Menschen, Göttern gleich (Roman). H. G. Wells. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: H. G. Wells
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783746746524
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zu erfahren. Denn die kühnen Versuche jener zwei großen Genies, Ardenn und Chrysolagone, die – (unhörbar) – Kraft der Atome auszunützen, um einen Teil des utopischen Weltenkörpers in jene Dimension, die F-Dimension, in welche er sich bekanntlich auf etwa eines Armes Länge erstreckt, zu stoßen, so wie ein Tor sich in den Angeln bewegt, sei offensichtlich vollständig erfolgreich gewesen. Das Tor sei wieder zurückgeschwungen und habe einen Schwall dumpfer Luft, einen Sturm von Staub und zum größten Erstaunen Utopias drei Gruppen von Besuchern aus einer unbekannten Welt mitgebracht!

      »Drei?« flüsterte Mr. Barnstaple voll Zweifel. »Sagte er drei?«

      (Serpentin schenkte ihm keine Beachtung.)

      »Unser Bruder und unsere Schwester wurden durch eine unerwartete Entfesselung von Kräften getötet, aber ihr Experiment hat einen Weg eröffnet, der nun nie wieder gesperrt zu werden braucht, aus den gegenwärtigen räumlichen Grenzen Utopias hinaus in einen unermeßlichen Raum voll bisher unvorstellbarer Welten; dicht neben uns, so wie es Monopetros bereits vor vielen Jahren annahm, uns näher, wie er sich so poetisch ausdrückte, als das Blut unseres Herzens …«

      (»Näher als unser Atem oder als Hände und Füße …« Pater Amerton hatte, plötzlich aufwachend, falsch verstanden. »Aber worüber spricht er denn? Ich verstehe es nicht!«)

      »… entdecken wir einen anderen Planeten, der, nach dem Ausmaß seiner Bewohner zu urteilen, ebenso groß ist wie unserer, und der sich, wie wir bestimmt annehmen können, um eine Sonne dreht, die derjenigen in unseren Himmelsräumen ähnlich ist, einen Planeten, der Leben auf sich trägt und wie unserer langsam durch vernunftbegabte Wesen unterworfen wird, die sich offenbar unter fast genau denselben Bedingungen entfalten wie die unserer eigenen Entwicklung. Diese Schwesterwelt ist, soweit wir nach dem Anschein urteilen können, im Verhältnis zu uns ein wenig zurückgeblieben. Unsere Besucher tragen etwas, das wie Kleider aussieht, und zeigen physische Eigenschaften, ähnlich denen unserer Vorfahren im letzten Zeitalter der Verwirrung.

      Wir sind bis jetzt noch nicht berechtigt, anzunehmen, daß ihre Geschichte sich genau parallel der unseren entwickelt hat. Keine zwei Teilchen der Materie sind einander gleich, keine zwei Schwingungen. In keiner Dimension des Seins, in keiner Welt Gottes gab es je oder kann es jemals eine genaue Wiederholung geben. Daß dies unmöglich ist, haben wir einsehen gelernt. Nichtsdestoweniger ist uns diese Welt, die ihr Erde nennt, offenbar sehr nahe und unserem Weltkörper ähnlich.

      Wir sind begierig, von euch Erdlingen zu lernen, unsere Geschichte, die uns noch höchst unvollkommen bekannt ist, anhand eurer Erfahrungen zu überprüfen, euch zu zeigen, was wir wissen, ausfindig zu machen, was an Verkehr und gegenseitiger Hilfe zwischen der Bevölkerung eures Planeten und der des unseren möglich und wünschenswert wäre. Wir hier sind die reinsten Anfänger im Wissen; wir haben bis jetzt kaum mehr erkannt, als die Unendlichkeit dessen, was wir noch zu erlernen und zu tun haben. In einer Million verwandter Dinge könnten unsere beiden Welten vielleicht einander belehren und einander mit Rat und Tat beistehen.

      Möglicherweise gibt es auf eurem Planeten Entwicklungsrichtungen, die sich auf unserem nicht entwickeln konnten oder ausgestorben sind. Möglicherweise gibt es Elemente oder Mineralien in der einen Welt, die in der anderen selten sind oder völlig fehlen … Die Struktur eurer Atome? … unsere Welten könnten sich miteinander vermischen? … zu ihrer gemeinsamen Erstarkung …«

      Er wurde gerade im Moment unhörbar, als Mr. Barnstaple am meisten bewegt und am begierigsten war, seinen Worten zu folgen. Trotzdem hätte ein Tauber erkannt, daß er noch sprach.

      Mr. Barnstaple begegnete dem Blick Mr. Rupert Catskills, der ebenso bestürzt und verwundert war wie er. Pater Amerton hatte das Gesicht in die Hände vergraben. Lady Stella und Mr. Mush flüsterten leise miteinander; sie gaben sich seit langem nicht einmal mehr den Anschein, als ob sie zuhörten.

      »Dies ist«, sagte Serpentin, auf einmal wieder vernehmbar, »unser erster Versuch einer Erklärung für euer Erscheinen in unserer Welt und der Möglichkeiten unseres Zusammenwirkens. Ich habe euch unsere Ideen so deutlich, wie ich nur konnte, auseinandergesetzt. Ich möchte vorschlagen, daß nun einer von euch einfach und offen erklärt, wie ihr über das Verhältnis eurer Welt zu der unseren denkt.«

V Die Regierungsform und die Geschichte Utopias

      14

      Eine Pause entstand. Die Erdlinge blickten einander an, und ihre Blicke schienen sich auf Mr. Cecil Burleigh zu konzentrieren. Aber dieser Staatsmann tat so, als ob er die allgemeine Erwartung nicht bemerke.

      »Rupert«, sagte er, »möchtest du nicht …?«

      »Ich hebe meine Bemerkungen für später auf«, sagte Mr. Catskill.

      »Pater Amerton, Sie sind an den Umgang mit anderen Welten gewöhnt.«

      »Nein, nicht in Ihrer Gegenwart, Mr. Cecil.«

      »Aber was soll ich ihnen erzählen?«

      »Was Sie darüber denken«, sagte Mr. Barnstaple.

      »Jawohl«, sagte Mr. Catskill, »erzähl ihnen, was du darüber denkst.«

      Kein anderer erschien würdig, in Betracht gezogen zu werden. Mr. Burleigh erhob sich langsam und schritt gedankenvoll zum Mittelpunkt des Halbkreises. Er faßte seine Rockaufschläge und verharrte einige Augenblicke mit gesenktem Antlitz, als ob er überlegte, was er sagen solle.

      »Mr. Serpentin«, begann er endlich, indem er eine ehrliche Miene aufsetzte und den blauen Himmel über dem entfernten See durch seine Gläser betrachtete, »meine Damen und Herren …«

      Er setzte zu einer Rede an, als befände er sich auf einem Gartenfest oder in einer Sitzung des Völkerbundes. Es war geschmacklos, aber was sollte er anderes tun?

      »Ich muß gestehen, mein Herr, daß ich mich bei diesem Anlaß gewissermaßen in Verlegenheit befinde, obwohl ich im öffentlichen Sprechen keineswegs Neuling bin. Ihre bewundernswerten Ausführungen, mein Herr, einfach, zutreffend und klar, bisweilen zu Momenten ungekünstelter Beredsamkeit anwachsend, haben mir ein Vorbild errichtet, dem ich gerne folgen möchte – und vor dem ich, in aller Bescheidenheit, verzage. Sie fordern mich auf, Ihnen so einfach und klar wie möglich die wichtigsten Tatsachen über jene verwandte Welt zu berichten, aus der wir ohne jede Absicht zu Ihnen gelangt sind. Ich glaube nicht, daß meine schwachen Kräfte, so geheimnisvolle Angelegenheiten zu verstehen oder zu besprechen, ausreichen, um Ihre bewundernswerte Darlegung der mathematischen Aspekte dieses Falles besser darlegen oder ergänzen zu können. Was Sie uns erzählt haben, umfaßt die letzten, tiefsten Gedanken irdischer Weisheit und geht fürwahr weit über die uns geläufigen Ideen hinaus. In gewissen Dingen, zum Beispiel was die Verknüpfung von Zeit und Schwerkraft anbelangt, fühle ich mich allerdings verpflichtet, zu gestehen, daß ich nicht Ihrer Meinung bin, aber dies ist eher auf ein Nichtverstehen Ihres Standpunktes, als auf irgendeine tatsächliche Meinungsverschiedenheit zurückzuführen. Über die breiteren Aspekte des Problems wird es keine Meinungsverschiedenheiten zwischen uns geben. In der Hauptsache schließen wir uns vorbehaltslos Ihren Behauptungen an; das heißt, wir sind uns dessen bewußt, daß wir in einem Universum leben, das dem Ihren gleichgerichtet ist, auf einem Planeten, der als Bruder des Ihrigen ihm wirklich merkwürdig ähnlich sieht, auch unter Berücksichtigung aller möglichen Kontraste, die wir hier entdeckt haben. Ihre Ansicht, daß unser System aller Wahrscheinlichkeit nach zeitlich etwas verspätet und weniger gereift ist und vielleicht einige hundert oder einige tausend Jahre hinter Ihren Erfahrungen zurücksteht, interessiert uns, und wir sind sehr geneigt, sie zu teilen. Wenn wir dies zugeben, mein Herr, ist es unvermeidlich, daß unser Benehmen Ihnen gegenüber eine gewisse Bescheidenheit annimmt. Als den Jüngeren steht es uns nicht zu, zu lehren, sondern zu lernen. An uns liegt es eher, zu fragen: Was haben Sie geschaffen? Was haben Sie erreicht?, als mit naiver Überheblichkeit all das, was wir noch zu lernen und zu leisten haben, vor Ihnen auszubreiten …«

      ›Nein‹, sagte Mr. Barnstaple zu sich, aber halb hörbar, ›das ist ein Traum … Wenn das jemand anderer gesagt hätte …‹

      Er rieb sich mit den Fingerknöcheln die Augen, öffnete sie dann wieder, aber immer noch war er da und saß neben Mr. Mush