Der prüfende Blick auf Jo sagt mir, dass es sein völliger Ernst ist.
»Freie Liebe machen? Tut mir leid Jo, aber so bin ich nicht veranlagt. Ich bin da eher die Monogame, weißt du? Eher so zu zweit, mit heruntergelassenen Rollos, Kerze und romantischer Musik. Ganz furchtbar spießig und vor allem mit Herz und Seele«, antworte ich schnell, aber ehrlich.
»Na, dann eben nur wir beide. Und ich treibe schon irgendwo eine romantische Kerze für dein Herz auf«, schlägt er mir eifrig und mit großen Augen vor. Sein Angebot ist ernst.
»Jo. Wirklich. Ich mag Romantik und das ganze Pipapo. Ich glaube wirklich nicht, dass das eine gute Idee ist. Da regt sich nichts bei mir.«
»Aber bei mir.«
Ich lache laut. Lisa nähert sich uns.
»Na, ihr Beiden? Schmeckt es euch? Braucht ihr noch etwas?«, will sie wissen, setzt sich auf den Boden vor uns und guckt abwechselnd von Jo zu mir.
»Lisa, du süße Maus«, begrüßt Jo sie und beugt sich zu ihr herunter. Sein Mund landet auf ihren schön geformten Lippen.
»Eben wollte er mir eine Kerze anzünden, damit ich romantisch werden kann«, unterbreche ich beide in ihrem Zungenkuss und ziehe ihre Blicke auf mich. Mit großen, leuchtenden Augen beäugt Lisa mich und wandert an meinem Zopf entlang. Der hängt über meine Schulter nach vorne.
»Wie schöne Haare du hast. Darf ich mal anfassen?«, fragt Lisa deutlich interessiert.
»Klar.«
Sie greift an mein Zopfende und fährt mit ihren Fingern durch die Haarspitzen, als sei es edelste Seide.
»Die sind so weich«, schwärmt sie und kitzelt sich damit ihre Wange. Sie kichert und wiederholt das bei Jo, der lachend seinen Kopf dreht. Ich sehe auf und blicke direkt in die Augen von Yanick, der in einer kleinen Gruppe steht und uns beobachtet. Sauertöpfisch sind seine Augenbrauen zusammengezogen. Sofort wendet er sich ab.
Lisa legt fasziniert den langen Zopf auf meinem Oberschenkel ab und fährt mit ihrer flachen Hand darüber. Damit streichelt sie nicht nur mein Zopfende, auch mich. Ich sehe zu ihr hinunter und sie schlägt ihre Lieder zu mir auf. Es kommt mir wie ein Anliegen vor und sicher gibt es wenige Menschen, die ihr etwas ausschlagen können.
»So wundervoll, wie alles an dir«, sagt sie leise in meine Augen blickend. »Magst du noch bleiben, wenn nachher alle gegangen sind? Kai, Jo und ich feiern noch ein bisschen allein weiter. Gegen eine zweite Frau haben sie bestimmt nichts einzuwenden.«
»Jo hat bereits erwähnt, dass das möglich wäre.«
»Hast du das?«, fragt Lisa verzückt an Jo gewandt, der breit grinsend nickt.
»Du weißt genau, was ich mag, nicht wahr?«, sie zieht ihn zu sich.
Wieder an mich gewandt beschwört sie mich mit treuen Hundeaugen: »Ich habe doch heute meinen Wunsch-Geburtstag und du bist doch mein Geschenk.«
So, jetzt sagt sie, was sie die ganze Zeit gedacht hat. Ich muss meine Grenze ziehen.
»Ich weiß, dass du heute Geburtstag hast. Diese Wunsch-Geburtstags-Abmachung gilt aber nicht zwischen uns. Und Jo habe ich auch schon erklärt, dass meine Ambitionen in monogame Richtungen gehen und ausschließlich beim männlichen Geschlecht liegen. Da ist leider nichts zu machen.«
Der bekümmerte Blick von Lisa wandert zu Jo. Ihr Gesicht wird lang. »Schade, dabei bin ich so verliebt in dich.«
»In wen bist du mal nicht verliebt, Lisa?«, fragt Jo sie aufheiternd.
»In Ninette«, antworte ich, an die Person denkend, die mir spontan in den Sinn kommt. Beide sehen mich an. Gemeinsam prusten wir laut los und verstummen erst nach Minuten.
»Die zählt nicht. Die mag überhaupt niemand«, gluckst Jo und verschluckt sich fast beim Trinken.
»Komm Jo, tanz mit mir! Und du überlegst es dir noch mal, ja? Bitte!«
Verneinend schüttele ich mit dem Kopf und wende mich wieder meinem Teller zu. Lisa tanzt mit Jo. Kauend beobachte ich diese wundervolle Frau, die Glück hat, in einer Zeit geboren zu sein, in der sie ihre sexuellen Freiheiten voll ausschöpfen kann. Wie ein Flummi hüpft sie um Jo, der Mühe hat mit ihrer Energie und Lebensfreude Schritt zu halten.
Kapitel 4
Meinen geleerten Teller bringe ich auf eine Ablage. Mein gut gefüllter Magen braucht jetzt ein wenig Bewegung. Ich vertrete mir die Beine und schlendere auf dem Hausboot umher, bis ich mich auf Höhe des kleinen Ruderbootes befinde.
Dort betrachte ich mir die vorbeifahrenden Schiffe, die auf dem Fluss unterwegs sind. Dem einen oder anderen winke ich. Meistens haben die Passagiere gute Laune und wollen ihr Glück teilen.
Stimmen dringen an mein Ohr. Sie stören die angenehme Stille, die bis eben nur durch das glucksende Wasser unterbrochen wurde. Die Wellen der Ausflugsdampfer brachen sich am Hausboot und lösten sich klatschend auf, als hätten sie nie existiert. Ich lehne den Kopf zurück, doch die Stille kehrt nicht zurück, denn die Stimmen werden deutlicher. Sie scheinen aus dem angelehnten Fenster zu kommen, das sich neben meinem Kopf befindet.
»Sag ihr, sie soll sie wegschicken!« Das ist die Platinblonde.
»Das werde ich nicht machen.« Ich erkenne die Stimme von Yanick.
Ich sehe mich schnell um. Niemand ist in der Nähe und ich werde nicht beim Lauschen erwischt.
»Nicky!«, quengelt Ninette und ich verziehe angewidert mein Gesicht.
»Ninette, heute ist ihr Wunsch-Geburtstag und sie hat sich nun einmal die Kleine vom Steg gewünscht. Da kann und werde ich nicht tun, was du mir hier versuchst einzuflüstern. Das würde ich übrigens auch nicht, wenn Lisa kein Geburtstag hätte. Also hör auf!«
Offensichtlich ging es hier um mich, was mich neugierig werden lässt. Ich spitze meine Ohren. Unauffällig rücke ich dichter zum Fenster und lausche ihrem Gespräch weiter.
»Ich mag sie nicht. Vorhin auf der Brücke hat sie echt aufgedreht. Ich wette, ihre Haare sind Extensions und überhaupt, sie ist … billig. Du hast doch schließlich auch Geburtstag. Es ist auch deine Feier!«, schmeichelnd soll das Klingen, hört sich aber trotzig an. Angeekelt schüttele ich meinen Kopf und verziehe noch angewiderter meinen Mund. Die Frau ist der reinste Albtraum.
Moment mal! Er hat auch Geburtstag?
Zwillinge? Zweieiige.
»Das ist dein Problem, Ninette. Sei fein artig!«
Es ist eine Weile still, dann höre ich, wie etwas klirrend umgestoßen wird. Als ob jemand in Ärger oder Eile, auf einem vollgestelltem Tisch Dinge bei Seite fegt. Vorsichtig und zögernd spähe ich nun durch das Fenster, aus dem die Stimmen kommen.
Es ist eine Küche.
Ich sehe Ninettes Hinterkopf. Sie sitzt mit dem Rücken zu mir auf der Arbeitsplatte. Neben ihrer Hüfte sehe ich eine Hand, die nur von Yanick sein kann. Ich trete einen kleinen Schritt weiter. Ninette sitzt vor ihm. Ihre Beine umklammern seine Hüfte und ihre Hände arbeiten unter seinem Shirt. Sie haben offensichtlich Verkehr miteinander. Oder würden gleich.
Ups! Wäre ich Kai, würde ich jetzt meine Arbeitsplatte desinfizieren und überhaupt: Wer war hier billig?
»Liebst du mich?«, fragt Ninette nach Luft schnappend. Yanick reagiert nicht. Seine Augen sind geschlossen. Er bewegt sich nicht. Still ruhen seine Hände auf der Arbeitsplatte, während Ninette aufreizend, aber künstlich stöhnt.
Ich bekomme jetzt Panik, dass ich entdeckt werde. Schließlich muss er ja nur seine Augen öffnen. Aber gegen alle Vernunft verharre ich bewegungslos und versteinert auf ihn sehend. Einzig mein Kopf senkt sich leicht voll Abscheu und Ekel. Selbst das kann ich mir