Das Geheimnis des Flaschenschiffs. Manfred Ludwig. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Manfred Ludwig
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847654797
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dem Zeigefinger in die Richtung, woher sie gerade kam. Das Wohnhaus steht in einer sehr schönen Gegend und zur Bucht hinunter sind es nur wenige Gehminuten.

      Philipp, so heißt nämlich der kranke Junge, nimmt die große Flasche mit dem Segelschiff in seine Hände und strahlt über sein rundliches Gesicht. „So etwas habe ich noch nie gesehen“, sagt er zur seiner Mutter.

      „Es ist schön, wenn es dir gefällt“, erwidert sie.

      „Ach, wenn ich doch nur einmal auf einem echten Segelboot mitfahren könnte“, denkt sich der Junge. Dabei streicht er mit der Hand über das Glas, während er sich noch das Ende des Films anschaut. „Wie kommt denn eigentlich das Schiff in die Flasche?“, fragt der kleine Philipp seine Mutter.

      „Das hat bestimmt jemand in mühevoller Kleinarbeit darin aufgebaut“, erklärt sie ihm.

      Mit dieser Antwort gibt er sich zufrieden und bestaunt jede Kleinigkeit, die sich daran befindet. Es ist ein Dreimaster mit großen Segeln. So ein ähnliches Schiff hat er selbst schon einmal auf dem Meer gesehen, erinnert sich Philipp. Leider war es sehr weit draußen und er konnte es sich nicht richtig anschauen. Aber jetzt hält er eines selbst in der Hand und kann es immer betrachten, sobald er Lust drauf hat.

      Voller Freude gibt er seiner Mutter einen Kuss auf die Backe und sagt: „Danke Mama.“

      „Ist schon gut“, schmunzelt sie.

      Der Tag vergeht und weit hinten am Horizont verschwindet die Sonne, die mit ihren Strahlen die weißen Wolken berührt. Diese wiederum färben sich in ein glühendes Rot und es sieht aus, als würde der Himmel brennen. Ein wunderbares Naturschauspiel, das sich Philipp und seine Mutter gerne anschauen. Aber heute wird Philipp schnell müde und deshalb bringt ihn seine Mutter früh zu Bett. Zuvor aber stellt er noch sein Buddelschiff vorsichtig auf seinen Rollstuhl, der neben seinem Nachtlager steht.

      Später, so etwa gegen 22:30 Uhr, telefoniert Maika, so heißt die Mutter des kranken Jungen, noch mit Frank, ihrem Mann. Sie erzählt ihm genau, was heute alles passiert ist. Dass sich sein Sohn über das Segelschiff in der Flasche gefreut hat, macht ihn sehr glücklich. Dieser kräftige Mann ist leidenschaftlicher Fernfahrer und befindet sich zur Zeit in Griechenland, wo er für seine Firma Maschinenteile liefern muss. Gerne hätte er heute das Gesicht von Philipp gesehen und sich mit ihm gefreut, als dieser das Geschenk bekam. Jedenfalls kann er es sich genau vorstellen, wenn dieser lächelt. Dabei bildet sich auf der rechten Wange ein winziges Grübchen.

      „Wenn alles gut geht, dann komme ich in fünf bis sechs Tagen wieder nach Hause“, erklärt Frank seiner lieben Frau.

      „Pass auf dich auf und komm gut heim“, flüstert Maika noch ins Telefon und legt auf.

      Es ist für die Frau nicht leicht, sich alleine um ihren kranken Sohn zu kümmern, während der langen Zeit ohne ihren Ehemann. Oft wünscht sie sich, wenigstens am Nachmittag jemanden zu haben, der sie bei all ihren Arbeiten unterstützt. Es ist nicht verwunderlich, dass ihr die kleine Landwirtschaft zu viel wird. Sie besitzt zwei Kühe, die Sakura, (heißt auf japanisch Kirschblüte) und Lara, (beide sind eine Limousin-Rasse, in der Regel sehr widerstandsfähig und verkraften extreme Witterungseinflüsse wie Hitze oder Kälte, ohne Schaden zu nehmen), sechs Hühner, einen Hahn, eine Ziege, fünf Stallhasen, sowie eine Katze namens Mucki. All diese Tiere müssen jeden Tag versorgt werden. Die Milch und die Eier, die Maika für ihren Haushalt nicht selber braucht, werden an ihre Nachbarn verkauft. Somit wird die Haushaltskasse ein wenig aufgebessert.

      Es ist mittlerweile schon sehr spät geworden und Maika ist sehr müde. Doch bevor sie ins Bett geht, schaut sie noch einmal in Philipps Zimmer, ob alles in Ordnung ist. Das Schiff ist zwar nicht mehr zu sehen, aber alles scheint in Ordnung zu sein und so kann Frau Bremer auch schlafen gehen. Am nächsten Morgen, der Hahn hat schon längst den Tag verkündet, verrichtet sie ihre tägliche Arbeit im Stall. Dort muss sie ihren Kühen frisches Gras geben, melken und ausmisten. Sie streut den Hühnern die alten Semmeln vom Vortag hin und sammelt die Eier ein, bevor sie wieder ins Haus geht. So vergehen immerhin zwei Stunden, bis alles erledigt ist.

      Beim gemeinsamen Frühstück fragt die Mutter ihren Jungen: „Sag mal Philipp, wo hast du denn dein Schiff heute Nacht gehabt?“

      „Warum, es stand doch auf dem Rollstuhl, wo ich es hingestellt hatte“, antwortete er.

      „Das ist aber komisch, dass ich es nicht gesehen habe, als ich in dein Zimmer geschaut habe“, spricht Maika weiter.

      „Vielleicht war es einfach zu dunkel im Zimmer“, meint Philipp mit hochgezogener Stirn.

      „Das kann schon sein, es war ja auch schon spät“, sagt Philipps Mutter, die ihre vollen Lippen zu einer Spitze formt.

      Es dauert nicht lange und das Buddelschiff steht auf dem Tisch. Philipp hat den Verschluss aus der Flasche gezogen. Es war keine größere Kraftanwendung nötig, denn der Stöpsel besteht aus Kork und ist nicht ganz eingeschoben. Leicht erschrocken hat sich Philipp allerdings schon, denn als er am Korken zog, gab es einen heftigen Blubb. Aber egal, nun ist die Flasche offen und man kann endlich auch das Innere erforschen. Philipp ist seit jeher schon neugierig. Ja, er geht sogar soweit, dass er das Innenleben mit einem Kochlöffelstiel untersucht. Er drückt damit ans Schiff, stochert an deren Außenwänden und bohrt unter den Rettungsringen herum. Zuerst etwas zaghaft, aber mit der Zeit wird schon nicht mehr so zimperlich damit umgegangen. Philipp drückt gegen den ersten Segelmast, dann an den zweiten und prüft somit deren Festigkeit. So ist es nicht verwunderlich, dass es auf einmal einen hörbaren Knacks gibt und der höchste Mast ist abgebrochen. Erschrocken und sich gleichzeitig ärgernd, fängt der Junge an zu weinen.

      Maika sitzt gemütlich auf der Hausbank, die ihr Vater noch selbst gezimmert hatte. „Was ist los, warum weinst du?“, fragt sie ihren Sohn, der sie mit geröteten und feuchten Augen ansieht.

      Er braucht gar keine Antwort zu geben, denn sofort erkennt seine Mutter, was passiert ist. Tröstend streichelt sie mit der flachen Hand zwei-, dreimal über seinen Kopf, um ihn zu beruhigen. „Das ist doch nicht so schlimm, vielleicht kann es Papi wieder richten, wenn er nach Hause kommt“, flüstert sie Philipp ins Ohr. „Stell das Schiff jetzt zur Seite, damit nicht noch mehr passiert“, rät sie ihm noch.

      Philipp ist ein anständiger Junge und gehorcht seiner Mutter. Das Unglücksschiff bekommt einen Ehrenplatz auf der Fensterbank, gleich neben der blühenden Orchidee. Um ihren Sohn auf andere Gedanken zu bringen, entschließt sich Frau Bremer in die Stadt zu fahren und einen Schaufensterbummel zu machen. Auch wenn es bis dorthin nur wenige Kilometer sind, kommen sie nicht so oft in die Innenstadt. Maika fährt nicht so gerne bis in die City der Stadt. Ihr ist einfach der Verkehr zu viel. Das überlässt sie lieber Frank, der ist den Rummel gewohnt. Mit Philipp kutschiert sie nur bis an den Stadtrand, dort sind die meisten Geschäfte sehr nah beieinander. Bei dieser Gelegenheit steht ein Abstecher zum Supermarkt auf dem Programm. Auf dem Weg in die City führt die Straße knapp an diesem Bereich vorbei, wo die Mutter das Buddelschiff gefunden hatte.

      „Dort drüben, links neben dem großen flachen Stein, da lag die Flasche“, erklärt Maika ihrem Sohn.

      Er schaut vom Rücksitz aus dem Fenster und sucht die Stelle, wo die Flasche angespült wurde. Es ist ein schöner ziemlich warmer, man kann schon sagen ein heißer Tag. Auf dem Thermometer werden 34 Grad angezeigt. Beide gondeln mit dem Rollstuhl durch die Fußgängerzone. Plötzlich kommen sie an einem neu eröffneten Geschäft vorbei. Philipp sieht ein ähnliches Schiff in der Auslage, wie seines zu Hause, nur viel kleiner. Stumm und nachdenklich betrachtet er dieses Ausstellungsstück. Es ist ja nur ein normales Segelboot mit einem Mast. Irgendwie hat es auch einen gewissen Charme. Sie trotten weiter und bleiben nach kurzer Zeit wieder stehen. Ein Modegeschäft, natürlich nichts für Philipp, aber für seine Mutter. Sie hätte gerne die hier ausgestellte Bluse. Anprobieren ist leider nicht möglich, da Maika im Moment schwitzt. Wenigstens zurücklegen überlegt sie, betritt den Laden und bittet die Verkäuferin, ihr den Wunsch zu erfüllen.

      „Guten Tag Frau Bremer, hallo Philipp“, grüßt die beiden eine hastig vorbei laufende junge Frau.

      „Wer war denn das?“, fragt Philipp seine Mutter.