Das Geheimnis des Flaschenschiffs. Manfred Ludwig. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Manfred Ludwig
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847654797
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„Sie hat ebenfalls einen Sohn, den Safrin, der ist ungefähr so alt wie du, ein netter Kerl.“

      Alles haben die beiden nach und nach erledigt, was sie sich vorgenommen haben. „Weißt du was?“, fragt Maika, „Wir kaufen uns jetzt ein großes Eis mit Sahne. Dazu setzen wir uns ein bisschen auf die rote Bank, dort unter dem Kastanienbaum.“

      Philipp ist für diese Köstlichkeit immer zu haben. Kaum ausgesprochen halten beide ihren Eisbecher in der Hand und schaufeln genüsslich die geschmackvollen Kugeln in ihren Mund. Maika hebt sich die Krokantkugel bis zum Schluss auf, denn die mag sie am liebsten. Nun wird es aber wieder langsam Zeit, dass sich die beiden auf den Heimweg machen, denn zu Hause gibt es noch einiges tun. Außerdem kommt heute noch der Nachhilfelehrer Herr Norisch, der für den Französischunterricht zuständig ist. In der Schule bereitet dieses Lehrfach, Philipp einige Schwierigkeiten. Herr Norisch ist ein sehr freundlicher und verständnisvoller Lehrer.

      Zu Hause angekommen, schiebt Frau Bremer den Rollstuhl mit ihrem Sohn ins Wohnzimmer. Danach zieht sie sich um und stiefelt in den Stall, um ihre Tiere zu versorgen. Philipp rollt mit seinem fahrbaren Stuhl zum Fenster und betrachtet sein Buddelschiff. Er schaut sich den Dreimaster öfters an und kann nicht glauben, was er da sieht. Nein, das kann nicht sein, denkt er sich. Was ist geschehen? Philipp weiß genau, als er das Schiff aufs Fensterbrett gestellt hatte, war ein Segelmast abgebrochen und jetzt ist er wieder ganz. Hatte er es nur geträumt, nein, er ist sich sicher, es ist Realität. Wer sollte ihn repariert haben? Wann? Es war ja niemand im Haus, als beide in der Stadt waren. Doch bevor sich Philipp weitere Gedanken darüber machen kann, ist Herr Norisch bereits mit seinem Mercedes angekommen und ausgestiegen.

      „Na, dann wollen wir mal heute ein Diktat schreiben“, meint Herr Norisch und setzt sich auf die Eckbank, die neben dem wuchtigen Kachelofen steht. „Was gibt es Neues, seitdem ich das letzte Mal hier war?“, fragt der Lehrer.

      Philipp zeigt mit dem Finger auf das Bootsmodell und erzählt alles genau wie er es bekam und natürlich auch das, was damit passiert ist. Herr Norisch schaut sich den Mast fragwürdig an, aber er kann keine Bruchstelle finden. Der Lehrer kann es nicht glauben, denn so etwas ist unvorstellbar. Noch nie hat er eine ähnliche Geschichte gehört. Irgendwie kommt ihm Philipp merkwürdig vor. Sollte er sich über Herrn Norisch lustig machen? Aber so wird Philipp niemals eingeschätzt. Warum sollte sich Philipp so etwas ausdenken? Der Nachhilfelehrer wundert sich zwar über das, was er gerade gehört hat, lässt sich aber von seiner Aufgabe nicht ablenken. Er diktiert den Text, den er sich vorgenommen hat und nimmt ihn zur Korrektur mit nach Hause. Beim nächsten Besuch bringt der Lehrer ihn wieder mit und alles wird mit Philipp besprochen.

      Mittlerweile ist auch Frau Bremer mit der Stallarbeit fertig. Maika kommt ins Haus, nachdem sie sich die Gummistiefel ausgezogen und sich draußen am Brunnen die Hände gewaschen hat. Übrigens, das ist schon ein sehr alter Brunnen, der stammt noch von Franks Urgroßvater. Sogar der Vermerk anno 1899 wurde eingemeißelt.

      „Na, wie war es heute?“, möchte Maika von ihrem Sohn wissen.

      „Wir haben heute ein Diktat geschrieben, das war vielleicht schwer“, antwortet dieser.

      „Hoffentlich hast du dir wenigstens Mühe gegeben“, fügt Maika hinzu. „Du glaubst mir bestimmt nicht, wenn ich dir erzähle, was mir vorhin im Stall passiert ist“, spricht sie weiter. „Stell dir mal vor, ich habe vorhin die Sakura gemolken und ging dann zur Lara. Da war doch der zweite Eimer bereits voll. Ich bin mir gar nicht mehr sicher, ob ich die Lara schon vorher gemolken habe. Bin ich jetzt schon blöd, oder was?“, schaut die Mutter ihren Sohn verwundert an. Aber der weiß auch keine Antwort darauf und schmunzelt nur.

      Als Philipp bereits im Bett ist, sitzt seine Mutter noch vor dem Fernseher und schaut sich einen prächtigen Gebirgsfilm an. Obwohl sie ihn schon oft gesehen hat, gefällt er ihr jedes Mal aufs Neue. Immer wieder denkt sie über die Situation mit der Milch nach. Sie kann sich einfach nicht genau daran erinnern. Aber wer sollte es dann gewesen sein? War sie gedanklich etwa so vertieft, dass es ihr Bewusstsein nicht wahrgenommen hat? Bei der Vorstellung, sie könnte eine beginnende Amnesie haben, läuft es ihr eiskalt den Rücken hinunter. Bevor weiterhin solche Gedanken auftauchen, geht sie lieber gleich nach dem Film schlafen. Morgen sieht alles wieder anders aus.

      Kapitel 2

      Nach der täglich wiederkehrenden Arbeit im Stall- und im Hofbereich liest Frau Bremer auf dem Kalender, Donnerstag, 11:20 Uhr Massage. Maika möchte nicht, dass ihr Sohn diesen wichtigen Termin versäumt. Deshalb fährt sie ihn gleich in die Stadt zur Krankengymnastik. Die Therapeutin behandelt verstärkt die Sehnen und Muskeln, damit Philipp bald wieder richtig laufen kann. Frau Bremer kennt die hübsche Physiotherapeutin namens Alexandra. Diese hat rotbraune lange Haare und versteht ihr Handwerk exzellent. Sie hat schon so vielen Menschen geholfen, die in einer noch schlechteren Lage waren als Philipp. Alexandra hat ihren Beruf erlernt und war sogar zur Weiterbildung auch in Holland tätig. Seitdem sie Philipp behandelt, geht es mit ihm langsam wieder aufwärts. Dass es noch ein paar Wochen dauern wird, das hat sie ihm schon beigebracht. Außerdem muss Philipp zu Hause und auch wenn er unterwegs ist, verschiedene Übungen machen, damit der Heilungsverlauf beschleunigt wird. Spät nachmittags besucht Maika mit Philipp noch ein öffentliches Freibad. Das ist auch gut für die Gelenke und für die Muskeln. Philipp würde viel zu gerne schwimmen als nur herumzuplantschen. Neidvoll sieht er seinen Mitschülern zu, wie sie im Wasser eine Bahn nach der anderen ziehen.

      „Morgen, wenn du aufstehst, werde ich nicht da sein, denn ich werde zum Friseur fahren, da habe ich einen Termin. Aber um zehn Uhr bin ich wieder zurück. Es ist möglich, dass in der Zwischenzeit Frau Beck kommt und ihre Eier abholt. Du kannst sie ihr geben, ich stelle sie auf den Tisch“, spricht Maika während der Heimfahrt.

      Unterwegs nehmen sich die beiden aus einer Bäckerei noch ein Stück Sahnetorte und eine Schaumrolle mit nach Hause. Dazu gibt es einen aromatischen Bohnenkaffee und für Philipp eine Tasse Pfefferminztee. Frau Bremer darf heute auf keinen Fall vergessen eine Kanne Ziegenmilch bereitzustellen, denn diese wird in vierzehntägigem Abstand auch von der Familie Pucheé benötigt.

      „Die Zeit vergeht so schnell“, denkt sich Maika, die auch heute etwas früher ins Bett geht und lässt alles noch einmal Revue passieren.

      Leicht schlaftrunken schaut sie sich noch den klaren Vollmond an. Heute erscheint er ihr besonders groß zu sein. Täuscht sie sich, träumt sie schon, oder was bewegt sich dort vor dieser ballrunden Kugel? So ein Schatten kommt ihr nicht bekannt vor, der verschwindet und im nächsten Moment wieder in Erscheinung tritt. Es sieht aus, als würde sich der Schatten bewegen und Hände und Beine besitzen. Je länger sie ihn beobachtet, desto schwerer werden ihre Augen, bis sie eingeschlafen ist. Unruhig wälzt sich Maika in ihrem Nachtlager hin und her, bis zum frühen Morgen.

      Nicht ganz ausgeschlafen steht sie heute früher auf, damit der Termin rechtzeitig wahrgenommen werden kann. Alles geht ungewohnt schnell und reibungslos von der Hand. Einige Zeit später steht auch Philipp auf, aber seine Mutter ist schon weg. Er zieht sich an und isst das Frühstück, das ihm schon hergerichtet wurde. Auch heute meint es der Wettergott wieder gut und lässt die Sonne vom wolkenlosen Himmel strahlen.

      Frau Bremer kommt etwas später nach Hause als geplant. „Na, was sagst du zu meiner neuen Frisur?“, möchte sie von ihrem Sohn wissen.

      „Ich sehe keinen Unterschied“, meint dieser und grinst nur.

      „Hat Frau Beck überhaupt die Eier geholt?“, fragt die Hausfrau ihren Sohn.

      „Nein, aber sie hat angerufen, dass sie sie heute Abend holt, wenn sie von der Arbeit kommt“, gibt Philipp zur Antwort.

      „Diese Person ist beneidenswert, sie fährt täglich die fünfzehn Kilometer mit dem Fahrrad zur Arbeit und das bei jedem Wetter“, fügt Maika hinzu.

      „Ja ja, wenn ich das auch bald wieder könnte“, sagt Philipp und schaut mit getrübtem Blick zu Boden. „Wenn nur der blöde Hase nicht über den Weg gehoppelt wäre, dann bräuchte ich nicht in diesem doofen Rollstuhl sitzen.“

      „Ich wollte dich erst abholen, bevor