Töchter aus Elysium. Werner Siegert. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Werner Siegert
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847699941
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und habe möglicherweise mit meinen Schuhen ihre Stirn berührt.“

      Velmond holt aus einer Mappe Fotos, legt sie Frau Lepper vor: „Dies sind die Fotos aus der Klinik, die unmittelbar nach der Einlieferung gemacht wurden. Bestehen Sie weiterhin auf Ihrer Aussage, dass diese Verletzungen lediglich auf ‚mögliche Berührungen’ zurückzuführen sind?“

      RA Hammer: „Frau Dr. Lepper wird auf diese Frage nicht antworten.“

      Dr. Lepper: „Die Experimente mit einem Libido-Hemmer, die angeblich in einem Falle tödlich verlaufen sein sollen, wurden vor meiner Zeit durchgeführt!“

      Velmond: „Sie haben in einem laut geführten, streiterfüllten Gespräch in der Halle, unmittelbar nach dem Abtransport der schwerstverletzten Dr. Berghoff gesagt, sie hätten die Schwerverletzte absichtlich mehrere Stunden, die Rede war sogar von Tagen und Nächten, im Keller liegen lassen. Überdies hätte man sie nie abtransportieren lassen dürfen, und Sie hofften, dass sie nie wieder zu Bewusstsein käme ....“

      Dr. Lepper: „Wer hat Ihnen denn das erzählt?“

      Velmond ruft den Zeugen Elsterhorst in den Raum.

      Elsterhorst: „Frau Dr. Lepper, ich habe Ihr Gespräch mit der Direktorin und Frau Hendrix in jener Nacht mitgehört und mir anschließend sofort Notizen gemacht. Der ziemlich genaue Wortlaut des Gesprächs ist hier auf diesem Karton notiert. Er entspricht dem, was Kollege Velmond soeben referiert hat!“

      Dr. Lepper: „Herr Hauptkommissar Elsterhorst, Sie tragen Hörhilfen. Können Sie beweisen, dass Sie in jener Nacht, als Sie durch Geräusche wach wurden, sofort Ihre Hörhilfen eingesetzt und aktiviert haben? Was Ihr Kollege soeben behauptet hat, ist kompletter Unsinn. Dieses Gespräch hat in dieser Form und mit diesem Inhalt nie stattgefunden!“

      Elsterhorst: „Das ist schon sehr dreist, Frau Dr. Lepper. Ich bin durch das Blaulicht des Krankenwagens geweckt worden, habe wie immer fast automatisch meine Hörhilfen eingesetzt, weil ich ja hören wollte, was da vor sich geht. Als der Wagen weggefahren war, habe ich mich den Flur entlang geschlichen und habe sie alle drei unten in der Halle laut und deutlich gehört. Ich bin Kriminal-Hauptkommissar. Glauben Sie im Ernst, ich will lauschen und vergesse meine Hörhilfen? Zudem stimmt die Realität mit dem Gesagten überein: Sie versprachen, die Blutflecken im Keller dreimal mit scharfen Putzmitteln so zu reinigen, dass sie niemand mehr analysieren könne. Genau dies ist geschehen. Sie haben die Hoffnung geäußert, dass Frau Dr. Berghoff nicht mehr lebend in der Klinik ankommt. Das ist gottlob nicht geschehen. Sie wollten ihr aber, falls sie mit dem Leben davon kommt, einen Krankenbesuch abstatten und dann - wörtlich! - ‚schwupps’.“

      Velmond: „Überdies haben Ihre Kolleginnen bei ihrer Flucht alle Computer mitgenommen, aber Ihren nicht. Weshalb? Weil Sie die Festplatte gelöscht hatten? Die ist jedoch inzwischen wieder revitalisiert worden. Somit wissen wir auch, dass die Experimente mit LibidEx sehr wohl zu Ihrer Zeit durchgeführt wurden. Zudem befindet sich der Patient Conrad Muhr, an dem Sie vor 14 Tagen die Experimente weitergeführt haben, noch immer in einem kritischen Zustand. Nach Aussagen eines weiteren Zeugen ist ein Patient nach einem ersten Experiment mit einem im Haus Elysium entwickelten libido-hemmenden Wirkstoff verstorben. Sämtliche Tote der Elysium-Zeit, die auf dem Friedhof oder im Wald beerdigt wurden, werden exhumiert. Unser ausgebildeter Leichensuchhund hat bereits mehrere Grabstätten aus der Klosterzeit herausgefunden, die später doppelt belegt wurden.“

      RA Hammer: „Meine Mandantin wird ab sofort keine Erklärungen mehr abgeben!“

      Elsterhorst und Velmond fast synchron: „Das ist auch nicht mehr nötig. Frau Dr. Lepper wird dem Haftrichter vorgeführt! Unsere Beweise sind ausreichend.“

      6. Hugo

      Gegen Mitternacht klingelte beim Kriminal-Dauerdienst das Telefon. Eine aufgeregte Stimme meldete sich:

      „Hallo, ich bin die Polizeimeisterin Carla Schott. Ich gehöre zu Überwachungstrupp „Elysium“, den die Hauptkommissare Elsterhorst und Velmond eingesetzt haben. Es geht um einen sogenannten Hugo, Nachname unbekannt. Dieser Hugo galt gestern als ebenso verschollen wie die flüchtigen Leitungskräfte dieses Instituts. Bitte richten Sie den Hauptkommissaren aus: Seit 0:24 Uhr brennt in der Wohnung des Hugo Licht. Dort bewegt sich eine Person hinter den Gardinen. Wir greifen nicht ein. Wir warten auf Weisung. Over!“

      Gottlob hielt man diese Meldung nicht für so dramatisch, dass man Hauptkommissar Lothar Velmond oder gar Maurice Elsterhorst aus dem Schlaf reißen müsste. Aber kurz nach 7 Uhr hielt man es doch für angebracht, die Meldung zumindest an Velmond weiterzugeben. Hauptkommissar Elsterhorst galt immer noch als gesundheitlich angegriffen; er hatte ja seine Kur überstürzt abbrechen müssen.

      Begleitet von zwei Einsatzwagen raste Hauptkommissar Velmond zwei Stunden später abermals durch das offene Tor zum „Elysium“ - sein Ziel: die Einvernahme und vermutliche Festnahme von Hugo, von jenem Mann, mit dem Elsterhorst bereits mehrmals zusammengerasselt war. Damals hatte er auf Rinaldo geschossen. Seither wusste man: Hugo ist bewaffnet.

      Hugo war nur als Hugo bekannt. Niemand wusste seinen Nachnamen. Hugo war jedoch seit je her da. Er diente schon in der Klosterzeit den Ordensschwestern als Haus- und Hofmeister. Er blieb im Anwesen, als die Nonnen verschwanden und weder ein neuer Mieter, noch Eigentümer in Sicht war. Offenbar war man froh, dort jemanden zu wissen, der nach dem Rechten schaute, allfällige kleine Schäden beseitigen und etwaige Einbrecher verjagen konnte. Daran änderte sich auch unter dem Emanzen nichts. Männer waren ja in ihren Augen ohnehin für die Drecksarbeit zuständig - als Sklaven gut zu gebrauchen.

      Im Sanatoriumstrakt waren noch einige Jalousien runtergezogen. Soweit sich die Patienten aufgrund der gestrigen Ereignisse nicht selbst entlassen hatten, schliefen sie noch oder saßen beim Frühstück, das ausnahmsweise in den Zimmern serviert wurde. Der Zustand eines Mannes hatte sich - wohl aufgrund der Aufregung - verschlimmert. Er musste in eine Klinik verlegt werden. Im Haupthaus wohnten noch zwölf Frauen, die sich nach der faktischen Auslösung des Instituts zunächst mal zu einer losen Wohngemeinschaft zusammengeschlossen hatten.

      Ohne Blaulicht und Sirene pirschten sich die Einsatzkräfte an die Klostermauern heran. Zwei Polizistinnen liefen ins Haupthaus, nahmen mit dem Wachtrupp Verbindung auf und forderten alle Bewohnerinnen auf, sich absolut ruhig zu verhalten. Die Aktion beträfe nicht sie.

      Draußen allerdings hörte man Schüsse. Von den Fenstern im 2. Stock aus konnten die Beamtinnen erkennen, wie ein Mann, also wahrscheinlich Hugo, von seiner Wohnung über den Garagen auf irgendjemanden zielte und schoss. Als er sich vom Haupthaus aus beobachtet fühlte, schoss er auf einige Fenster, die klirrend nach innen fielen. Die Geschosse ließen den Putz von den Wänden rieseln. Die Frauen hatten sich zu Boden geworfen und robbten in die Schutz bietenden Zimmer an der Frontseite.

      Mit einem Megaphon forderte Velmond Hugo auf, sich zu ergeben und ohne Waffe aus dem Haus zu treten. Nur so könne er seiner Verhaftung entgehen. Allerdings müsse er sich der Einvernahme unterziehen:

      „Wenn Sie hier rumballern, verschlechtern sich mit jedem Schuss Ihre Chancen! Sie gefährden andere und sich selbst! Wir können warten, bis Sie Ihre Munition verschossen haben!“

      Überraschend erschien Hugo an einem kleinen, schmalen Fenster, das wohl das Klofenster sein musste. Er brüllte hinaus:

      „Da könnt Ihr lange warten. Ich habe ganze Kisten voller Munition aus Wehrmachtsbeständen. Ich habe sogar Panzerfäuste und Handgranaten und kann jederzeit den ganzen Laden in Schutt und Asche legen! Wer dieses Haus betritt, ist eine Leiche!“

      „Herr Hugo, weshalb dieses Theater? Was haben Sie denn zu verbergen? Sie waren doch allenfalls Helfer. Sie haben doch nur vollzogen, was andere angerichtet hatten!“

      „H e r r H u g o ? Dass ich nicht lache! So blöd bin ich noch nie angeredet worden. Wollt Ihr mich verscheißern? Ich war doch nur der Dreck unter ihren Stiefeln! Ob bei den Nonnen oder den Emanzen! H e r r ? Sie wollen mich wohl verarschen? Aber das kann ich Ihnen versichern: Selbst wenn Sie mich jetzt totschießen! Ich habe genau Tagebuch geführt