Talare klaut man nicht. Hans-Otto Kaufmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans-Otto Kaufmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847626862
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waren? Hat nicht vielleicht doch einer der beiden für kurze Zeit ihr

      Amtszimmer verlassen? Versuchen sie sich bitte genau zu erinnern. Jeder Hinweis ist für

      mich wichtig."

      Die Augenbrauen hatten wieder Normalstellung erreicht, denn Hans-Heinrich Knothe

      dachte nach.

      "Ja. Jetzt, wo sie es ansprechen, da erinnere ich mich. Herr Leisesang ist mal kurz auf

      die Toilette gegangen."

      "Kurz?"

      "Ja, ja. Aber fragen sie ihn doch selbst", entgegnete der Pastor irritiert.

      "Und der andere?"

      "Herr Kussow? Also, da bin ich mir ganz sicher, der war die ganze Zeit mit mir zusamm-

      men. Herr Kommissar, morgen Vormittag können sie alles überprüfen. Die beiden

      kommen auch zum Gottesdienst."

      "Die Gelegenheit werde ich wohl wahrnehmen", erwiderte Steele, "denn einige der

      Chorsänger muss ich noch sprechen. Könnten sie mir sagen, welche als Letzte die Probe

      verlassen haben?"

      Hans-Heinrich Knothe grübelte.

      "Soweit ich mich erinnere, waren das unser Chorleiter..."

      "Name?"

      "Herr Wedelhand ... Dann Frau Ackermann, Frau Holzner, die beiden bringt Herr

      Wedelhand immer nach Hause - Herr Leisesang und Herr Kussow waren bei mir - und

      unsere Familie, aber das wissen sie ja schon."

      "Schreiben sie mir bitte die Namen, Anschriften und Telefonnummern der Personen

      auf!", bat der Kommissar, der gerade aufstehen wollte, als die Flurtür aufging und Frau

      Knothe mit einem Tablett voller Gläser und Getränke hereintrat. Unter dem Arm hatte

      sie eine Sammlung von Broschüren eingeklemmt, die sie wortlos auf die Häkeldecke

      legte, dann verteilte sie die Gläser und schenkte das Bier ein.

      "Danke, Lea, wenn du mir bitte noch eben das Adressbuch aus dem Flur bringen könn-

      test. Es liegt neben dem Telefon."

      Schweigend entfernte sie sich.

      "Das", der Pastor deutete auf die Schriftwerke, "können sie sich mal in einer ruhigen

      Minute durchlesen, Herr Steele, dann sind sie über die Eigentümlichkeiten unserer Kirche bestens informiert."

      Die beiden Herren erhoben die Gläser. Frau Knothe erschien mit dem Adressbuch; ließ

      es vor ihrem Mann auf den Tisch fallen, schritt zum Barfach und genehmigte sich einen

      Likör.

      Hans-Heinrich Knothe suchte nach einer Schreibmöglichkeit.

      "Lea, du stehst gerade. Gib mir doch bitte Papier und einen Kuli aus der Schublade."

      Seine Frau reichte es ihm, und er begann zu schreiben.

      "Herr Kommissar, trinken sie, lassen sie sich nicht stören."

      Nach einem kräftigen Schluck stellte Steele das Glas auf den Tisch.

      "Wann kann ich morgen kommen, Herr Knothe?"

      "Tja, wann können sie morgen kommen?"

      Der Pastor knipste sinnierend an seinem Kugelschreiber.

      "Die Chorsänger sollen um 9.15 Uhr hier sein", begann Frau Knothe, "und um 10 Uhr

      beginnt der Gottesdienst und dauert etwa bis 11 Uhr", setzte ihr Gatte fort.

      "Hans-Heinrich, mit Heiligem Abendmahl dauert er bestimmt länger", gab seine Frau zu

      bedenken.

      "Na gut, sagen wir bis 11.15 Uhr. Dann ist ein kurzer Imbiss vorgesehen, Vortrag,

      Mittagspause. Am besten kommen sie so um 11 Uhr. Sie können sich auch noch in die

      Kirche setzen. Die hinteren Bankreihen sind allerdings meistens belegt. Oder sie gehen

      auf die Empore. Da sind immer Plätze frei."

      "Empore? So wie im Theater?", rutschte es dem Kommissar heraus.

      Verzweifelt ließ der Pastor den Kuli sinken.

      "Herr Steele, die Kirche ist kein Theater. Auf einer Empore steht die Orgel. Sie waren

      wohl lange nicht mehr in einem Gottesdienst, was?"

      Ohne ein schlechtes Gewissen zu bekommen, gab er es zu.

      "Um eines muss ich sie aber dringend bitten, Herr Kommissar."

      "Ich ahne es bereits."

      "Lassen sie äußerste Diskretion walten. In der Gemeinde und unter den Synodalen darf

      nichts von dem Vorfall bekannt werden, sonst ist unsere Kirche ruiniert und ich kann

      meinen Hut nehmen."

      "Ach, Hans-Heinrich, ist das nicht ein bisschen weltfremd? Wie soll der Kommissar das

      denn anstellen?"

      "Wie er das anstellen kann, Lea?"

      Entgeistert schaute er seine Gefährtin an.

      "Er übernimmt einfach die Rolle von Werner Paselmann, der ist doch neben Herrn

      Wedelhand der zweite Vertreter unserer Gemeinde bei der Synode. Aus den anderen

      Gemeinden kennt ihn als Neuling niemand und Herrn Wedelhand werde ich schon

      instruieren. Das ist gar kein Problem."

      "Herr Knothe", intervenierte der Kommissar, "überlassen sie die Einzelheiten bitte mir.

      Wenn sie so großen Wert auf Diskretion legen, dann helfen sie mir, die Chorsänger zu

      identifizieren, die heute die Probe zuletzt verlassen haben. Sonst muss ich mich morgen

      durchfragen."

      Die Eheleute wechselten entsetzte Blicke.

      "Das dürfen sie auf keinen Fall, Herr Steele."

      "Hans-Heinrich, haben wir nicht vor kurzer Zeit erst ein Chorfoto gemacht?", fragte, von

      einem Geistesblitz getroffen, die Pfarrfrau.

      "Genau. Lea, du bist ein Schatz. Das muss dort noch im Schrank liegen. Sei so gut..."

      "Ich steh ja schon."

      Sie machte einen Schritt am Wandschrank entlang, öffnete eine Schublade, wühlte in ihr

      herum und kam mit einem Foto an den Tisch zurück.

      "Es müssten fast alle Chorsänger drauf sein. Hier zum Beispiel Herr Kussow".

      Als sie sich über Steeles Schulter beugte, kam er einer Mischung von Birnenlikör und

      Deo gefährlich nahe.

      "Kann ich das Foto behalten?"

      "Ach, selbstverständlich. "

      Andächtig blickte Frau Knothe ihn an.

      "Dann macht es ihnen nichts aus, wenn ich mit dem Kugelschreiber die betreffenden

      Leute kennzeichne?"

      Die Drahtige schüttelte den Kopf. Dann half sie ihm dezent beim Identifizieren der

      Personen.

      Nachdem der Kommissar die Gesichter umkringelt hatte, nahm er erneut einen kräftigen

      Schluck aus seinem Glas und sah, dass der Pastor mit seiner Schreibarbeit fertig war.

      Mit