Philipp Porter
Es bleibt für immer ein
Geheimnis
Roman
Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.
Text: © Copyright by Philipp Porter, Lützelbach, 2017
www.philipp-porter.de
Umschlaggestaltung, Titelbild: © Copyright by Philipp Porter, Lützelbach
Verlag: Philipp Porter, Am Hofgarten 13, 64750 Lützelbach
Lektorat: Marianne Glaßer, Röslau
Druck: epubli, ein Service der neopubli GmbH, Berlin
Berlin, Flughafen Tempelhof, Februar 1996
Kapitel 1
Andreas Stein nahm den Fuß vom Gaspedal und ließ den BMW ausrollen. Bereits bei der Anfahrt, noch vom Haupttor aus, hatte er sich über die Autos gewundert, die direkt vor Hangar 12a parkten. Und jetzt, da er den beiden weißgrünen Wagen immer näher kam, wurde er nervös.
Mit einem kurzen, hektischen Blick überflog er das Flughafengelände vor ihrem Hangar. Es war nichts Auffälliges zu erkennen, sah er von den zwei Polizeifahrzeugen, einem in die Jahre gekommenen grauen Audi mit Berliner Kennzeichen und einem E-Klasse-Kombi, ebenfalls mit Berliner Nummer, einmal ab.
Steins Blick blieb verbissen an den weißgrünen Polizeiwagen hängen, während er näher und näher an sie heranrollte. In seiner Magengegend breitete sich ein ungutes, ihm aber bekanntes Gefühl aus. Er spürte, wie sein Mund langsam trocken wurde und wie sich kleine, kalte Schweißperlen auf seiner Stirn bildeten.
Er hatte in den letzten Monaten ständig ein ungutes Gefühl gehabt, wenn ihm ein Polizeifahrzeug zu nahe kam, und suchte, wenn irgendwie möglich, sofort das Weite. Doch an diesem eiskalten Februarmorgen, an dem er am liebsten zuhause in seinem Bett geblieben wäre, ging es nicht. Einerseits, weil Gordon Miller – sein neuer Kopilot – neben ihm saß und ebenfalls neugierig das Gelände musterte, und andererseits, da sie in einer Stunde einen Flug nach Salzburg hatten.
Aufgeregt fing Miller, der in Steins Augen durch Ausdruck, Gestik und Konservatismus das königliche Großbritannien in reinster Form verkörperte, an zu plappern: „Was ist da los? Ein Einbruch? Vielleicht hat Wagner ein … wie sagt man hier … ein krummes Ding gedreht? Es könnte auch sein, dass …“
Weiter kam Miller nicht. Stein unterbrach seinen Redefluss abrupt und schrie ihn wüst an: „Sei still! Du machst mich vollkommen verrückt!“
Miller zuckte bei diesem für ihn völlig unerwarteten Wutausbruch seines Kollegen zusammen. Ruckartig fuhr er zu Stein herum und wollte ihm wegen dieser rüden und vollkommen unbegründeten Behandlung – die er keineswegs verdient hatte – etwas entgegenwerfen. Doch er ließ es. Steins kalte, zornige Augen, die ihn bewegungslos anstarrten, hielten ihn davon ab.
*
Der BMW rollte zwischen den geparkten Polizeifahrzeugen aus, und noch ehe Stein den Motor abstellen konnte, öffnete Miller die Beifahrertür und stieg aus dem Wagen. Beleidigt, ohne noch weiter auf Stein zu achten, marschierte er mit hoch erhobenem Kopf in Richtung Hangar 12a davon.
Stein blieb im Wagen sitzen und versuchte diese merkwürdige Situation irgendwie einzuschätzen. Während seine Finger mit den noch immer im Zündschloss steckenden Schlüsseln herumspielten, überlegte er krampfhaft, was in dem Hangar los sein könnte. Sollte er wieder fahren oder sollte er sich der Situation stellen? Wenn er jetzt fahren würde, wäre er sofort verdächtig, auch wenn er mit der Sache – was auch immer hier geschehen war – nichts zu tun hatte. Doch sollte die Polizei wegen ihm und Wagner hier sein, würde er ihnen direkt in die Arme laufen und das wäre mit Sicherheit eine Dummheit. Er hatte keine Lust, für eine Sache, in die er aus reiner Naivität hineingeschlittert war, ins Gefängnis zu gehen.
Während Stein die Vor- und Nachteile gegeneinander abzuwägen versuchte, verrann die Zeit. Als sich nach Minuten vor dem Hangar noch immer nichts regte, zog er beherzt den Schlüssel aus dem Zündschloss und stieg aus.
Langsam, noch immer mit dem unguten Gefühl in der Magengegend, das sich verstärkte, je näher er dem Hangar kam, lief er auf das weit geöffnete Tor zu. Er war bei jedem seiner Schritte darauf gefasst, dass aus irgendeiner Ecke Polizisten auf ihn zustürmen würden; doch nichts geschah.
Mit jedem Schritt, der ihn dem Gebäude näher brachte, versuchte er im Innern der düsteren Halle etwas zu erkennen. Doch außer ihren zwei Flugzeugen, die schemenhaft im hinteren Teil des Hangars auszumachen waren, dem kleinen roten Traktor, den sie benutzten, um die Maschinen auf dem Flughafengelände zu bewegen, und einigen halb geöffneten Werkzeugkästen war nichts zu erkennen.
Erst als Stein in den dunklen Hangar hineintrat und das gleißend helle Morgenlicht hinter sich ließ, sah er, was los war. Zwei Männer in verwaschenen Jeans und schwarzen Lederjacken kletterten gerade von einer Stehleiter herab, die unterhalb eines Lüftungsgitters stand. Sie warfen ihm einen kurzen Blick zu, kümmerten sich dann aber um die Leiter und beachteten ihn nicht weiter. Zwei andere, einer davon in Polizeiuniform, untersuchten die Tür der Cessna, seines Flugzeugs. Schon von Weitem erkannte Stein die typische Handbewegung und einen großen Pinsel, mit dem feines Graphitpulver auf einer Fläche aufgetragen wurde, um Fingerabdrücke abzunehmen.
Stein schaute sich weiter in dem Hangar um. Sein Blick blieb an einer kleinen Gruppe von Leuten hängen. Sie standen dicht neben dem Büro, das an der linken Außenwand des Hangars klebte und wie ein gläsernes Geschwür an der riesigen, dunklen Wand wirkte. Er erkannte Otto Wagner, seinen Chef, Christian Welder von der Flughafengesellschaft, dem das Sicherheitsmanagement unterstand, und natürlich Miller. Die beiden anderen Männer, wieder einer in Polizeiuniform, hatte er bisher noch nie gesehen.
„Ah, Stein! Da sind Sie ja. Wir hatten gerade von Ihnen gesprochen“, rief ihm Wagner mit brummiger, tiefer Stimme lautstark entgegen. Er winkte ihn dabei mit einer ausladenden Armbewegung zu sich. „Im Hangar wurde heute Nacht eingebrochen. Wie es scheint, haben sich die Jungs aber nur für die Cessna interessiert. Die Herren hier sind vom LKA und untersuchen den Fall.“
„Guten Morgen“, sagte Stein freundlich zu den Beamten, als er nur noch wenige Schritte entfernt war, und fühlt sich zugleich erleichtert. Sie waren nicht seinetwegen gekommen. Sie waren wegen eines simplen Einbruchs hier und hatten von den Dingen, die zwischen Wagner und ihm liefen, keine Ahnung. Beherzt streckte er den beiden Beamten die Hand entgegen und begrüßte gleichzeitig Welder mit einem vertrauten Lächeln.
„Und? Was wurde gestohlen? In der Maschine ist nichts, was für einen einfachen Dieb von Wert sein könnte.“
„Ja, das haben wir auch schon festgestellt. Wir fragen uns daher, ob Sie uns vielleicht weiterhelfen können. Was ist so interessant an der Cessna, an Ihrem Flugzeug?“, fragte einer der Beamten herausfordernd. Er ließ Steins Hand dabei nicht los und starrte ihn mit einem gekonnten, durchdringenden Blick an. „Oh, entschuldigen Sie, Frank Bremer, LKA 44, Einbruchsdelikte.“
Die drahtige Figur, der mausgraue Anzug, der von einem schweren Mantel fast verdeckt wurde, und das kantige Gesicht wirkten auf Stein irgendwie bedrohlich. Auch Bremers wässrig blaue Augen irritierten ihn. Und plötzlich fiel es ihm ein: Er hatte solch einen Menschen in einem alten Kriegsfilm, in dem Gefangene mit sehr fragwürdigen Mitteln verhört wurden, gesehen. Auch sein Großvater, der vor vielen Jahren verstorben war, hatte ihm als Kind von solchen Leuten erzählt. Seither mochte er niemanden, der ihn an diese Geschichten erinnerte, und sein Unterbewusstsein schien sich schneller Gehör zu verschaffen als sein Verstand.
Erneut bildeten sich kleine Schweißperlen auf seiner breiten, kantigen Stirn und insgeheim verfluchte er sein zu schwaches Nervenkostüm in solchen Situationen. Er konnte nicht wissen, was die Einbrecher in der Maschine gesucht hatten. Aber allein die Tatsache, dass er wusste, was mit der Cessna war, ließ seinen Pulsschlag emporschnellen.
Krampfhaft