»Ja, das ist eine Kleinigkeit für mich,« prahlte der Junge und hoffte, daß der Bärenvater Respekt vor ihm bekommen würde.
»Das ist gut,« sagte der Bärenvater. »Dann sollst du mir einen Dienst leisten. Nun freue ich mich wirklich, daß ich dich nicht aufgefressen habe.«
Dann nahm der Bär den Jungen ganz vorsichtig zwischen die Zähne und kletterte mit ihm aus der Höhle heraus. Das ging erstaunlich leicht und schnell, obwohl er so groß und schwer war. Oben angelangt, lief er sogleich in den Wald. Auch das ging sehr schnell. Es unterlag keinem Zweifel, daß der Bärenvater wie dazu geschaffen war, sich den Weg durch dichte Wälder zu bahnen. Sein schwerer Körper schoß durch das Dickicht wie ein Boot durch das Wasser.
Der Bärenvater lief weiter, bis er an einen Hügel am Waldessaum anlangte, von wo aus er das große Eisenwerk sehen konnte. Dort legte er sich nieder, stellte den Jungen vor sich hin und hielt ihn mit beiden Tatzen fest.
»Sieh dir nun das große Bullerwerk da unten an,« sagte er zu dem Jungen.
Das Eisenwerk lag mit seinen vielen hohen und großen Gebäuden am Ufer eines Wasserfalls. Hohe Schornsteine spien schwarze Rauchwolken aus, das Feuer aus den Schmelzöfen flammte, und aus allen Fenstern und Luken schimmerte Licht. Dadrinnen waren Hämmer und Walzwerke im Gange, und sie arbeiteten mit so großer Kraft, daß die Luft widerhallte von Lärm und Gebuller. Rings um das Fabrikgebäude selbst lagen mächtige Kohlenschuppen, große Haufen von Schlacken, Speicher, Bretterstapel und Gerätschaftshäuser. Ein wenig weiterhin stand eine lange Reihe von Arbeiterwohnungen, nette Villen, Schulen, Versammlungshäuser und Läden. Aber all das andere war still und schien zu schlafen. Der Junge sah gar nicht nach der Seite, er hatte nur Auge für das Eisenwerk. Die Erde rings um das Werk war schwarz, der Himmel wölbte sich herrlich dunkelblau über den Flammen aus dem Schmelzofen, der Gießbach glitt weißschäumend vorüber, und das Werk selbst stand da und sandte Licht und Rauch und Feuer und Funken in die Nacht hinaus. Nie hatte er etwas so Gewaltiges gesehen.
»Willst du nun auch behaupten, daß du eine so große Einrichtung anstecken kannst?« fragte der Bär.
Da stand nun der Junge eingeklemmt zwischen den Bärentatzen und glaubte, das Einzige, das ihn retten könne, sei, daß der Bär hohe Gedanken von seiner Macht und Tüchtigkeit bekam. »Es ist ganz einerlei, ob es groß oder klein ist,« sagte er deswegen. »Ich kann es trotzdem zum Brennen bringen.«
»Dann will ich dir etwas sagen,« erwiderte der Bären-Vater. »Meine Vorfahren haben in dieser Gegend gehaust, seit hier im Lande Wald zu wachsen begann, und ich habe Jagdgefilde und Grasfelder und Höhlen und Schlupfwinkel von ihnen geerbt und habe hier mein Lebelang in Ruhe und Frieden gewohnt. Zu Anfang wurde ich nicht viel von den Menschen gestört. Sie gingen in die Berge und hackten darin herum und sammelten ein wenig Erz heraus, und hier unten am Gießbach hatten sie ein Hammerwerk und einen Schmelzofen. Aber der Hammer bullerte nur ein paarmal am Tage, und in dem Schmelzofen war nur ein paar Monate hintereinander Feuer.
Darin konnte ich mich allenfalls finden. Aber jetzt in den letzten Jahren, seit sie dies Bullerwerk hier gebaut haben, das ununterbrochen Tag und Nacht lärmt, kann ich es hier nicht mehr aushalten. Früher wohnten hier nur ein Verwalter und einige Schmiede, aber jetzt ist es hier so voll von Menschen, daß ich nie sicher vor ihnen sein kann. Ich glaubte schon, ich müßte von hier fortziehen, aber nun habe ich einen besseren Ausweg gefunden.«
Der Junge dachte bei sich, welchen Ausweg der Bärenvater wohl gefunden haben könne, aber er hatte keine Zeit zu fragen, denn nun nahm ihn der Bärenvater wieder zwischen die Zähne und trottelte mit ihm den Hügel hinab. Der Junge konnte nichts sehen, aber aus dem zunehmenden Lärm begriff er, daß sie sich dem Eisenwerk näherten.
Der Bärenvater kannte das Eisenwerk gut. Er war in manch einer dunklen Nacht da umhergegangen, hatte beobachtet, was da vor sich ging und sich selbst gefragt, ob denn die Arbeit nie unterbrochen werden würde. Er hatte die Mauern mit den Tatzen untersucht und gewünscht, so stark zu sein, daß er das ganze Gebäude mit einem einzigen Schlag zu Boden schlagen könne.
Es war nicht leicht, ihn von der schwarzen Erde zu unterscheiden, und da er sich obendrein in dem Schatten der Mauern hielt, war keine besondere Gefahr vorhanden, daß er entdeckt werden würde. Jetzt ging er ohne Furcht zwischen die Werkstätten hinein und kletterte auf einen Schlackenhaufen. Hier richtete er sich auf den Hinterbeinen auf, nahm den Jungen zwischen die Vordertatzen und hob ihn in die Höhe. »Versuche, ob du in das Haus hineinsehen kannst!« sagte er.
Drinnen im Eisenwerk waren sie beim Bessemerblasen. Oben unter der Decke hing eine große, runde Kugel, die mit geschmolzenem Eisen gefüllt war; in die preßten sie einen starken Luftstrom hinein. Und als die Luft mit einem schrecklichen Lärm in die Eisenmasse hineindrang, stoben große Schwärme von Funken daraus heraus. Die Funken kamen in Bündeln, in Garben, in langen Trauben. Sie hatten viele verschiedene Farben, waren groß und klein, fuhren gegen eine Wand und flogen über den ganzen großen Raum hinaus. Der Bärenvater ließ den Jungen das prachtvolle Schauspiel ansehen, bis sie mit dem Blasen fertig waren, und der rote, fließende, schön schimmernde Strahl aus der runden Kugel in die Eimer hinabströmte. Der Junge fand das, was er sah, so schön, daß er ganz außer sich geriet und nahe daran war zu vergessen, daß er zwischen zwei Bärentatzen gefangen saß.
Der Bärenvater ließ den Jungen auch in das Walzwerk hineingucken. Ein Arbeiter war gerade dabei, ein kurzes und dickes Stück Eisen aus einem Ofen zu nehmen und es unter eine Walze zu legen. Als das Eisen wieder aus der Walze herauskam, war es lang und zusammengedrückt. Sogleich ergriff ein anderer Arbeiter es und legte es unter eine härtere Walze, die es noch länger und dünner machte. So ging es von Walze zu Walze, wurde gereckt und gestreckt und schlängelte sich schließlich als viele Ellen langer, rotglühender Faden am Fußboden entlang. Aber während das erste Stück Eisen gepreßt wurde, nahmen sie ein neues aus dem Ofen und legten es unter die Walzen, und wenn es ein wenig in Bewegung gekommen war, holten sie ein drittes. Unablässig schlängelten sich neue, rote Fäden gleich zischenden Schlangen am Boden entlang. Der Junge fand, daß es schön war, das Eisen zu sehen, noch schöner aber, die Arbeiter zu beobachten, die leicht und behende die glühenden Schlangen mit ihren Zangen packten und sie unter die Walzen zwangen. Es war für sie gleichsam ein Spiel, das siedende Eisen zu handhaben. »Das muß ich sagen, dies ist eine Arbeit für Männer,« dachte der Knabe.
Der Bär ließ ihn auch in den Schmelzofen hineinsehen und in die Stangeneisenschmiede, und der Junge staunte mehr und mehr, als er sah, wie die Schmiede Feuer und Glut handhabten. »Die Leute sind nicht bange vor Feuer und Hitze,« dachte er. Rußig und schwarz waren sie auch. Dem Jungen erschienen sie wie eine Art Feuermenschen, so wie sie das Eisen nach Belieben zu biegen und formen vermochten. Er konnte sich nicht denken, daß gewöhnliche Menschen eine solche Macht haben konnten.
»So arbeiten sie hier Tag für Tag und Nacht für Nacht,« sagte der Bärenvater und legte sich auf die Erde nieder. »Du kannst wohl begreifen, daß das nicht zum Aushalten ist. Ein Glück, daß ich dem Treiben jetzt ein Ende machen kann.«
»Könnt Ihr das?« fragte der Junge. »Wie wollt Ihr das nur machen?«
»Ich habe mir gedacht, daß du die Gebäude hier anstecken sollst,« sagte der Bärenvater. »Auf die Weise würde ich den ewigen Spektakel los werden und könnte in meiner Heimat wohnen bleiben.«
Dem Jungen lief es kalt wie Eis über den ganzen Körper. Darum also hatte der Bärenvater ihn hierhergebracht! »Wenn du das Bullerwerk ansteckst, verspreche ich dir, daß du dein Leben behalten sollst,« sagte der Bärenvater. »Tust du aber nicht, was ich will, so wird es bald mit dir aus sein.«
Die großen Werkstätten hatten starke Mauern, und der Junge dachte, der Bärenvater kann soviel befehlen, wie er wollte, es war ja ganz unmöglich, ihm zu gehorchen. Gleich darauf aber sah er, daß es am Ende doch nicht so ganz unmöglich sein würde. Dicht neben ihm lag ein Haufen Stroh und Hobelspäne, den er leicht anstecken konnte, neben den Spänen befand sich ein Bretterstapel, und der Bretterstapel stieß an den großen Kohlenschuppen. Der Kohlenschuppen aber ging ganz bis an die Werkstätten heran, und wenn der zu brennen anfing, würde das Feuer bald auf das Dach des