Hier können Uta und ich gediegen und entspannt baden. Zum Glück haben wir dieses lauschige Plätzchen durch einen Glücksumstand entdeckt. Wir erforschten es und erkoren diese Stelle als unsere neue Badestelle, an der wir seitdem baden.
Auf dem verwilderten Grundstück stehen alte und hohe Eichen. An extrem heißen Tagen spenden sie uns kühlenden Schatten.
Ich liebe diesen abgelegenen Steg. Die Schönheit unseres Badeversteckes liegt im seltsam morbiden Charme des stark verfallenen Hauses, in der Wildnis des Gartens und in der Ruhe, die dieser Ort ausstrahlt. Diese Ruhe und Stille überträgt sich auf mich. In weniger als fünf Minuten bin ich runtergefahren. Dieser Fleck ist idyllisch.
An diesem Ort kann ich mich erholen und für meine Arbeit neue Kräfte sammeln. Ich bin Kindergärtnerin. Ein Beruf, den ich in hohem Maße liebe. Jedoch muss ich mich am Wochenende neu beleben. Das mache ich jetzt und sehe in die vielen Grüntöne über mir.
Grün hilft mir vor allen Dingen dabei, den Akku wieder aufzuladen. Hier besteht jedes Teil aus Grüntönen.
Die Bäume, zu denen ich aufsehe und in denen Vögel ihre Nester gebaut haben, um ihren Nachwuchs zu versorgen.
Das Gras, das sich überhängend seinen Lebensraum bis in das Wasser hinein erobert hat.
Das Wasser, das sich hellgrün in der Sonne, im Schatten dunkelgrün leicht kräuselt.
Hier herrscht ein überbordender Reichtum an Grüntönen. Ein reich gedeckter Tisch der Natur. Entspannung und Erholung im Grünen, sind zwei Stadtteile weiter durch die wenigen Parks schwierig. In den zugigen Häuserschluchten ohne Bäume, ist Ruhe nur begrenzt möglich.
»Ella! Du bekommst Schwimmhäute zwischen den Fingern. Komm endlich raus! Ich würde gern mit dir das Picknick essen. Ich habe Hunger. Los!«
Sie erinnert mich an meine verstorbene Mutter, die auch immer das seltene Talent hatte, mich in so einem schönen Moment aus dem Wasser zu rufen. Ungern will ich jetzt hier weg. Genau in dem Augenblick, in dem ich eins mit der Natur werde und mich tief entspanne.
Der Stress der Arbeitswoche lässt sich hier wie durch ein Wunder fortschwemmen. Um ein Haar hätten mich sogar die drei Enten, die in meiner Nähe schwimmen, in ihre kleine Familie aufgenommen. Sie kamen immer dichter geschwommen und suchten nach Nahrung.
Mit Schwimmhäuten würde ich sicher spielend als Ente durchgehen und nur lernen müssen, wie ich im Gras etwas Essbares finde. Aber ich bin lernfähig.
Uta kann ungemütlich werden, wenn sie Hunger bekommt. Also lasse ich meine Beine absinken und schwimme zurück zum Steg, wo sie schon ungeduldig wartend ihre Beine im Wasser hin und her schiebt. Ihr Gesicht hat sie zu einer Flunsch gezogen.
Am Steg angekommen, schwinge ich mich hinauf und setze mich so, dass die Beine im grünen Wasser baumeln können.
»Fast wäre ich von den Dreien dort adoptiert worden. Und Schwimmhäute wären dann echt passend«, scherze ich und deute zu den drei Enten, die noch immer am Uferbewuchs zupfen.
»Schade nur, dass deine Flügel gestutzt sind«, spöttelt Uta und spitzt ihren Mund. »Die wären nötig, um in deiner neuen Familie überhaupt erst mithalten zu können.«
»Ich würde eben mit gestutzten Flügeln fliegen lernen müssen. Wo ein Wille ist …«
»… Ist auch ein Gebüsch. Ich weiß.«
Sie zieht den Picknickkorb heran und blickt sich darin um. Ihr Gesicht leuchtet auf, als sie in einer Dose Zucchini-Röllchen entdeckt. Die habe ich für sie zubereitet, denn sie liebt die. Schon ist die Dose geöffnet und ihre langen Zähne knabbern an der Rolle. Ihr Blick ist versunken und in den nächsten drei Minuten brauche ich sie nicht anzusprechen. Sie befindet sich geschmacklich im siebten Himmel.
Vor dem Bad habe ich meine überlangen Haare zu einem Zopf geflochten. Damit sie schneller trocknen, löse ich die Flechte jetzt und fahre mit meinen Fingern hindurch.
Das Haargummi halbiere ich und streife es mir über den rechten Mittelfinger, damit es nicht verloren geht. Offen getragen, reichen mir die Haare bis zu den Oberschenkeln und meistens ruhen neidvolle Blicke auf ihnen.
Ich habe den Spitznamen: Die schöne Warwara. Alles, bis auf meine blauen Augen, erinnert an Tatjana Klujewa. Sie spielt in dem sowjetischen Märchenfilm Film die weibliche Hauptrolle.
Kauend beobachtet mich Uta und ich weiß genau, was sie denkt. Sie sagt mir immer, dass ich sie an einen Engel erinnere.
Ich kann das nicht verstehen. Als engelsgleich würde ich mich schon mal gar nicht bezeichnen. Klar, die überlangen Haare sind für eine Menge Menschen der Inbegriff von Vitalität und Weiblichkeit. Mir ist Schönheit überhaupt nicht wichtig. Sie sagt nichts über den Charakter eines Menschen aus. Und den von mir, kenne ich zu gut. Ehrlich, da ist rein gar nichts Engelsgleiches dran.
Aber die Optik ist Geschmackssache. Uta muss sich ja nicht jeden morgen mein Spiegelbild ansehen. Ich habe schon als Kind kleine Makel in meinem Gesicht entdeckt. Die kaschiere ich auch heute noch gerne.
Ich bin etwas schlanker als sie, aber das liegt daran, dass ich jahrelang Tanzsport betrieben habe. Bis in die Pubertätsjahre sogar auf Leistung. Bis dato ist der Tanzsport einer meiner Leidenschaften. Allerdings tanze ich heute aus Liebe und Freude, ohne diese starren Regeln, die mir den Sport vermiest haben. Mein Tanzpartner ist da weniger locker, eher verbissen. Aber es macht Spaß mit ihm zu tanzen.
Manchmal denke ich, dass das verletzungsbedingte Aus ein Glück für mich war. Verhasst am Tanzsport sind mir noch heute die strengen Haarregeln. Stark zurückgekämmt und eingeölt. Alles andere als weiblich. Zudem sind Ponys und überlange Haare ein Unding.
Nachdem ich den Sport unter Leistung aufgegeben hatte, schnitt ich mir als Erstes einen Pony und ließ meine Haare ins Unendliche wachsen.
So wurde ich zu Warwara und irgendwie habe ich mich an den Namen gewöhnt. Es gibt schlimmere Spitznamen.
Zutiefst entspannt vom Bad horche ich den Vögeln zu, wie sie in den Bäumen singen. Uta knabbert genüsslich an ihrer zweiten Zucchini-Rolle und lauscht ebenfalls kurz.
»Ach, was ich dir noch erzählen wollte: Anne ist sich, nur mal so nebenbei gesagt, nicht mehr ganz so sicher, ob David ihr treu war. Er behauptet es zwar, aber ich weiß nicht. Echt mal! Vor ihren Augen! Wie blöd muss man denn da sein?«, beginnt Uta die neuesten Ereignisse von ihrer Bekannten zu erzählen. Sie schüttelt verständnislos ihren Kopf und sucht am Röllchen eine dunkel geröstete Ecke, die sie immer zuerst abknabbert. Erst danach schiebt sie sich das Röllchen ganz in den Mund. Ich finde das immer goldig und muss schmunzeln, wenn ich ihr beim Essen zusehe.
Heute ist der Tag, an dem wir uns über den neuesten Klatsch und Tratsch austauschen können. Hier bekommen keine Kolleginnen lange Ohren. Wir können ungestört und ungeniert plaudern.
Die vergangene Woche war mit Ereignissen gefüllt. In der Hektik des Werktages bleibt uns kaum Zeit für ausgiebige, freundschaftliche Gespräche.
»Deutlicher geht es wohl kaum noch«, merke ich versonnen an und sehe wieder zu den drei Enten.
»Ne, wohl kaum. Jetzt ist sie auf der Suche nach einer Wohnung für sich.«
Ich beobachte fasziniert, wie sich das Wasser um meine Füße kräuselt. Die Wellen brechen sich kaum fühlbar an ihnen. Mit leerem Blick wandern meine Augen über die fast gar nicht gekräuselte Wasseroberfläche.
Auf die Beziehungsprobleme, mit der sich die Bekannte von Uta plagt, kann ich gerne verzichten. Da bin ich über meinen Singlestatus heilfroh.
Im Bezug auf eine Partnerschaft gehe ich keine Kompromisse ein. Schon mein Großvater hat mir den Rat gegeben bei Entscheidungen immer mein Herz zu prüfen. Das tue ich reiflich und Mister Perfekt war mir bislang noch nicht begegnet.
»Ach, hier ist es