Und dann lacht sie wieder. Ein fröhliches, verschmitztes Lachen, nicht das Lächeln für Touristen. „Irgendwann gehe ich nach Italien, bald, nicht wegen dem Typen. Einfach, weil ich es so will.“
Und auch dort wird sie sagen: „Yo soy la Colombiana“, weil sie frei ist, vogelfrei.
Die Seide der Kobolde
Warum er an diesem Abend mit ihr mitgegangen war, hätte er nicht genau sagen können. Sie war nach der Vorstellung noch in die Theaterbar gekommen und hatte sich neben ihn gesetzt. Offenbar kannte sie Leute aus dem Stück, in dem er mitspielte. Ihr Gesicht hatte etwas Unschuldiges, und er beschloss, mit ihr zu flirten. Sie hatte schon etwas getrunken, gerade genug, um sexy zu sein, ohne ordinär zu wirken. Und noch etwas hatte sie. Sie hatte Magie. „Hexe“, nannte er sie bei sich, und konnte sich vorstellen, dass sie seine Gedanken träumen würde.
Als sie ihn fragte, ob sie diese Nacht in seinen Armen schlafen könne – ohne mit ihm schlafen zu wollen – da sagte er ja, ohne dass er hätte nein sagen können. Als sie sich vorbeugte, um mit einer seiner Kolleginnen zu reden, und sich dabei mit der Hand in seiner zerrissenen Jeans einhängte, irgendwo in der Nähe seines Knies, da wusste er, dass er mitkommen würde.
Im Morgengrauen kamen sie vor ihrem Haus an. Ihre Wohnung war nicht groß. Die selbstgebaute Schiebetür zu ihrem Zimmer ratterte ohrenbetäubend in die Morgenstille. Sie musste etliche Nachbarn damit aufgeweckt haben. Die Wohnung roch nach Gemütlichkeit. Plaudernd, als würden sie sich schon ewig kennen, zogen sie sich aus und legten sich ins Bett. „Du wolltest doch in meinen Armen schlafen, also komm her.“ Damit zog er sie zu sich. Sie war klein und zart. Aber sie hatte einen schönen runden Hintern und schöne große Brüste. Sie war okay. Einen sehr weißen Hintern und sehr weiße Brüste, wie er amüsiert feststellte, als er den Bikiniabdruck wahrnahm. Er selbst war schwarz.
Irgendwann wollte er dann doch mit ihr schlafen. Nicht, weil er sie wirklich begehrte. Einfach nur, um zu wissen, wie sie sich anfühlte. Dass er nicht kommen würde, das war ihm klar. Er sagte ihr das, sagte ihr auch, dass er keine Verantwortung übernehmen wolle, dass er gerade eine lange Beziehung hinter sich habe und den ganzen Kram. Sie reagierte ruhig darauf. „Du musst nicht mein Freund werden.“ Er zog sie über sich. „Ich glaube, du wirst heute einen netten Orgasmus haben“, scherzte er. Sie lachte, ließ sich herüberziehen. Zurückhaltend war sie, ein bisschen. Während sie miteinander schliefen, murmelte er ihr Geschichten ins Ohr. Da wusste sie, dass sie sich in ihn verlieben würde.
Übungen nannten sie es später, als sie sich daran erinnerten, dass keiner von ihnen gekommen war. „Sex ist, wenn wenigstens einer kommt“, da waren sie sich einig.
Danach legte sie sich neben ihn, zündete sich und ihm eine Zigarette an und forderte ihn auf, zu erzählen. Er erzählte ihr von der Frau, die er vor einigen Monaten verlassen hatte, davon, dass er sie, wie er sagte, nie geliebt habe. Er schien sich dafür zu schämen. Dass er seitdem nicht mehr gekommen war, dass er sich nicht leicht verliebe. Sie hörte ihm zu, und irgendetwas in seiner Art zu erzählen machte sie froh darüber, dass er bei ihr war.
Er blieb, so lange er konnte. Sie schliefen fast den ganzen Tag. Als sie ihn abends zur Vorstellung brachte, wollte er ihre Telefonnummer haben und er gab ihr seine.
Hin und wieder begegnete er ihr in dem Theater, in dem er spielte. Ob sie wegen ihm kam, wusste er nicht genau. Sie schien viele Leute zu kennen.
Das nächste Mal, als er sie nach der Vorstellung ansprach, war er müde, unausgeschlafen und schlechter Laune. Und er wusste nicht, ob er sie sehen wollte. Aber er wollte, dass es ihr gut ging. „Ruf mich an“, sagte er ihr zum Abschied und hoffte, dass sie es nicht tun würde.
Ein paar Tage später sah er sie erneut. Sie stand da, mit einer Freundin, in der Pause, die unvermeidliche Zigarette in der Hand. Und er war überrascht von ihrer Schönheit. Danach fragte er sie, ob sie ihn mitnehmen würde, am Tisch, bei den anderen. Sie sagte ja. Ansonsten redeten sie nicht viel. Ab und zu gab er ihr seinen Wein zu trinken, und ihre Hände berührten sich dabei.
Später an diesem Abend sagte er ihr, dass er sich in sie verliebt hätte – zwischen zwei Bissen Pizza – und sie fragte nur: „Bist du sicher?“ „Ich glaube ja“, nickte er.
Er ging vor ihr, um draußen auf sie zu warten. Er wollte noch nicht, dass die Welt von ihnen wüsste. Als sie kam und mit ausgebreiteten Armen auf ihn zulief, da musste er mit ihr lachen, über ihr Glück.
Dieses Mal kam er. Am nächsten Morgen, unter ihren Händen und zwischen ihren Lippen. „Ich weiß, dass es bei dir gehen wird“, hatte er zuvor gesagt. „Ich weiß es auch“, hatte sie geantwortet, denn sie war vor ihm gekommen, an seiner Hand.
Dann erzählte er ihr von seiner Reise zwischen die Sterne. Von der ungeheuren Explosion des Firmaments, in die sie ihn und seinen schwarzen Schwanz entführt hatte.
Er erzählte ihr auch von dem Moment, als seine Seele sich erstmals seines neuen Lebens bewusst geworden war, in seinem Blickfeld nur die Stäbe des Kinderbettes. Und sie sah durch seine Augen den Blick, mit dem er ein Baby gewesen war. Lange lagen sie noch nebeneinander und eröffneten sich die Magie dieser Welt mit unglaublichen Geschichten von Wahnsinn und Wahrheit.
Bald darauf kam er zu ihr, um Abschied zu nehmen. Sie träumte noch von einem Anfang. Alles was sie wusste war, dass er einer von denen war, auf die sie gewartet hatte. Wusste, dass sie ihn lieben könnte.
Er war zu dem Ergebnis gekommen, dass die Frau, die er verlassen hatte ihn nicht freigeben, dass sein schlechtes Gewissen die Gefühle immer wieder ersticken würde. Er hatte Angst. „Verliebe dich nicht in mich“, sagte er deshalb, „ich werde dir wehtun“.
Diese Nacht schlief sie nicht gut neben ihm. Sie spürte, dass er nicht bei ihr war.
In die Abschiedsvorstellung kam sie mit der Gewissheit, dass sie leiden würde. Sie sah ihn mit der anderen gehen, ängstlich besorgt, diese nicht mit seiner fehlenden Liebe zu quälen.
Nach ein paar Tagen hatte sie alle Tränen geweint, die sie für ihn hatte, in der Gewissheit, dass dies eines der wenigen Wunder hätte sein können, das die launische Welt der Liebe für die Menschen bereithält. Ihre Freunde hatten den Kopf geschüttelt und sie Träumer geschimpft, aber sie hatte in seinen Augen ihre Seele gesehen.
Sie hatte den Reigen der Kobolde erblickt, die ihn umtanzten, blitzartig fratzenhaft und auf schillernde Weise freundlich. Ihre Hexenaugen hatten sie erkannt und liebevoll als ihre Gefährten begrüßt. Sie wollte ihm gerne sagen, dass in ihrem Leben Platz wäre – für ihn und die Kobolde.
Er willigte ein, sie noch einmal zu sehen. Sie verabredeten sich, doch er kam nicht vorbei. Sie hatte sich schön gemacht in der Ahnung, dass er nicht kommen würde. Das half ihr, sich nicht leid zu tun. Sie machte Musik daheim und feierte ein Abschiedsfest. Sie sang und tanzte für ihn.
Dann lächelte sie dem Leben durch das Fenster zu. „Seine Haut war wie Seide“, erzählte sie dem Novembernebel.
Kriegerliebe
Da ihm da, wo er aufwuchs, nichts anderes als die Kraft seiner Arme und die Macht seiner Wut das Überleben hatten sichern können, war ihm die Gewalt zur zweiten Natur geworden. Sie lebte in seinem Körper wie ein zusätzliches Gen, geboren aus der Vereinigung von Armut und Hass.
In dem täglichen Kampf um den Stärkeren war er immer der Stärkste gewesen. Stämmig und untersetzt von Statur schien sein Schwerpunkt tiefer als der aller anderen Menschen, mit denen er sich maß. Es war fast unmöglich, ihn zu Fall zu bringen, und seine Faust versprach schon sehr früh, tödlich zu werden. Zugleich konnte er, der sonst eher schwerfällig Wirkende, im Kampf zu einer sekundenschnellen Beweglichkeit wachsen, die ihn ohne das Zutun von bewusster Gedankenkraft schon den bloßen Absichten seines Gegners ausweichen ließ. Über das Kindliche seines unterentwickelten Intellekts hatte sich eine Maske der stumpfen Unbeweglichkeit gelegt, die in ihrer Unlesbarkeit erschreckender war als jede noch so deutliche Grausamkeit in einem Gesicht.
Das einzige,