hilf mir, daß ich nach Hause komme! – Mein armes Kind!« – Sie weinte. Auch der Knabe weinte, und bald saß er allein am Flusse bei der nassen Wäsche. Die zwei Frauen schritten nur langsam weiter, die Waschfrau schleppend, schwankend durch das Gäßchen um die Ecke in die Straße, an dem Hause des Bürgermeisters vorüber, und gerade vor demselben sank sie auf das Straßenpflaster nieder. Es sammelten sich mehrere Leute; die lahme Marthe lief ins Haus nach Hilfe. Der Bürgermeister und seine Gäste traten an's Fenster.
»Das ist die Waschfrau!« sagte er, »die hat ein wenig über den Durst getrunken; sie taugt nichts! Schade um den hübschen Knaben, den sie hat. Ich mag in der That den Jungen gern. Die Mutter taugt nichts!«
Und die Waschfrau erholte sich wieder und man führte sie in ihre armselige Wohnung, woselbst sie zu Bette gebracht wurde. Die gute Marthe kochte eine Schaale Warmbier mit Butter und Zucker; diese Medicin, glaubte sie, sei die beste, und darauf begab sie sich nach dem Flusse, spülte gar schlecht, aber meinte es gut, zog eigentlich nur die nasse Wäsche an's Land und legte sie in einen Korb.
Gegen Abend saß sie in dem ärmlichen Stübchen bei der Waschfrau. Einige geröstete Kartoffeln und ein schönes fettes Stück Schinken hatte die Köchin des Bürgermeisters ihr für die Kranke gegeben; daran thaten Marthe und der Knabe sich gütlich; die Kranke erfreute sich an dem Geruch, derselbe sei sehr nahrhaft, meinte sie.
Und der Knabe wurde zu Bette gebracht, in dasselbe, in welchem die Mutter lag, aber er hatte seinen Platz quer zu ihren Füßen, und deckte sich mit einer alten Fußdecke zu, die von blauen und rothen Streifen zusammengenäht war.
Mit der Waschfrau ging es ein wenig besser; das Warmbier hatte sie gestärkt und der Geruch des feinen Essens ihr wohlgethan.
»Habe Dank, Du gute Seele!« sagte sie zu Marthe. »Ich will Dir auch erzählen, wenn der Knabe schläft. Ich glaube, er thut es schon. Wie süß und fromm er aussieht, so wie er dort mit geschlossenen Augen liegt! Er weiß nicht, wie es um seine Mutter steht, Gott gebe, daß er es nie erfahre! – Ich diente bei dem Kammerrath, bei den Eltern des Bürgermeisters; es traf sich nun, daß der jüngste der Söhne, der Student, nach Hause kam; damals war ich jung, ein wildes Mädchen, aber ehrbar, das darf ich im Angesichte Gottes sagen!« – sagte die Waschfrau – »der Student war lustig und guter Dinge, lieb und brav! Jeder Blutstropfen in ihm war gut und rechtschaffen; ein besserer Mensch ist nicht auf Erden gewesen. Er war Sohn im Hause, ich nur Magd, aber wir liebten uns; in Zucht und Ehren; ein Kuß ist doch keine Sünde, wenn man sich recht liebt. Und er sagte es seiner Mutter; sie war ihm als der liebe Herrgott hier auf Erden! Und sie war klug und liebevoll! – Er reiste ab, und seinen goldenen Ring steckte er mir an den Finger; und als er kaum aus dem Hause war, rief meine Herrin mich vor sich. Ernst und doch milde trat sie mir gegenüber und sprach als wäre es Gott selbst, welcher redete; sie machte mir den Abstand klar zwischen ihm und mir, im Geist und in der Wahrheit.«
»Jetzt steht er darauf, wie gut Du aussiehst, aber das Aussehen wird vergehen! Du bist nicht erzogen wie er, Ihr seid einander nicht gleich im Reiche des Geistes, und darin liegt das Unglück. Ich achte den Armen« – sagte sie – »bei Gott dürfte er einen höheren Platz als mancher Reiche einnehmen; aber hier auf Erden muß man sich hüten, in ein falsches Geleis zu gerathen, wenn man vorwärts fährt, sonst schlägt der Wagen um, und Ihr Beide werdet umschlagen! Ich weiß, daß ein braver Mann, ein Handwerker um Dich angehalten hat, ich meine Erich, den Handschuhmacher; er ist Witwer, hat keine Kinder, steht sich gut; überlege Dir das!«
»Jedes Wort, das sie