Im Bann des Augenblicks. Uwe Bekemann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Uwe Bekemann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844216165
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sie funkgesteuert wurde. Das Telefon war jedoch stumm geblieben. Weitere Minuten waren verronnen, ohne dass etwas passiert war.

      „Welches Spiel treibt der Kerl mit mir, warum ruft er nicht an?“, hatte sie sich gefragt. Hatte er sie in Panik treiben wollen, sie mit ihrer wachsenden Angst um die Tochter quälen wollen?

      Endlich, nach weiteren fünf Minuten, die ihr wie eine Ewigkeit vorgekommen waren, hatte sich das Telefon erbarmt und sein Rufzeichen ertönen lassen. Reaktionsschnell hatte sie zugegriffen, dabei nur kurz auf das Display gesehen, welches jedoch nur den eingehenden Anruf ohne die Rufnummer des Anrufers angezeigt hatte, die Hörertaste betätigt und sich das Mobilteil verkrampft mit beiden Händen an das rechte Ohr gehalten.

      „Ja bitte, Lange?“, hatte sie sich fragend gemeldet. Es war ihr bewusst geworden, dass ihre Stimme Angst und Unsicherheit ausstrahlte, sie nicht wie gewohnt schon durch deren festen Klang Selbstbewusstsein und Durchsetzungsvermögen vermitteln würde.

      „Frau Lange?“

      Es war die Stimme vom Anrufbeantworter gewesen! Sie hatte wiederum irgendwie gedämpft geklungen. Aber da war noch etwas gewesen, was ihr an der fremden verstellten Stimme aufgefallen war! Jetzt wurde es ihr bewusst, als sie in ihren frischen Erinnerungen wühlte. Was war es gewesen? Sie sann kurz nach, kam jedoch nicht darauf. Es war jetzt nicht wichtig!

      „Ja, ich bin am Apparat", hatte sie sich mit der Antwort beeilt.

      „Was ist mit meiner Tochter, wo ist sie, wer sind sie und was wollen Sie?“, waren alle ihre brennenden Fragen aus ihr hervor gesprudelt.

      „Nun mal langsam, liebe Frau Lange“, hatte ihr der Anrufer Einhalt geboten. „Alles schön der Reihe nach! Wer ich bin ist zunächst unerheblich, ganz ohne Belang, was ich will, erfahren sie schon noch früh genug. Ihre Tochter habe ich zuletzt heute Nachmittag gesehen, und da ging es ihr, na ja, sagen wir mal, den Umständen entsprechend gut, und wo sie jetzt genau ist, kann ich nicht sagen, aber wo sie mutmaßlich bald sein wird, erfahren sie gleich.“

      Erika Lange hatte die kurze Pause, die der Anrufer folgen lassen hatte, genutzt.

      „Nun sagen Sie mir doch bitte, wo meine Tochter ist, sagen Sie mir doch bitte, wo ich sie finden kann!“, hatte sie gefleht.

      Der Anrufer war nicht darauf eingegangen.

      „Lassen Sie zunächst auf jeden Fall die Polizei aus dem Spiel, wenn Sie Ihrer Tochter nicht böse schaden wollen!“, hatte er gefordert. „Sie haben doch sicherlich einen Schlüssel für die Wohnung Ihrer Tochter, oder?“

      Sie hatte natürlich einen Schlüssel und hatte dies bestätigt. „Ja, den habe ich, aber warum wollen Sie das wissen?“

      Erneut hatte der Anrufer ihre Frage überhört.

      „Fahren Sie jetzt bitte zur Wohnung Ihrer Tochter und warten Sie dort! Ich gehe davon aus, dass auch Ihre Tochter bald dort eintreffen wird. Warten Sie zusammen mit Ihrer Tochter in deren Wohnung! Ich rufe Sie dort an. Ich melde mich im Laufe des Abends wieder. Und vergessen Sie nicht: Keine Polizei!“

      Er hatte die Verbindung kurzum unterbrochen, ohne ihr noch eine Gelegenheit zu geben, sich noch einmal zu äußern.

      Sie hatte ein paar Sekunden gezögert, um ihre Gedanken zu ordnen, und dann noch einmal die Rufnummer ihrer Tochter gewählt, aber wieder ohne Erfolg. Sie war aufgestanden und zur Garderobe gehastet, hatte in aller Eile den vorhin ausgeschütteten Inhalt in ihre Handtasche zurückgestopft, wobei sie den Autoschlüssel ausgelassen hatte, um ihn gleich in ihrer Hand zu behalten. Sie hatte sich die Jacke übergestreift, ohne dabei wie üblich auf einen korrekten Sitz zu achten, und sich auf den Weg zur Wohnung ihrer Tochter gemacht.

      3 - Warten

      Erika Lange ging weiterhin ruhelos in der Wohnung ihrer Tochter auf und ab, ständig darauf bedacht, dass sie sowohl jederzeit das Läuten des Telefons hören als auch aufmerksam werden würde, wenn sich etwas an der Wohnungstür tat. Zwischendurch schaute sie immer wieder durch das der Anliegerstraße zugewandte Wohnzimmerfenster hinab auf die Straße und den Gehsteig, jeweils in der Hoffnung, die Tochter nahen zu sehen.

      Ninas kleine Wohnung, die aus zwei Zimmern mit Küche und Bad bestand, verriet in Einrichtung und Gestaltung Geschmack und Stil. Sie hatte sich dieses Zuhause geschaffen, nachdem sie sich vor knapp zwei Jahren, kurz nach ihrem dreiundzwanzigsten Geburtstag, von ihrem damaligen Lebensgefährten Alex getrennt hatte. Es passte gut zu ihr.

      Sie hatte den größten Teil der Einrichtung nach der Trennung neu beschaffen müssen. Es war für sie ein finanzieller Kraftakt gewesen, die vom Vermieter geforderte Kaution sowie die für die Renovierung und für die Einrichtung notwendigen Mittel aufzubringen. Auch in den Monaten darauf hatte sie so manchen Teil ihres Einkommens als Erzieherin für die weitere Gestaltung der Wohnung ausgegeben. Alle Angebote auf eine finanzielle Unterstützung hatte sie strikt abgelehnt. Nina war stolz auf ihre Selbstständigkeit und nahm lieber finanzielle Engpässe in Kauf als auch nur die Spur einer Abhängigkeit von ihrer Mutter.

      Der größte Raum war das Wohnzimmer. Zwar war auch dessen Wohnfläche nicht gerade großzügig bemessen, doch hatten ein großes Sofa, zwei Sessel, ein Tisch, eine offene Regalwand mit Fernseher und Musikanlage und sogar ein Schreibtisch mit Computer darin Platz gefunden, ohne dass der Raum einen überfüllten Eindruck machte. Mehrere gerahmte unterschiedlich große Drucke offenbarten ihre Vorliebe für die Kunst Salvatore Dalis. Sie hatte die Bilder über die Wände verteilt und dabei auch eine größere Wandfläche nicht ausgespart, die von einem Fach der Regalwand umkränzt war. Etliche Figuren, vor allem Eulen und Clowns, die überwiegend aus Gips oder Ton gefertigt sein mochten, hatte sie in deren Fächern platziert.

      Zahlreiche in der Regelwand aufgestellte Bücher, geordnet, aber in Gruppen verteilt, verrieten ihre Lust am Lesen. Mehrere bunte Glaskugeln, die sie vor einiger Zeit vom Besuch einer Glasbläserei in Bayern mitgebracht hatte, baumelten an Nylonschnüren in einer Zimmerecke von der Decke herab, zwei weitere Kugeln hatte sie in das Fenster gehängt. Diese allerdings waren vom Raum aus kaum zu sehen, da sie von der Gardine verdeckt wurden. Nina hatte damals beim Bezug der Wohnung lange mit sich gerungen, ob sie eine Gardine anbringen sollte oder nicht. Eigentlich hatte sie diese noch nie gemocht, sich dann aber doch dafür entschieden. Sie würde sich vornehmlich in diesem Zimmer aufhalten, so hatte sie überlegt. Ohne Gardinen wäre der Raum von den Wohnungen der auf der gegenüber liegenden Straßenseite stehenden Häuser aus vollständig einsehbar gewesen.

      Der Parkettfußboden gab dem Raum eine eigene Atmosphäre, wie sie eben nur von einem Parkettfußboden vermittelt werden kann. Ein Läufer, den Nina knapp außerhalb des Drehbereichs der Wohnzimmertür ausgelegt hatte, sorgte einerseits für Wohnlichkeit und minderte darüber hinaus den Trittschall.

      Auf dem Schreibtisch hatte sie das gerahmte Porträt ihres Freundes Benjamin, von ihr immer zärtlich Ben genannt, aufgestellt, mit dem sie inzwischen deutlich länger als ein Jahr zusammen war. Ein weiteres Portrait von ihm stand in der Regalwand, wo sie zudem ein Bild ihrer Eltern, Erika und Rolf Lange, aufgestellt hatte, das aus der Zeit vor deren Scheidung stammte. Ein jünger datiertes Einzelbild ihrer Mutter hatte daneben seinen Platz gefunden.

      Das Wohnzimmer machte wie immer einen überaus gepflegten Eindruck. Nina war von Kindesbeinen an sehr ordnungsliebend gewesen und legte größten Wert auf die Sauberkeit ihres Zuhauses.

      Erika Lange registrierte ihre Eindrücke zwar flüchtig, verdrängte die sich damit verknüpfenden Gedanken jedoch wieder, obwohl ihr diese eine wohltuende Ablenkung verschafften. Sie hatte im Moment kein wirklich interessiertes Auge für die Wohnung, und sie wollte jetzt auch keins haben!

      Nach einer Zeit, die ihr wie eine Ewigkeit vorgekommen war, obwohl kaum mehr als 30 Minuten vergangen sein mochten, hörte sie, dass von außen ein Schlüssel in das Schloss der Wohnungstür gesteckt wurde. Sie hatte soeben wieder an das Fenster treten und den nächsten der ungezählten Blicke auf die Straße hinunter werfen wollen. Nun sah sie, wie die Tür für einen Spalt geöffnet wurde und hörte, dass der Schlüssel wieder aus dem Schloss gezogen wurde. Während sie mit kurzen schnellen Schritten und in der bangen Hoffnung, dass Nina erscheinen möge, dem Eingang entgegen strebte, öffnete sich die Wohnungstür ganz und sie erkannte mit unendlicher Erleichterung, dass tatsächlich