534 - Band I. Milena Himmerich-Chilla. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Milena Himmerich-Chilla
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783745083651
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dass es nicht der rechte Zeitpunkt war, seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen, jedenfalls noch nicht.

      Ungeachtet der Lautstärke trieb die gebeugte Gestalt den Stab in seiner Rechten feste gegen die grauen Steinplatten unter ihm. Der so entstandene ohrenbetäubende Donner bildete mit dem kurz darauf folgenden, schleifenden Geräusch seines erlahmten rechten Fußes einen berauschenden Rhythmus.

      Der Ziegenbock schien dabei sein nahendes Ende bereits zu erahnen und begann sich mit all seiner Kraft zu wehren. Seine silbernen Augen traten ihm bereits aus den Augenhöhlen und wirkten grotesk im Gesamtbild, das sich den Beteiligten bot. Er sprang, riss seinen Kopf ruckartig in jede nur erdenkliche Richtung, um sich dem festen Griff des Peinigers zu entziehen.

      Die Gestalt, deren burgunderfarbener Umhang sich von den Anwesenden unterschied, beugte sich, im Zentrum der Zeichnung angekommen, hinab. Dabei fiel ihm die ausladende Kapuze tiefer in sein Gesicht, so dass nur Dunkelheit darin zu erkennen war. Er konnte die Angst des Bockes riechen, sie herb auf seiner Zunge schmecken, welche sich wild im Mund hin und her wog. Eine Gänsehaut überzog die unstetig behaarten Arme, während ein Schauer der Vorfreude sich über seinen buckligen Rücken ergoss.

      Fixiert auf die glänzenden Augen des Bockes, ließ er seinen Stab los und umfasste mit der freien Hand das zweite, an der Spitze abgebrochene Horn des Tieres. Der nunmehr freie Stab zog hörig am Rande der Szenerie seine Bahnen, als dessen Herr den bereits schwitzenden Bock zu Boden riss und auf die Seite drängte. Mit letzter Kraft versuchte das Tier sich erneut aufzurichten, doch war sein Bemühen vergebens. Die Schwere des fremden, in rotem Samt gehüllten Körpers presste die Luft aus dessen Lungen ohne jegliche Anstrengung.

      »Schhhh«, säuselte die übertrieben süße Stimme aus dem Inneren des Stoffes, bevor sich die Klinge eines Dolches in den fellüberzogenen Hals bohrte und an Stelle eines angsterfüllten Meckerns, zähes Gurgeln trat. Die Läufe des kämpfenden Bockes zuckten unkontrolliert im anhaltenden Todeskampf. Erneut versuchte sich das verstörte, blutende Tier aufzurichten, doch auch dieser Versuch scheiterte kläglich. Sekunden verstrichen, bis auch das Rucken seines windenden Körpers nach und nach erstarb und sich schmieriges Blut über die Kreidezeichnung ergoss. Die Festung vibrierte, als das darauf folgende Erdbeben durch die Gänge trieb und auf die kleine Gruppe hin rollte. Schmerzerfüllte Schreie drangen polyphon aus den unnatürlich weit aufgerissenen Mündern der Braunmäntel, während ihre Augen, nach oben gerollt, blind ihrer Weiße in die Welt stachen.

      Untermalt von jenem unablässigen Schreigesang hob die rotgewandete Gestalt seinen nunmehr mit Blut gefüllten Kelch an die Lippen. Euphorisch sog er den metallischen Geruch, der aus dem silbergrauen Gefäß in seine Nase stieg, ein. Speichel zwängte sich hin in seinen Mundraum, bevor das kühle Metall seine Lippen auch nur berührte. Er konnte es kaum noch erwarten.

      Sanft liebkoste er das harte Gefäß, bevor er es mit einem gierigen Zug zu Gänze leerte. Warm war die Flüssigkeit gewesen, die unter seine Zunge floss und mit der er spielte. Seine Augen schlossen sich, während in ihren Winkeln die aufgekommenen Tränen verheißungsvoll schimmerten. Als er jedoch nach einigen wenigen Momenten des penetranten Eigengeschmacks überdrüssig war, würgte er das Blut, gepaart eines Anfluges von Ekel, herab. Sein Gesicht verzog sich dabei zu einer undefinierbaren Grimasse. Dann war es so weit. Er konnte es plötzlich fühlen.

      Genüsslich lehnte er sich nach hinten und atmete tief ein. Seine Adern pulsierten, brannten förmlich. Er wurde von der aufkeimenden Magie erfasst, welche seine Haut zum Bersten spannte und ihn innerlich zu zerreißen drohte. Es war ein großartiges Gefühl.

      Zeitgleich der unweigerlichen Euphorie, sank sein Gefolge auf die Knie, beugte sich nach vorn über und berührte den Boden mit der Stirn. Ihre Stimmen waren bereits verklungen, wie auch ihre Echos. Die Stille hielt nunmehr jenen Ort überschwemmt, während die Körper sorgfältig ausgerichteter Statuen glichen.

      Als die Anspannung endlich seine Klauen zurückzog und vom Raum, der die Anwesenden umgab, abließ, erhoben sich die Kreiszeichner synchron und lautlos in ihrer Bewegung. Die Gestalt inmitten dieser jedoch, blieb knien und kraulte das leblose Tier väterlich zwischen den Hörnern. Noch immer traten dessen Augen weit aufgerissen heraus, jedoch blieb das Leben, welches sich einst in ihnen gespiegelt hatte, aus.

      Die rote Kapuze der knienden Gestalt rutsche ein gutes Stück nach hinten, als jene den Kopf anhob und die schmale Öffnung im Zentrum der Kuppel verträumt betrachtete. Ein breites Grinsen entblößte die blutüberzogenen, schiefen Zähne und thronte erbarmungslos auf seinem Gesicht. Er aalte sich in dem aufkommenden Gefühl des Erfolges, stand er doch kurz vor der Vollendung.

      »Dieser Abend ist von Erfolg gekrönt, meine Freunde. Ich konnte es mit solcher Intensität fühlen, es riechen ...« Er stöhnte vor Erregung auf, bevor er fortfuhr. »Ja, sogar schmecken. ... Bald ist es geschafft und ihr alle werdet für eure Bemühungen reich entlohnt werden. Dessen seid euch sicher!«, drang es rauchig aus seiner Kehle. Ein freudiges Raunen keimte unter den braunen Kreiszeichnern auf und verdichtete sich zu Jubelschreien, welche die Katakomben der Festung erfüllten.

      Die rote Gestalt erhob den rechten Arm. Auf jenes Zeichen hin trieb der Stab zurück in die geöffnete Hand. Hart schlug dieser auf der getroffenen Fläche auf, bevor der Gewandete das abgenutzte Holz schnaufend umfasste und sich augenblicklich daran hinauf zog.

      Nur langsam trugen ihn seine wackligen Beine auf das gegenüber liegende Podest hin. Dort angekommen lüftete er die Kapuze und legte seine, darunter verborgen gelegene, deformierte Fratze frei. Das Linke seiner beiden Augen lag nach hinten versetzt und schielte blind auf die Welt vor sich. Das Zweite, Gesunde, in dem der Wahnsinn wütete, fixierte seine Anhänger. Ein Lächeln lag auf seinen Lippen, während der Speichel in seinen Mundwinkeln das Licht der vereinzelten Kerzen reflektierte. »Ich bin stolz auf Euch, meine Getreuen. Stolz auf das, was wir schon erreicht haben und auf jenes, was wir in naher Zukunft noch erreichen werden!«

      Bei diesen Worten verdrehte sich sein linkes Auge unnatürlich weit, während ein tief grollendes Lachen sich durch seine Kehle zwang, in das die anderen Gestalten mit einstimmten. »Unsere Zeit ist nah!«, schrie er euphorisch in die Versammlung. Johlen ergoss sich als Antwort über sein Gefolge und durchflutete die schmalen Gänge.

      Einmal mehr thronte ein Lächeln auf seinen Lippen, als er sich von der feiernden Masse abwandte. »Bald sehen wir uns wieder«, dachte er und wischte sich den bereits am Kinn herab geflossenen Speichel flüchtig mit dem Saum seines Ärmels ab.

      Es bedurfte einiger Zeit, bis die gebeugte Gestalt endlich vor der schweren Eichentür stand, die ihn als letzte Hürde von seinem Gemach trennte. Seufzend entließ er den Stock seiner Hand und begann den schmerzenden Körper gegen das dunkle Holz zu pressen. Nur langsam gab jenes nach und schwang widerwillig auf.

      Haltsuchend, fasste er hektisch nach dem großen, handgeschmiedeten Eisenring, der an der modrig riechenden Tür angebracht war. Dabei schob er sich durch den schmalen Spalt, hinein in das abgedunkelte, wenig einladende Zimmer. Einen Augenblick lang spielte er mit dem Gedanken, die Türe hinter sich zu schließen, aber ließ es sein. Dafür fehlte ihm in jenem Moment einfach die Kraft. Zudem hatte er nichts zu befürchten hinter den monumentalen Mauern, welche sein Gefängnis seit jeher formten.

      Er gestand sich eine kurze Rast ein, in der er, Sicherheit suchend, seinen Stab zu sich rief und mit den Fingern umschloss. Nachdem er einige Atemzüge gemacht hatte, wandte er sich um und setzte den Weg auf den alten, abgenutzten Sessel in der Ecke des Raumes fort.

      Zitternd umfasste er dessen abgegriffene Lehne und ließ sich langsam herabsinken. Entgegen seiner Anstrengung verließ ihn auf den letzten verbleibenden Zentimetern der Rest seiner verbliebenen Kräfte.

      Das entstellte Gesicht verzog sich zu einer finsteren Grimasse, als er endlich sitzend, den Stab zur Seite feuerte, um seinem Ärger Luft zu machen. Wie sehr hasste er seinen Körper. War dieser doch jeher der Nährboden des Spotts gewesen, dem er immerfort ausgesetzt war. Stumm musste er die tagtäglichen Verletzungen ertragen, nur weil seine Mutter ihren Lastern nichts entgegnen konnte und ihn mit ihrem eigenen Bruder gezeugt hatte. »Hure!«, entfuhr es ihm, von Hass bestärkt. In ihm gärte es und Galle stieg seinen Hals hinauf. Sie alleine trug Schuld an seinem abstoßenden Äußeren, den