Der Score. Leo Abt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Leo Abt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742774736
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Schulen und Universitäten, Behörden und Institutionen aller Art, die ihre Entscheidungsprozesse auf statistische Prognosetools und moderne Big-Data-Algorithmen stützen, um ein Höchstmaß an Vertrauen zu schaffen. Die Score Holding AG stellt auf dem Markt die gegenwärtig umfangreichsten Informationsdienstleistungen zur Verfügung und nimmt insofern eine gehobene Stellung unter den Auskunfteien ein.

      *****

      »Unsere Einrichtung ist leider gezwungen, alle Begleitumstände jeder einzelnen Bewerberin und jedes einzelnen Bewerbers genauestens unter die Lupe zu nehmen«, sagte Hoffmann. Dabei sprach er wie ein TV-Botschafter des Herrn, der glaubt, die Klarheit seines Vortrages müsse durch eine enorme Theatralik im Gesicht und an den Gliedmaßen verbessert werden.

      Mit lebhaften Händen fuhr Hoffmann fort: »Mir sind da leider die Hände gebunden. Ich darf Ihnen aber versichern, dass unsere Akademie seit ihrer Gründung stets bemüht war, bemüht ist und auch weiterhin darum bemüht sein wird, die notwendigen und - ja, das kann und darf nicht verschwiegen werden - manchmal schmerzhaften Entscheidungen mit Augenmaß zu treffen. Seien Sie versichert, Doktor Schönherr, wir nehmen unsere Verantwortung nicht auf die leichte Schulter. Wir bemühen uns um ein faires und transparentes Auswahlverfahren. Aber bei allem Verständnis für Ihre Lage und bei aller Sympathie für Ihre Tochter, Sie müssen auch unsere Sichtperspektive sehen, Sie müssen berücksichtigen, dass wir bei jährlich vielen tausend Bewerbungen allein für unsere Unterstufe, die uns jedes Jahr erreichen, dass wir unter diesen Umständen gezwungen sind, eine Auswahl entlang verantwortungsbewusster Bahnen zu treffen. Eine Auswahl, die wir uns nicht leicht machen, die leider aber in ihrer Notwendigkeit unumgänglich ...«

      Hoffmann war in erster Ehe verheiratet und Vater von zwei Töchtern, wie man auf der Schulwebsite lesen konnte. Aber die Sprache des Schulleiters war eher von regierungssprecherischer Beliebigkeit. Sein Auftreten bewarb jene spröde Korrektheit, die Männer häufig aller Chancen auf unbezahlten Sex beraubt. Wenige dünne graue Kopfhaare waren ihm treu geblieben, sie hockten auf einer Sichel zusammen, großzügig umgeben von fettfleckiger Haut, darunter ein schmatzendes Gesicht, lose verspannte Lappen zwischen Kinn und Hals, und seine Bewegungen waren die eines Zweitakters, der bei holprigem Leerlauf immer auf der Grenze zum Absaufen balancierte. Wenn er den Kopf drehte, musste er den ganzen Oberkörper mitbewegen. Wenn er sich setzte, ging es nicht ohne leises Stöhnen ab. Hoffmann war ein Mann, der eine Hand auf den Rücken legte, wenn er die andere zur Begrüßung nach vorn streckte, und in Lobliedlänge klagte, wie kostbar seine Zeit sei.

      Noch zwischen Tür und Angel hatte er die Schule in einen Leuchtturm verwandelt, der hell in den Himmel strahlte. Er hatte anschließend einen Bogen bis weit hinaus aufs Meer geschlagen, indem er Wissen als Garn für gesellschaftliche Teilhabe, Bildung als Kompass für die Zukunft, die Schlossberg als wichtigen Lotsen durch unruhige Gewässer, Schlüssel, Perspektiven, Wind und Segel, sowie immer wieder Verantwortung von diverser Seite auf eine unentwirrbare Weise miteinander verknotete.

      »Die Begleitumstände, sagen Sie«, fuhr Schönherr mit unbeabsichtigter Schärfe in eine dieser altmaierischen Wortschlangen. »Soso, was meinen Sie? Sagen Sie mir endlich, was Sie damit meinen.«

      Schönherr war nicht mit der Absicht gekommen, Hoffmann zu provozieren, aber das blöde Geschwätz, das nun schon die ganze Zeit anhielt und völlig ohne Impuls von außen auskam, hatte in ihm alte berufliche Gewohnheiten freigelegt. Es bestand nun die Gefahr, dass sie wie bissige Belehrungen einschlugen, wenn Hoffmann noch länger von irgendwelchen Begleitumständen und verantwortungsbewussten Bahnen sprach.

      »Ich weiß Ihr Engagement zu schätzen«, schob Schönherr versöhnlich hinterher. »Ich bin davon überzeugt, dass Sie und Ihre -«, mühsam würgte er das Wort »Mannschaft« hervor, »hervorragende Arbeit leisten. Der Campus und die Referenzen der Schule, das alles ist sehr beeindruckend. Umso mehr interessiert mich, wie Sie bei der Auswahl vorgehen, welche Kriterien Sie anlegen und ob es eine Möglichkeit gibt, Lisa vielleicht doch noch für das kommende Schuljahr ... Es spricht ja für die Schlossberg, dass die Bewerbungen die freien Plätze übersteigen. Vielleicht können Sie mir helfen, besser zu verstehen, worauf es Ihnen ankommt?«

      Schönherr und Hoffmann besetzten vor einem der bodentiefen Fenster mit Blick in den Schlosspark zwei Sessel von dreien, mit einem kleinen ovalen Knabbertisch im Zentrum. Das Arrangement verkümmerte im Schatten eines wuchtigen Schreibtischs aus dunklen Hölzern, eingefasst von raumhohen Bücherregalen, die es erforderlich machten, dass man eine Leiter auf Rollen heranzog, um an die zuneigungsbedürftigen Brockhaus-Bände ganz oben heranzukommen. Es schien dem Schulleiter wichtig zu sein, alles was Schönherr sagte, in einer munteren aufrechten Sitzhaltung zu ertragen, obwohl ein erschöpftes Einsinken sicher besser zu ihm gepasst hätte. Als Schönherr den Blick auf Hoffmanns feuchte Lippen nicht länger aushalten konnte, wie sie unermüdlich schlappe Wort- und Speichelfäden zogen, schaute er sich im Zimmer um. Da fiel sein Blick auf einen Flatscreen, der im Unterschied zu den riesigen Wandtafeln überall im Haus auf einem polierten Metallfuß stand und retroartig gecurved war, wie um an eine Zeit zu erinnern, als man die Dinger noch als Fernseher benutzt hatte.

      »Worauf kommt es uns an? Worauf achten wir? Was ist unsere Mission?«

      Hoffmann schien die Antwort auf dem Bildschirm zu suchen, während er zwei, drei Anläufe brauchte, bevor ihn die Wahl seiner Worte zufriedenstellte.

      »Wenn Sie erlauben, Doktor Schönherr, ich würde gern, lassen Sie mich beginnen mit ... wenn ich vielleicht zuerst auf unsere challenging Claims zu sprechen kommen darf, was den individuellen Rahmen und auch den gesellschaftlichen Sektor anbetrifft. Building Character ist das Stichwort - Sie haben sicher davon gehört -, es umreißt den herausgehobenen pädagogischen Anspruch hier bei uns auf Schlossberg. Damit will ich sagen, unser Leitbild setzt sich im Wesentlichen aus den Zielvorstellungen zusammen, die sich aus den Round Square-IDEALS ergeben ...«

      »Den was?«

      »Round Square-IDEALS? International understanding, Democratic governance and justice, Environmental stewardship, Adventure, Leadership, Service to others.«

      Schönherr verdrehte die Augen.

      »Wir bemühen uns, wertebewusste und anspruchsvolle Rahmenbedingungen für die umfassende Persönlichkeitsentwicklung aller Schlossbergianerinnen und Schlossbergianer zu setzen. Nun, was machen wir besser als andere Schulen?«

      Hoffmann räusperte sich, doch dann endlich schien er den Einstieg in eine oft gehaltene Rede gefunden zu haben.

      »Ich spreche nicht allein von einer exzellenten Ausbildung in den klassischen Formaten. Alle unabhängigen Studien bescheinigen unseren Studierenden weit überdurchschnittliche Kenntnisse auf sämtlichen Gebieten, in den Sprachen und Naturwissenschaften, den Sozial- und Gesellschaftswissenschaften, auch im Hinblick auf die nicht minder wichtigen weichen Skills. Darüber hinaus steht bei uns die Vermittlung der Score-Kompetenz ganz oben auf der Agenda. Wir vermitteln fundierte Kenntnisse über die Arbeitsweise der Big-Data-Algorithmen, um unsere Schülerinnen und Schüler frühzeitig in die Lage zu versetzen, alle Informationssysteme routiniert und verantwortlich zu nutzen. Die Platzierung der Schlossberg in den einschlägigen Rankings, ist sie Ihnen bekannt?«

      Schönherr nickte müde.

      »Und das ist auch ein wichtiger Claim, den wir an uns selbst stellen. Denn eine umfassende Wissensvermittlung ist das A und O, die solide Grundlagenbasisvoraussetzung, damit unsere Schülerinnen und Schüler, damit jeder Einzelne und jede Einzelne die Chance erhält, den Weg und die Karriere einzuschlagen und das Ziel zu erreichen, den oder die oder das er oder sie oder es anstrebt. Mir ist kein einziger Absolvent unserer ... und keine Absolventin, pardon, unserer Einrichtung bekannt, die oder der nicht Außergewöhnliches auf seinem oder auf ihrem Gebiet leistet oder geleistet hat. Hinzu kommt, dass das Bildungs- und Erziehungskonzept der Schlossberg ganzheitlich gefasst ist. Dementsprechend werden nicht nur die kognitiven und intellektuellen Skills gefördert, sondern unsere Professorinnen und Professoren sorgen beständig auch für soziale, künstlerisch-kreative und sportliche Herausforderungen. Aber ich will noch auf einen dritten Punkt hinaus - ich habe Ihre Frage nicht vergessen, Doktor Schönherr -, einen dritten Punkt, der mir sehr wichtig ist. Die Gemeinschaft hier bei uns leistet nämlich auch auf einem