Hiermit ist jedoch nicht alles über das Land mit den drei Stufen gesagt. Das aber soll noch gesagt werden, daß da oben in Smaaland in dem großen Haus einstmals ein Riese wohnte, der alt geworden war. Und es ergrimmte ihn, daß er in seinem hohen Alter gezwungen sein sollte, die lange Treppe hinabzugehen, um in der See Lachs zu fischen. Er fand, es sei bequemer, wenn die Lachse zu ihm hinaufkämen, da, wo er wohnte.
Deswegen stieg er auf das Dach seines großen Hauses, und da stand er und warf Steine in die Ostsee hinein. Er warf sie mit großer Kraft, daß sie über ganz Bleking flogen und ins Meer hinabfielen. Und als die Steine fielen, erschrak der Lachs so sehr, daß er aus dem Meer herausstieg, den Strom in Bleking aufwärts flüchtete, durch die Gießbäche dahinstürzte, sich mit großen Sprüngen die Wasserfälle hinaufwarf und erst haltmachte, als er weit drinnen in Smaaland bei dem alten Riesen angelangt war.
Daß dies wahr ist, kann man an den vielen kleinen Inseln und Klippen sehen, die an der Küste von Bleking liegen, und die nichts anderes sind als die vielen, großen Steine, die der Riese hinabgeworfen hat.
Man kann es auch daran sehen, daß der Lachs noch heute in die Blekinger Ströme hinaufgeht und sich durch Gießbäche und stilles Wasser ganz bis nach Smaaland hinaufarbeitet.
Aber die Bewohner von Blekinge sind dem Riesen zu großem Dank verpflichtet, denn der Lachsfang in den Strömen und die Steinhauerei in den Schären ist eine Arbeit, die noch heutigen Tages viele von ihnen ernährt.«
VIII. Am Rönneberger Bach
Freitag, den 1. April.
Weder die wilden Gänse noch Reineke Fuchs hatten sich gedacht, daß sie einander jemals wieder begegnen sollten, wenn sie erst Schonen verlassen hatten. Aber nun traf es sich ja so, daß die wilden Gänse den Weg über Blekinge nehmen mußten, und dahin hatte sich Reineke Fuchs ebenfalls begeben. Anfangs hatte er sich in dem nördlichen Teil aufgehalten, und er hatte bisher weder die Schloßparke noch die Tiergärten voller Rehe und leckerer Rehkitzchen gesehen. Er war so mißvergnügt wie nur möglich.
Eines Nachmittags, als Reineke in einer einsamen Waldgegend nicht weit vom Rönneberger Bach umherstreifte, sah er eine Schar wilder Gänse durch die Luft ziehen. Er bemerkte sofort, daß die eine von den Gänsen weiß war, und da wußte er ja, mit wem er es zu tun hatte.
Reineke machte sich sogleich daran, hinter den Gänsen drein zu jagen, ebensosehr aus Verlangen nach einem guten Bissen, wie um sich an ihnen für all den Schaden zu rächen, den sie ihm zugefügt hatten. Er sah, daß sie gen Osten zogen, bis sie an den Rönneberger Bach gelangten. Dann wechselten sie die Richtung und folgten dem Bach nach Süden zu. Er begriff, daß sie einen Schlafplatz am Ufer des Baches suchen wollten, und er dachte, daß er wohl ein paar Stück von ihnen ohne große Schwierigkeit ergattern könne.
Aber als Reineke endlich den Platz erblickte, wo sich die Gänse niedergelassen hatten, sah er wohl, daß sie eine Stelle gewählt hatten, die so gut geschützt war, daß er nicht zu ihnen gelangen konnte.
Der Rönneberger Bach ist ja kein sehr großes oder starkes Gewässer, aber er ist doch sehr bekannt wegen seiner schönen Ufer. An mehreren Stellen bahnt er sich seinen Weg durch steile Felswände, die lotrecht aus dem Wasser aufsteigen und ganz mit Gaisblatt und Faulbaum, mit Weißdorn und Erlengestrüpp, mit Ebereschen und Weiden bewachsen sind. Und es gibt kaum etwas Erfreulicheres an einem schönen Sommertag, als den kleinen dunklen Bach hinabzurudern und all das weiche Grün zu sehen, das sich in den rauhen Felswänden festklammert.
Aber jetzt, als die wilden Gänse und Reineke an den Bach kamen, war es noch früh im Lenz, es war naßkalt und windig, alle Bäume standen kahl und niemand achtete darauf, ob das Bachufer häßlich war oder schön. Die wilden Gänse priesen sich glücklich, daß sie unter so einer steilen Felswand einen schmalen Streifen Sand entdeckt hatten, gerade so groß, daß sie Platz darauf fanden. Vor ihnen der brausende Bach, der jetzt in der Schneeschmelze breit und reißend war, hinter ihnen die unerklimmbare Felswand, und sie selber von herabhängendem Gras verborgen. Sie konnten es nicht besser haben.
Die Gänse schliefen sofort ein, aber der Junge schloß kein Auge. Sobald die Sonne verschwunden war, ergriff ihn die Angst vor der Dunkelheit und Einsamkeit, und er sehnte sich zu den Menschen zurück. Wie er da so unter dem Gänseflügel lag, konnte er nichts sehen und nur schlecht hören; stieß dem Gänserich etwas zu, so war er nicht imstande, ihn zu retten. Rascheln und Pusseln hörte er von allen Seiten, und es überkam ihn eine solche Unruhe, daß er unter dem Flügel hervorkriechen und sich neben die Gänse an den Erdboden setzen mußte.
Oben am Rande des Felsens stand Reineke, machte ein langes Gesicht und sah auf die wilden Gänse hinab. »Du kannst es nur gleich aufgeben, sie zu verfolgen,« sagte er zu sich selbst. »Eine lotrechte Felswand kannst du doch nicht hinabklettern, in einem so reißenden Strom kannst du nicht schwimmen, und unterhalb des Berges ist nicht der geringste Streifen Erde, der zu dem Schlafplatz führt. Die Gänse sind zu klug für dich. Denk' nur gar nicht mehr daran, sie zu jagen.«
Aber es wurde Reineke, wie allen andern Füchsen, schwer, ein Vorhaben aufzugeben, das er begonnen hatte, und er legte sich deswegen an den äußersten Rand der Klippe und verwandte kein Auge von den wilden Gänsen. Während er da lag und sie ansah, dachte er an all das Böse, das sie ihm zugefügt hatten. Um ihretwillen war er ja aus Schonen verwiesen, war er gezwungen worden, nach dem armseligen Bleking zu ziehen. Er erregte sich selbst derartig, daß er den wilden Gänsen den Tod wünschte, selbst wenn er nicht den Vorteil haben sollte, sie aufzufressen.
Als Reinekes Zorn eine solche Höhe erreicht hatte, hörte er neben sich in einer großen Fichte etwas rascheln und sah ein Eichhörnchen von dem Baum herabspringen, scharf verfolgt von einem Marder. Keins von beiden hatte Reineke bemerkt, und er saß still da und schaute der Jagd zu, die von Baum zu Baum ging. Er sah zu dem Eichhörnchen hinüber, das so leicht zwischen den Zweigen umhersprang, als könne es fliegen. Er sah den Marder an, der lange nicht so gut kletterte wie das Eichhörnchen, aber doch sicher an den Baumstämmen auf und nieder lief, als seien es ebene Steige im Walde. »Kletterte ich nur halb so gut wie eins von den beiden,« dachte der Fuchs, »so sollten die da unten nicht lange ruhig schlafen.«
Sobald das Eichhörnchen gefangen und die Jagd beendet war, ging Reineke zu dem Marder, blieb aber in Entfernung von zwei Schritten stehen, zum Zeichen, daß er ihm die Jagdbeute nicht entreißen wollte. Er begrüßte den Marder sehr freundlich und wünschte ihm Glück zu dem Fang. Reineke hatte das Wort sehr in der Gewalt, so wie alle Füchse. Aber der Marder, der mit seinem langen und schmalen Körper, seinem feinen Kopf, seinem weißen Fell und seinem hellbraunen Fleck am Halse aussieht wie ein kleines Wunder von Schönheit, ist in Wirklichkeit nur ein roher Waldbewohner, und er antwortete ihm kaum. »Es wundert mich doch,« sagte Reinecke, »daß ein so gewaltiger Jäger wie du sich damit begnügt, Eichhörnchen zu jagen, wenn da so viel besseres Wild in deinem Bereich ist.« Hier machte er eine Pause und wartete auf eine Antwort, aber als ihm der Marder ganz frech die Zähne zeigte, fuhr er fort: »Ist es möglich, daß du die wilden Gänse nicht gesehen hast, die hier unter der Felswand stehen? Oder kletterst du nicht gut genug, um zu ihnen hinabzugelangen?«
Diesmal brauchte er nicht auf die Antwort zu warten. Der Marder fuhr auf ihn ein – sein Rücken war krumm und alle seine Haare sträubten sich. »Hast du wilde Gänse gesehen?« fauchte er. »Wo sind sie? Sag' es mir sofort, sonst beiß' ich dir die Kehle durch!« – »Vergiß nur ja nicht, daß ich doppelt so groß bin wie du; sei nur lieber ein wenig