Selma Lagerlöf - Gesammelte Werke. Selma Lagerlöf. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Selma Lagerlöf
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783746750200
Скачать книгу
daß vor langer Zeit die Wölfe von Sonfjeldet einen Mann überfallen haben sollen, der Tonnen und Kübel verkaufte,« sagte Bataki. »Er war aus Hede, einem Dorf, das hier im Tal liegt, einige Meilen höher als wir uns befinden. Es war Winter, und die Wölfe jagten hinter ihm her, als er über das Eis des Ljusnan fuhr. Es mochten wohl an zehn Stück sein, und der Mann aus Hede hatte ein schlechtes Pferd, so war da nicht viel Hoffnung, daß er ihnen entkommen würde. Als der Mann die Wölfe heulen hörte und sah, was für eine große Schar es war, die Jagd auf ihn machte, verlor er den Kopf, und es kam ihm nicht einmal in den Sinn, daß er Kübel und Eimer und Wannen vom Wagen werfen könne, um die Last leichter zu machen. Er peitschte nur auf das Pferd los, und das lief auch, so schnell es nur laufen konnte. Aber der Mann sah bald, daß die Wölfe immer näher kamen. Es wohnten keine Menschen an dem Ufer des Sees, und es waren noch mehrere Meilen bis zu dem nächsten Hof. Allem Anschein nach war seine letzte Stunde gekommen, und er fühlte, wie er ganz starr vor Schrecken wurde.

      Während er wie versteinert dasaß, sah er, daß sich etwas zwischen den Tannenzweigen rührte, die, um den Weg zu bezeichnen, auf dem Eis aufgehäuft waren. Und als er sah, wer da ging, war es ihm, als werde das Entsetzen, das ihn gepackt hatte, noch zehnmal größer.

      Es waren keine Wölfe, die ihm entgegenkamen, sondern eine arme alte Frau. Sie hieß Finnen-Malene und streifte immer auf den Wegen und Steigen umher. Sie hinkte ein wenig und war buckelig, so daß er sie schon von weitem erkennen konnte. Die alte Frau ging geradeswegs auf die Wölfe zu. Wahrscheinlich hinderte der Schlitten sie, die Tiere zu sehen, und der Mann aus Heide war sich sofort klar darüber, daß, wenn er an ihr vorüberfuhr, ohne sie zu warnen, sie den wilden Tieren gerade in den Rachen lief, und während die Wölfe sie zerrissen, konnte er dann entkommen.

      Sie ging langsam, auf ihren Stock gestützt; wenn er ihr nicht half, war sie rettungslos verloren. Aber selbst wenn er anhielt und sie aufforderte, sich auf den Boden des Schlittens zu setzen, war es deswegen durchaus nicht sicher, daß sie gerettet wurde. Nahm er sie in den Schlitten auf, so war die Gefahr, daß die Wölfe sie einholen würden, nur um so größer, und er und das Pferd mußten ihr Leben lassen. Ob es wohl richtig war, ein Leben zu opfern um zwei andere zu retten?

      Das alles ging ihm in demselben Augenblick, als er die Alte sah, durch den Kopf. Und nicht genug damit, er hatte auch noch Zeit, darüber nachzudenken, wie es ihm hinterher ergehen würde, ob er es bereuen würde, daß er der Alten nicht geholfen hatte, und ob die Leute wohl erfahren würden, daß er ihr begegnet war und ihr nicht geholfen hatte.

      Es war eine entsetzliche Versuchung, der er ausgesetzt war. ›Wenn ich ihr doch nie begegnet wäre!‹ sagte er zu sich selbst.

      Im selben Augenblick brachen die Wölfe in ein wildes Geheul aus. Das Pferd zuckte zusammen, sauste in der wildesten Fahrt dahin und jagte an dem Bettelweib vorüber. Auch sie hatte die Wölfe heulen hören, und als der Mann aus Heide vorüberfuhr, konnte er sehen, daß sie wußte, was ihrer harrte. Sie stand still, der Mund öffnete sich zu einem Schrei, und sie streckte die Arme nach Hilfe aus, aber sie schrie weder, noch versuchte sie, auf den Schlitten hinaufzuspringen. Irgend etwas mußte sie gelähmt haben. ›Ich habe wohl wie ein Troll ausgesehen, als ich an ihr vorüberfuhr,‹ dachte der Mann.

      Jetzt war er überzeugt, daß er entkommen würde, und er versuchte, sich darüber zu freuen. Statt dessen begann es aber in seiner Brust zu brennen und zu nagen. Er hatte noch nie zuvor etwas Unehrenhaftes getan und hatte nun ein Gefühl, als sei sein ganzes Leben zerstört. ›Mag es gehen, wie es will,‹ sagte er und hielt das Pferd an, ›ich kann sie nicht mit den Graubeinen allein lassen!‹

      Nur mit großer Mühe gelang es ihm, das Pferd zu wenden, aber es ging schließlich, und bald hatte er die alte Frau eingeholt. ›Krieche schnell auf den Schlitten herauf,‹ sagte er in barschem Ton, denn er war ärgerlich auf sich selbst, weil er die Alte ihrem Schicksal hatte überlassen können. ›Was hast du hier auf dem Eise herumzurennen, du alte Hexe,‹ herrschte er sie an. ›Nun müssen der Rappe und ich beide deinetwegen unser Leben lassen!‹

      Die Alte erwiderte kein Wort, aber der Mann aus Heide war nicht in der Stimmung, sie zu schonen. ›Der Rappe ist heute schon fünf Meilen gelaufen,‹ sagte er, ›er wird wohl bald müde werden, und die Last ist auch nicht leichter geworden, seit du hinzugekommen bist!‹

      Die Schlittenkufen schurrten auf dem Eis, so daß es kreischte, aber trotzdem konnte er die Wölfe fauchen hören, und er war sich klar darüber, daß die Graubeine ihn nun eingeholt hatten. ›Jetzt ist es aus mit uns,‹ sagte er. ›Weder du noch ich hatten viel Freude davon, daß ich versuchte, dich zu retten, Finnen-Malene.‹

      Bisher hatte die Alte geschwiegen, wie jemand, der gewöhnt ist, sich ausschelten zu lassen. Jetzt sprach sie ein paar Worte. ›Ich kann nicht begreifen, warum du die Tonnen und Kübel nicht herunterwirfst, um die Last zu erleichtern. Du kannst ja morgen wiederkommen und alles aufsammeln.‹

      Der Mann aus Heide sah ein, daß dies ein vernünftiger Rat war und wunderte sich nur darüber, daß er selbst nicht eher daran gedacht hatte. Er ließ die Alte die Zügel halten, löste den Strick, der die Gefäße zusammenhielt, und warf sie vom Schlitten. Die Wölfe waren ganz dicht hinter ihnen drein. Aber nun machten sie halt, um zu untersuchen, was da auf das Eis geworfen wurde, und der Schlitten bekam wieder einen kleinen Vorsprung.

      ›Wenn das nicht hilft, so kannst du doch wohl begreifen, daß ich mich freiwillig den Wölfen hinwerfe, damit du entkommen kannst,‹ sagte die Alte. Gerade als sie das sagte, war der Mann im Begriff, einen großen, schweren Braubottich vom Schlitten herunterzuwerfen. Aber während er sich noch damit abmühte, hielt er plötzlich inne, als könne er sich nicht entschließen, das Gefäß hinunterzuwerfen. In Wirklichkeit aber waren seine Gedanken von etwas ganz anderem in Anspruch genommen. ›Ein Pferd und ein Mann, die gesund und stark sind, brauchen doch ein altes Weib um ihretwillen nicht von den Wölfen auffressen zu lassen,‹ dachte er. ›Es muß doch noch einen anderen Ausweg geben. Ja, es muß einen Ausweg geben. Das Schlimmste ist nur, daß ich ihn nicht finden kann.‹

      Er machte sich wieder mit dem Braubottich zu schaffen, hielt dann aber wieder damit inne und brach in ein lautes Lachen aus.

      Die Alte sah ihn erschreckt an und dachte, daß er verrückt geworden sei, aber der Mann aus Heide lachte über sich selbst, weil er bisher so dumm gewesen war. Nichts war ja einfacher, als sie alle drei zu retten. Er konnte nur nicht begreifen, daß ihm das nicht gleich eingefallen war.

      ›Höre jetzt gut zu, was ich dir sage, Malene,‹ begann er. ›Es war brav von dir, daß du dich den Wölfen freiwillig hinwerfen wolltest. Aber das tut nicht not, denn nun weiß ich, wie wir alle drei gerettet werden können, ohne unser Leben aufs Spiel zu setzen. Vergiß aber nicht, daß du, was ich auch tue, ruhig auf dem Schlitten sitzen bleibst und nach Linsäll hinabfährst. Dort weckst du die Leute und sagst ihnen, daß ich hier allein mit zehn Wölfen auf dem Eise bin, und bittest sie, zu kommen und mir zu helfen.‹

      Der Mann wartete nun, bis die Wölfe ganz nahe an den Schlitten herangekommen waren, dann wälzte er den großen Bottich auf das Eis, sprang selbst hinterdrein und kroch darunter.

      Es war ein mächtiges Gefäß, so groß, daß es einen ganzen Weihnachtsbräu fassen konnte. Die Wölfe sprangen daran in die Höhe, sie bissen in die Reifen und versuchten, den Bottich umzustürzen. Aber das Gefäß war zu groß und zu fest. Sie konnten des Mannes, der darunter lag, nicht habhaft werden.

      Der Mann aus Heide wußte, daß er in Sicherheit war, und er lag da und lachte über die Wölfe. Bald aber wurde er ernsthaft. ›Wenn ich jemals wieder in Not kommen sollte,‹ fügte er, ›so will ich an diesen Braubottich denken. Ich will daran denken, daß ich weder mir selbst noch anderen Unrecht anzutun brauche. Es gibt immer einen dritten Ausweg, es handelt sich nur darum, ihn zu finden.‹«

      Damit endete Bataki seine Erzählung. Aber Niels Holgersen hatte jetzt schon gemerkt, daß der Rabe niemals etwas erzählte, ohne eine ganz besondere Absicht damit zu haben, und je länger er ihm zuhörte, um so nachdenklicher wurde er. »Warum erzählst du mir eigentlich diese Geschichte?« fragte der Junge. – »Ach, sie fiel mir nur gerade ein, als ich hier stand und den Sonfjeld ansah,« sagte der Rabe.

      Sie