Im Eifer deines Dieners. Gernot Gottwals. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gernot Gottwals
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844279788
Скачать книгу
der schlanke und drahtige Rüde die beiden Streithähne auf sich zukommen sah, knurrte und bellte er laut, zerrte unwillig an seiner Leine. Für einen Moment befürchtete sein Frauchen, ihn nicht mehr zurückhalten zu können.

      „Ruisch, Mäxche, ganz ruisch“, redete Frau Bachmann auf ihren Vierbeiner ein. Dann wagte sie einen Blick auf die beiden Passanten und runzelte zornig die faltige Stirn. „Sie sollte sisch was schäme, des arme Tier so uffzuresche.“

      „Kümmern Sie sich gefälligst um Ihren eigenen Kram“, herrschte Klotzhofer sie an.

      Gisela Bachmann nahm ihren Max und ging mit ihm weiter Richtung Mainzer Landstraße. Hinter ihr hörte sie das laute Brüllen, drehte sich noch einmal um und sah, wie Klotzhofer und sein lautstarker Begleiter hinter der Schranke der Einfahrt ins ehemalige Polizeirevier verschwanden. Sie band Max kurz an einen Laternenpfahl, ging vorsichtig ein paar Schritte zurück und hörte durch den Hinterhof Klotzhofers Stimme, die sich förmlich überschlug:

      „Sie veeerdammtes Arschloch, daas wiird Iihnen noch leeidtun, Sieeee …“ Kurze Zeit später hörte sie das Klirren von Flaschenglas, das auf dem Straßenpflaster zersprang, und danach noch lautere Schreie.

      „Um Gottes Wille, des gibt da drinne ja Mord un Todschlaach“, dachte Gisela Bachmann und rannte in Panik Richtung Mainzer Landstraße. Immer wieder drehte sie sich ängstlich herum: Wenn der zweite Mann nun herauskommen würde, könnte sie als einzige Zeugin ihr Testament machen. Doch nichts geschah. Dann nahm sie plötzlich einen schwarzen Schatten wahr und erschrak sich zu Tode. Doch es war nur eine aufgescheuchte Katze, die sich offenbar vor Max erschreckt hatte. Verzweifelt suchte sie in ihrer Manteltasche nach ihrem Handy. Als sie es endlich gefunden hatte, verständigte sie über den Notruf rasch die Polizei.

      Schon wenige Minuten später erschien eine Polizeistreife mit Rettungswagen am Tatort. „Was sagten Sie, Frau Bachmann, hinter der Einfahrt zum alten Polizeipräsidium in der Ludwigstraße? Also in der Nähe des neu eröffneten orthodoxen Museums?“, wollte Polizeihauptmeister Helmut Schubert wissen.

      „Ja, genau dort“, bestätigte Frau Bachmann und beruhigte Max, der noch immer aufgeregt bellte.

      Was sich den Einsatzkräften im besagten Hinterhof bot, war ein Bild des Grauens. Blutüberströmt lag dort eine Person mit einer großen Wunde am Kopf. Die Sanitäter beugten sich über den leblosen Körper und konnten nur noch den Tod durch Erschlagen mit einem schweren Gegenstand feststellen. „Mensch, wer macht denn so was Schreckliches? Und das an unserem alten Arbeitsplatz?“, entfuhr es Schubert.

      Das Polizeiteam inspizierte den Ort des Schreckens. Rund herum lagen Flaschen von nächtlichen Partys und die Scherben einer großen Flasche, mit der man die Person offenbar tödlich getroffen hatte. Auf den größeren Scherben waren noch Teile des Etiketts in kyrillischen Buchstaben zu erkennen. „Ganz offensichtlich so ein billiges Sonderangebot von russischem Wodka, wie man ihn in jedem Supermarkt kaufen kann“, dachte Schubert. Schon seit längerer Zeit war die Zufahrt in der Ludwigstraße neben dem Neubau des früheren Präsidiums, der nun an Partyclubs vermietet wurde, weder verschlossen noch irgendwie gesichert. Dies hing damit zusammen, dass die Stellplätze im Innenhof größtenteils extern vermietet wurden, bis der Eigentümer, das Land Hessen, eine neue Verwendung für den gesamten Komplex gefunden hatte. Die beiden Schranken waren zumindest für Fußgänger nur noch Attrappen. Jeder konnte nachts auch in die weiter hinten gelegenen Innenhöfe gehen, obwohl Teile davon in der Nähe der baufälligen Gebäude inzwischen wegen Einsturzgefahr abgesperrt waren. Trotzdem hatte man des Öfteren gehört, dass dort immer mal wieder große und lautstarke nächtliche Partys stiegen. Die vielen Flaschen und Zigarettenkippen lagen dort nicht von ungefähr.

      Hauptmeister Schubert verständigte die Mordkommission K 11, sicherte den Tatort vorübergehend und nahm die Aussagen und Personalien von Gisela Bachmann auf. Kriminaloberkommissar Pokroff saß gerade über einem besonders hartnäckigen Fall, als der Notruf bei ihm im Büro eintraf. „Ich komme sofort mit einem Kollegen vorbei“, antwortete Pokroff. Während er sein Büro verließ und zu seinem Dienstwagen in die klinisch weiße Tiefgarage hinunterging, zogen die Bilder seines früheren Arbeitsplatzes an ihm vorbei: die stattlichen, wenn auch reichlich angestaubten Diensträume in dem wilhelminischen Bau aus der Gründerzeit, die nun verwaiste Zufahrt mit Schranke im hinteren modernen Anbau. Und der Rapport beim Polizeipräsidenten im prunkvollen neubarocken Sitzungssaal.

      Pokroff sah schon die neugierigen Anwohner vor sich, die mit wohligem Gruseln zum blutgezeichneten Tatort pilgern und hinterher beim zuständigen Ortsbeirat mehr Sicherheit und Kontrolle fordern würden. Die leerstehenden Gebäude des alten Präsidiums waren den anliegenden Geschäftsleuten schon seit längerer Zeit ein Dorn im Auge.

      Gisela Bachmann zog sich gerade das Kopftuch über das weiße Haar, als Oberkommissar Waldemar Pokroff mit seinem Kollegen Evangelos Zorbas in der Ludwigstraße eintraf und zusammen mit den übrigen Beamten den Toten nach Papieren absuchte. Routiniert zogen Pokroff und der Kommissaranwärter die weißen Overalls über, bevor sie sich der Leiche näherten. Zorbas war ein temperamentvoller Grieche mit südländisch-dunkler Gesichtsfarbe. Oft wirkte er in seinem Auftreten noch jugendlich und unerfahren. Der Anblick der Leiche ließ ihn fast erstarren, er spürte, wie ihm der Schock eine eisige Gänsehaut über den Rücken jagte. Hilfesuchend blickte er zu Pokroff hinüber, der ihm betreten zunickte. Zorbas schloss kurz die Augen, holte tief Luft. Dann griff er in die Hosentasche, zog das Portemonnaie heraus. Ein kurzer Blick in den Personalausweis genügte und schon stand fest: Es war der Museumsdirektor Werner Klotzhofer.

      „Frau Bachmann, bitte beschreiben Sie noch einmal genau, was Sie gesehen haben“, forderte Pokroff die Zeugin auf. Wie üblich versuchte er, die nervöse Dame mit seinem einigermaßen ruhigen und seriösen Tonfall zu beruhigen – was ihm jedoch kaum gelang.

      „Also isch bin mit meinem Mäxche, also meinem Hund hier ne ganze Weile lang uff dere Straß spazierngegange. Dann kame die beide von der Friedrisch-Ebert- Anlaach in die Ludwigsstraß un hawwe so heftisch gestritte un gefuchtelt, dass der Hund sisch erschrocke hat un fast uff beide los wär“, erklärte Gisela Bachmann. „Isch konnt’en gerad noch so halte. Dann sin die zwaa da in den Eingang un hawwe weiter geschriee und dann hab isch aach schon des Glas geheert.“

      „Sie haben also den Kampf mit den Glasflaschen gehört? Und einer dieser beiden Männer war der Tote hier, also Herr Klotzhofer?“

      „Ja ganz sischer.“

      „Und der andere Mann, können Sie den beschreiben?“, hakte Zorbas nach. Noch nie hatte sich der südländische Kommissaranwärter in seinem Beruf so fremd gefühlt wie beim schauderhaften Anblick der Leiche an diesem feuchtmilden Wintertag.

      „Ja, des war so’n älterer, mit dunklem un aach schon graue Haar un‘nem Bart. Der hat ausgesehn wie so’n Rasputin, isch maan wie so’n Russ.“

      „Und haben Sie auch gehört, wie Klotzhofer ihn mit Namen angesprochen hat?“

      „Ja, des klang so wie Gregor oder Gregory odder so ähnlisch.“

      „Haben Sie den anderen Mann bei der Flucht beobachtet?“

      „Naa, der is wie vom Erdbode verschluckt. Isch hatt‘ ja solsche Angst …“

      „Und haben Sie sonst noch etwas Auffälliges beobachtet?“ Frau Bachmann schüttelte mit dem Kopf.

      „Gut, vielen Dank. Sie können jetzt erst mal nach Hause gehen. Ein Kollege wird Sie die paar Schritte begleiten“, bot Pokroff an. „Später werden wir Sie noch einmal im Präsidium brauchen, um ein Phantombild anzufertigen. Im neuen Präsidium in der Adickesallee, meine ich natürlich.“ Während Pokroff die alte Dame davoneilen sah, so dass ihr der Kollege kaum nachkommen konnte, drängte sich ihm eine andere Erinnerung auf: Ausgerechnet in diesem verdammten Hinterhof hatte er als junger Polizist mit Kollegen eine erfolgreiche Razzia begossen. Die ein oder andere Piccoloflasche war dabei auch zu Bruch gegangen. Tags darauf musste er sich vom damaligen Oberkommissar, der ihn sowieso auf dem Kieker hatte, eine deftige Abfuhr abholen. Und ausgerechnet hier war nun einer mit einer Wodkaflasche erschlagen worden. „Irgendwie schon pervers“, dachte er. Pokroff nahm sein Funkgerät und piepte seine Kollegin an,