Block 4.2. Eric Scherer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eric Scherer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783746780184
Скачать книгу
hat sich vorhin noch schnell informiert, bevor der Rothaarige mit dem Champ in diesem Kabuff verschwunden ist. Vor über zwei Wochen schon war die Polizei in den Dorfkrug gerufen worden. Als die beiden Beamten eintrafen, stand der Champ auf dem Tresen und urinierte auf zwei Gäste des Lokals, die am Boden lagen und die er zuvor offenbar niedergeschlagen hatte. Und während er auf die Unterlegenen schiffte, sang der Champ „We are the Champions“. Seinen Pimmel ließ er dabei im Takt hin und her schwingen.

      „Er hat gar nicht mal schlecht gesungen“, berichtete der rothaarige Polizist, so süffisant, wie Albin es ihm nicht zugetraut hätte. Anscheinend war er selbst einer der Beamten vor Ort gewesen.

      Doch da der Champ so „hackedicht“ war, dass eine Vernehmung keinen Sinn machte, er sich aber auch nicht weiter gewalttätig zeigte, ließen ihn die Beamten noch in der Nacht wieder laufen und bestellten ihn für den nächsten Tag aufs Revier, um seine Aussage aufzunehmen. Er kreuzte aber einfach nicht mehr auf, auch zu Hause war er in den Tagen nicht mehr anzutreffen. Drum habe er bei der zufälligen Begegnung an der Tanke prompt reagiert und ihn mitgenommen, erklärte der Rothaarige.

      Der Aussage der übrigen Beteiligten zufolge hatte der Champ sie natürlich vollkommen grundlos verprügelt. Das aber könne ja wohl nicht sein, daher müsse der Champ unbedingt seine Sicht der Dinge schildern. „Wir meinen es doch auch nur gut mit ihm“, versicherte der Rothaarige.

      Das mag ja sein. Aber sie müssen weiter. Uff de Betze. Und zwar mit dem Champ. Denn ohne ihn schaffen sie es nicht.

      + + +

      „Das dumme Arschloch.“

      Doch, nichts anderes hat sie eben gesagt. Es hat auch nicht so geklungen, als sei es ihr im ersten Moment der Überraschung nur so rausgerutscht. Sondern es klang wie eine Feststellung, die nüchterne Erkenntnis aus dem eben Gehörten.

      Das dumme Arschloch.

      Nicht, dass solche Ausfälle für Lea ungewöhnlich wären. Es kommt öfter vor, dass sich Eheleute ihr gegenüber abfällig übereinander äußern, sogar im Beisein des Gescholtenen. Ist auch schon vorgekommen, dass sie aufeinander losgegangen sind und Lea die beiden voneinander trennen musste. Szenen einer Ehe eben. In über einem Dutzend Dienstjahren erlebt eine Erste Polizeihauptkommissarin so allerlei.

      In diesen Breiten sind sie halt weniger dialoglastig als anderswo, diese Szenen einer Ehe. Sie ziehen sich eher stumm und zäh dahin. Bis das Schweigen eines Tages bricht, und dann wird es oft gleich richtig laut und nicht selten körperlich, sinnlos, hirnlos, brutal. Wie gesagt, Lea hat da so ihre Erfahrungswerte.

      Aber: das dumme Arschloch? So unvermittelt aus dem Mund dieser Frau? Dieser feingliedrigen, angenehm zurückhaltend wirkenden Person, die zwar abgekämpft, aber noch lange nicht besiegt wirkt, allenfalls allmählich bedroht vom Verlust der inneren und äußeren Form?

      Das ist Heidrun Schmitter.

      Lea erschrak fast, als die junge Frau die Tür öffnete, war es ihr sofort, als stehe sie vor einem zehn Jahre jüngeren Abbild ihrer selbst. Und auch Heidrun Schmitter schaute nicht irritiert, weil die Polizei vor ihrer Haustür stand, sondern weil die ihr auf Anhieb sympathische Person da vor der Tür in einer Polizeiuniform steckte, so kam es Lea jedenfalls vor … Obwohl, da hat sie sich wahrscheinlich nur mal wieder viel zu schnell etwas zusammengereimt.

      Und das ist eigentlich gar nicht gut. Eine Erste Polizeihauptkommissarin sollte einer Person, die ihr im Rahmen ihrer Polizeiarbeit begegnet, nicht so spontan mit so viel Wohlwollen begegnen. Aber es ist eben zu verrückt: Diese müden Augen, diese schmale Ober- und die volle Unterlippe, dieses schmale Gesicht, das so leicht zum Strahlen zu bringen wäre, wenn da nur was wäre, was es zum Strahlen brächte, das alles kommt Lea sofort so vertraut vor. Hat sie es selbst doch so oft schon gesehen, öfter sogar, als er ihr lieb ist, morgens im Spiegel nämlich.

      „Frau Schmitter, wer hat Ihr Auto heute Abend benutzt?“, hat Lea die junge Frau gefragt, um sie nicht länger nur zu betrachten, sondern um auch mal etwas zu tun.

      „Mein Mann, wieso?“, hat sie geantwortet, direkt besorgt. Fast ohne Anflug von Dialekt. Hört man nicht oft in der Gegend bei einer Ermittlung, zu diesem Anlass, zu dieser Uhrzeit sogar noch seltener.

      „Weil wir Ihren Wagen an der Kreisstraße gefunden haben. Auf der Seite liegend, abgeschlossen und verlassen. Er ist offenbar von der Fahrbahn abgekommen und umgekippt. Ist Ihr Mann denn mittlerweile ohne Auto nach Hause gekommen?

      Worauf es Heidrun Schmitter unmittelbar entfuhr: „Das dumme Arschloch.“

      Gut, dass Lea keinen von den Jungs dabei hat. Denn wenn einer von denen nun neben ihr stünde, könnte sie sein Grinsen jetzt spüren, und das wäre einfach unprofessionell.

      „Das klingt, als wäre er noch nicht zu Hause“, erwidert Lea trocken.

      „Nein, ist er auch nicht“, erklärt Heidrun Schmitter. „Und nach dem, was Sie mir da gerade erzählt haben, wird er sich hüten, nach Hause zu kommen.“

      Lea spürt, dass die Wut in der jungen Frau noch am Hochkochen ist und längst nicht die Temperatur erreicht hat, die den Deckel vom Topf fliegen lässt.

      „Unter Umständen auch gar nicht?“

      „Möglich. Das ist schließlich mein Auto, das er da kaputtgefahren hat, das dumme Arschloch.“

      „Zu Ihrer Beruhigung: So kaputt ist Ihr Wagen gar nicht, soweit ich das beurteilen kann. Und was genau geschehen ist, wissen wir ja noch gar nicht. Es könnte sogar sein, dass Ihr Mann den Unfall gar nicht verursacht hat. Um das herauszufinden, bin ich ja hier. Darf ich reinkommen?“

      „Natürlich.“

      Es ist kein großes Haus, in dem die Schmitters wohnen. Von vorne sieht es aus wie die Zeichnung eines Kindes: Ein Quadrat, auf das ein gleichschenkliges Dreieck gesetzt ist. In der Mitte die Haustür, links und rechts davon Fenster, und noch ein Fenster oben in der Mitte. Sechziger Jahre, mit Bausparvertrag finanziert. Freistehend, giebelständig, direkt an der Straße, die Fassade muss schon lange mal wieder abgestrahlt werden, der Garten erstreckt sich nach hinten raus.

      Lea folgt Heidrun Schmitter und dem Geruch von Möbelpolitur ins Wohnzimmer. Nussbaum furniert. Das teuerste Möbelstück ist der Flachbildfernseher, 46 Zoll. An der Wand der gescheiterte Versuch, einen modernen Akzent zu setzen: Salvatore Dalí, die zerfließenden Uhren, mehr Metapher geht fast schon nicht mehr. In der Ecke ein Gummibaum, der noch immer überzeugt davon ist, dass er mal ein ganz Großer werden könnte, wenn er nur genug Licht bekäme.

      „Möchten Sie einen Schnaps?“

      „Danke, nein.“

      Das Bin-im-Dienst erspart sich Lea. Sie kann allerdings gut verstehen, dass Heidrun Schmitter einen braucht. Sie öffnet eine Glasvitrine, holt ein tropfenförmiges Glas hervor, greift eine kegelförmige Flasche aus dem Globus, dessen obere Hälfte aufgeklappt ist. Die Hausbar.

      Roter Weinbergspfirsich. Ja, der würde der Ersten Polizeihauptkommissarin auch schmecken. Wenn sie nur nicht immer so gottverdammt professionell auftreten müsste.

      „Ich habe einen anonymen Anruf erhalten, der meiner Vermutung zufolge von der Begleiterin des Unfallschuldigen kam“, setzt Lea das Gespräch fort, nachdem sie sich in die bereitstehenden Polstermöbel gepflanzt haben, Heidrun Schmitter aufs Dreiersofa, Lea in den Sessel. „Für mich sieht es eher so aus, als ob Ihr Mann von einem anderen Verkehrsteilnehmer von der Fahrbahn gedrängt worden wäre.“

      „Na wunderbar“, kommentiert Heidrun Schmitter und kippt den Weinbergspfirsich mit einem sanften Ruck in sich hinein.

      „Das Dumme ist nur, wenn Ihr Mann selbst lieber das Weite sucht, statt den Unfall anzuzeigen, verringern sich auch unsere Chancen, den Schuldigen zu finden. Und dafür zu sorgen, dass der entstandene Schaden gerecht reguliert wird.“

      Heidrun Schmitter blickt Lea lange an, aus Augen von kaum definierbarer Farbe, eine Art Blaugrüngrau. Es ist, als wolle sie sagen: Wir brauchen uns doch nicht ernsthaft was vormachen, oder? Wir sind doch verwandte Seelen.

      „Und