„Ich habe mich in einem anderen Raum eingemietet, um mehr Platz und Ruhe zu haben. Wenn es dir passt, dann sollten wir uns morgen zusammen setzen wegen meines Teams.“
Er wollte nicht zu viel über seine derzeitige Arbeit sprechen, wenn die Sache vorbei war, würde er Leitner sicherlich einweihen können, aber für den Augenblick war es ihm lieber, wenn er sich allein auf seine Arbeit konzentrieren konnte.
„Ich könnte um elf bei dir sein.“
„Ich komme zu dir ins Büro und bringe ein paar Unterlagen mit, damit du für das Donnerstags-Treffen vorbereitet bist.“
„Gut, dann um elf bei mir. Übrigens, meine spezielle Freundin vom Spiegel ist jetzt nicht nur an Barschel, sondern auch an der NSA-Sache dran. Die scheint sich immer für die gleichen Sachen zu interessieren wie wir. Ich hab ihr nichts gesagt, aber wundere dich nicht, wenn die auf einmal bei dir in der Strippe hängt.“
„Danke für die Vorwarnung.“ Johannsen überlegte. Sein Kollege hatte von der Journalistin erzählt, er hatte der Sache aber keine große Beachtung geschenkt. Das LKA stand nicht unter ständiger Beobachtung der Medien, ganz im Gegensatz zu den Legislativbehörden, daher waren sie es nicht gewohnt, dass ihnen Journalisten an den Hacken hingen. Solange die Redakteurin vom Spiegel nicht wusste, wer die Sache bearbeitete, hatte er aber wohl nichts zu befürchten.
„Sag mal, Hans-Gerhard, hast du mal was von einer Operation Hammelsprung gehört?“
Er folgte einer Intuition, auch wenn es keine allzu gute Idee war, Details aus den Dokumenten mit seinem Freund zu teilen. Nach ein paar Momenten Schweigen, die nur vom Klackern einer PC-Tastatur unterbrochen wurde, antwortete Leitner.
„Operation Hammelsprung, da haben wir was in den Daten. Ist allerdings im Moment nicht bei uns gelagert, sondern in NRW.“
„Aha. Hast du in der Datenbank nachgeschlagen?“
„Ja, es sind drei Akten verzeichnet, aber die sind wie gesagt alle ausgeliehen.“
„Warum gerade Nordrhein-Westfalen?“
„Frag mich was anderes, kannst ja mal die Kollegen in Düsseldorf anfunken.“
„Ok, danke, bis morgen!“
Johannsen legte auf und fragte sich, was Akten aus dem LKA Kiel in Düsseldorf zu suchen hatten. Die Antwort wussten wohl wirklich nur die Kollegen in NRW. Er nahm einen Edding und schrieb „NRW“ auf das Bart-Dokument. Dann schaltete er den Computer aus, schloss den Raum ab und ging zum Aufzug.
Atlantic Hotel, Hamburg, Dienstag 20.08 Uhr
Grit Junkermann hatte sich in ihr kleines Schwarzes gezwängt und ihr teuerstes Parfum aufgetragen. Frisch epiliert und mit perfektem Make-Up saß sie an der Lobby-Bar des 5-Sterne Atlantic Hotels direkt an der Hamburger Außenalster. Sie fühlte sich sexy, wusste, dass die Blicke mehrerer Männer auf ihrem Hintern und ihrem tiefen Ausschnitt ruhten. Einer hatte es ihr angetan. Er saß vielleicht zehn Meter entfernt an einem Tisch und trank einen Cocktail. Groß, gut gebaut, grau meliertes Haar, teurer Anzug, ein perfekter Kandidat für heute.
„Darf ich sie auf einen Drink einladen?“
Die Anrede ließ sie kurz zusammenzucken. Ein Herr Mitte fünfzig hatte sich in ihrem Rücken auf den Barhocker neben ihr gesetzt und beugte sich zu ihr herüber. Er war in keinster Weise das, was sie an Männern attraktiv fand. Der Anzug konnte die zu vielen Kilos nicht kaschieren, die Krawatte saß leicht schief, das After Shave roch billig. Immerhin hatte er Mut und hatte sie nicht wie manch anderer zuvor auf plumpe Weise angemacht.
„Tut mir leid, ich bin bereits verabredet.“
Er nickte, nahm sein Bierglas und stand auf. Es war leichter, einem Mann zu sagen, man sei bereits verabredet, als ihm die Wahrheit ins Gesicht zu sagen. Die meisten Männer fassten ein „nein“ als persönlichen Angriff auf, manche reagierten barsch oder gar aggressiv. Sagte man, dass man bereits vergeben oder verabredet sei, so akzeptierten sie das in aller Regel. Sie konnten sich sagen: „Wenn sie nicht verabredet gewesen wäre, dann...“ Sie würden die Wahrheit nie erfahren, mussten sie auch nicht. Grit war sie los, und sie hatten ihr Gesicht gewahrt.
Nachdem sie dem ersten Kandidaten eine Abfuhr erteilt hatte, wagte sich zunächst niemand sonst an sie heran. Zu offensichtlich schien, dass eine Frau wie sie bereits vergeben war. Sie bestellte einen Daiquiri und blickte zu ihrem Favoriten. Der musterte sie ein paar Minuten, dann stand er auf, trat an die Bar und stellte sich vor. Sie unterhielten sich ein paar Minuten, dann ließ sie ihren Drink stehen, erhob sich und ging mit ihm zum Aufzug. Sie mochte das Kribbeln, das sich in solchen Momenten in ihrem Körper ausbreitete, liebte seine Erregung, die sie spüren konnte, als er sich im Aufzug an sie presste während sie sich küssten. In seiner Suite im obersten Stockwerk hatte er einen fantastischen Blick über die Alster. Sie würdigte das Panorama mit keinem Blick und ging direkt zum großen King size Bett. Er schlug das Laken zurück und blickte sie an. Mit geübtem Griff öffnete sie den Reißverschluss ihres Kleides und ließ es zu Boden fallen. Sie erkannte die Begierde in seinen Augen, als sie nackt vor ihm stand. Ihre Hand fuhr über seine Hose und massierte seine Erektion. Dann legte sie sich lasziv aufs Bett und beobachtete ihn, wie er sich auszog und ein Kondom aus der Bettkommode holte. Aufmerksam verfolgte sie, wie er es über seinen mächtigen Penis streifte. Safe Sex hatte für sie oberste Priorität, daher war ein korrekt angelegtes Kondom ein absolutes Muss für sie. Zufrieden betrachtete sie das Ergebnis, dann lehnte sie sich entspannt zurück, schloss die Augen und spreizte frivol ihre Beine. Jetzt durfte er mit ihr machen, was er wollte.
Millennium Club, Frankfurt, Dienstag 20.22 Uhr
Mike Pawelski stand an der Bar des exklusiven Millenium Clubs in der Frankfurter City und flirtete lässig mit der Barkeeperin. Da er einen VIP-Ausweis besaß, würde keine Mitarbeiterin wagen, ihm die kalte Schulter zu zeigen. Sein Kleidungsstil fiel aus dem Rahmen, doch wer ihn sah, ging davon aus, dass er einer dieser superreichen IT-Freaks war, die in ihrer Garage Sachen wie Facebook oder WhatsApp entwickelten. Diese Aura des vermeintlichen Milliardärs sorgte dafür, dass er trotz zerrissener Jeans und lässigem T-Shirt ins Bild des Millennium Clubs passte. Mikes Smartphone vibrierte in seiner Hosentasche. Er blickte kurz aufs Display und ein Lächeln überzog sein Gesicht. Fanny war wieder online, jede Menge neuer Daten wanderten in diesem Augenblick auf seinen Server. In spätestens einer Stunde würde er zuhause sitzen und großen Spaß daran haben, sich durch die neuen Dateien zu arbeiten. Euphorisch steckte er das Smartphone weg, lehnte sich über den Tresen und flüsterte der Barkeeperin etwas ins Ohr.
Saalgasse, Wiesbaden, Dienstag 20.31 Uhr
Nach einer Pasta mit Gemüse und zwei Gläsern Mineralwasser war Stefanie Wohlfahrt gerüstet für eine längere Spätschicht. Nachdem sie den halben Tag mit anderen Dingen verplempert hatte, war es höchste Zeit, mit ihrer Aufgabe voran zu kommen. Ihren Laptop auf dem Schoß, eine Thermoskanne mit heißem Tee vor sich auf dem Wohnzimmertisch und einen Block mit kariertem Papier neben sich auf dem Sofa, hatte sie versucht, an ihre letzten Fortschritte anzuknüpfen. Mittags war sie über dem ermüdenden Verschieben von Dateien in ihre drei Ordner „60de“, „bade“ und „fade“ eingenickt. Nun klickte sie sich durch die einzelnen Dateien dieser Ordner und machte sich mit Bleistift Notizen auf ihrem Block. Die Inhalte des „60de“ Ordners schienen komplett unzusammenhängend und nutzlos. Abhörprotokolle von Kabinettssitzungen früherer Jahrzehnte, Emails aus dem Kanzleramt, Informationsbroschüren des Bundesagrarministeriums – wie ermüdend musste es für die NSA erst sein, täglich tausende solcher Dokumente abzufangen und zu versuchen, die wenigen wirklich interessanten Daten daraus herauszufiltern. Ähnlich langweilig waren die Dateien im „bade“ Ordner. Ein unscharfes Foto eines Mannes, der in schwarzem Anzug aus einer Limousine stieg, eine Übersicht über DAX-Aktienkurse am 19. August 1991, ein kopierter Brief, dessen Absender und Adressat geschwärzt waren. Ein weiteres Bilddokument zeigte einen Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung aus dem Februar 1994. Unglaublich, wofür die NSA sich interessierte. Der Artikel war aus der FAZ ausgeschnitten worden und auf ein DIN A4 Blatt geklebt worden, ehe man