Im Eifer deines Dieners. Gernot Gottwals. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gernot Gottwals
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844279788
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den Direktor zu beschimpfen und zu bedrohen“, ergriff Friedrich wieder das Wort. Tatsächlich gelang es dem sonst eher schüchternen Mann, in Sprache und Gebärden über sich selbst hinauszuwachsen. Nach außen hin stellte er sich vor Klotzhofer. Doch in Wahrheit hegte er stille Absichten, die alles andere als solidarisch waren, wie sich später herausstellen sollte.

      Endlich verließ Gregoriew das Museum, rannte wie vom Leibhaftigen getrieben über den Hof – und warf dabei fast zum zweiten Mal die Bilder am Porträtstand um. Die korpulente Bertha Teschke konnte sich gerade noch in Sicherheit bringen. „Könn‘ se nich uffpassen?“, rief sie ihm zornig hinterher. Während einige Passanten den eigenartigen Tumult beobachteten, konnte Klotzhofer drinnen die Leute notdürftig beruhigen. „Ist schon in Ordnung, das war nur ein kleiner und kurzer Zwischenfall. Dieser Irre versucht mir schon die ganze Zeit, das Leben schwer zu machen“, rief er sichtlich atemlos. Und fügte dann etwas ruhiger hinzu: „Entschuldigen Sie bitte nochmals, das ist mir alles furchtbar peinlich! Der Fall ist ja geklärt, selbst Juristen haben sich eingeschaltet. Ein Geistlicher, der sich von ein paar Schmierfinken und Paparazzi aufwiegeln lässt, das ist einfach lächerlich.“

      Klotzhofer verließ das Rednerpult und setzte sich wieder in die vorderste Reihe der Aula. Links und rechts klopfte man ihm auf die Schulter, auch von den angrenzenden hinteren Reihen kamen einigermaßen tröstende Worte. Dann aber meldete sich eine vorsichtige Stimme zu Wort.

      „Entschuldigen Sie bitte, Herr Direktor, mein Name ist Kuhn. Ich gehöre dem evangelischen Freundeskreis der Matthäuskirche an. Ich würde Ihnen gerne helfen, mit Gregoriew ein sachliches und klärendes Gespräch zu führen. Die Russen sind wie unsere Nachbarn, wir kämpfen gemeinsam für unsere Kirche. Deshalb kenne ich die dortigen Priester recht gut. Es wäre doch in unser aller Interesse, diese unschöne Angelegenheit aus der Welt zu schaffen.“

      „Sicher, sicher, da haben Sie natürlich Recht“, räumte Klotzhofer ein. „Aber seien Sie unbesorgt: Wenn Gregoriew später wirklich noch vorbeikommt, wird er sich wohl wieder beruhigt haben. Wenn er sich bei mir entschuldigt, finden wir bestimmt eine akzeptable Möglichkeit, um die Sache zu bereinigen.“ Das schien Klotzhofer wenigstens zu hoffen. Mühsam versuchte er, sein Lächeln wieder aufzusetzen und sich durch ein paar Small Talks Ablenkung zu verschaffen. Doch seine Stimmung war sichtlich dahin. Und auch bei einigen Gästen schien bestenfalls noch eine sehr gezwungene Freude aufzukommen. Das wollte sich der Direktor freilich nicht antun. Eine gute Dreiviertelstunde harrte Klotzhofer noch auf dem Empfang aus. Dann ließ er sich entschuldigen. Einen wichtigen Außentermin, wie er sagte. Und so musste schließlich Friedrich gegen 18.30 Uhr die letzten Gäste verabschieden.

      Kapitel 3

      Es war gegen 19 Uhr, als eine Straßenbahn Klotzhofer aus seinem Nickerchen emporschnellen ließ. Der monotone Rhythmus der Waggons, die über das Gleisbett und den vom Frost aufgeplatzten Asphalt holperten, hämmerte in seinem Schädel, da ihn schon seit Stunden heftige Kopfschmerzen quälten. Kein Wunder nach diesem anstrengenden Tag, der noch lange nicht vorbei war. Es hatte sich ja noch Vater Gregoriew angesagt, den der Direktor freilich mit sehr gemischten Gefühlen erwartete. Immerhin: Seinen lautstarken Auftritt im Museum hätte er ihm bei aller orthodoxer Verbohrtheit niemals zugetraut. Diesen Geistlichen musste man also tatsächlich ernst nehmen. Würde er den Priester wenigstens so weit beruhigen können, dass dieser künftig seine peinlichen Besuche unterlassen würde? Und könnte ihm dieser evangelische Kuhn dabei wirklich eine Hilfe sein? Auf diese Fragen hatte Klotzhofer derzeit keine Antworten parat.

      Dann klingelte plötzlich das Telefon. Klotzhofer schaute verstört auf das Display: Der langen Nummer zufolge kam das Gespräch offenbar aus Sankt Petersburg. Wenigstens die wichtigen russischen Vorwahlnummern hatte sich Klotzhofer im Laufe seiner vielen Verhandlungen mit den dortigen Kunsthändlern gemerkt. Irritiert hob er den Hörer ab.

      „Guten Abend, Herr Klotzhofer. Hier ist Karparow. Meine Gratulation zur Eröffnung. Wie ist es gelaufen?“ Der gewisse Unterton in der Stimme des Anrufers ließ nichts Gutes ahnen. Hilfesuchend blickte der Direktor aus dem Fenster seines Büros zum angestrahlten Turm der Matthäuskirche, der sich eher sanft vor der grellen Lichtpyramide des Messeturms abhob.

      „Danke, wir hatten viele namhafte Honoratioren zu Gast, und der von Ihnen empfohlene Kosakenchor hat einfach wunderbar gesungen und alle mitgerissen“, log Klotzhofer angestrengt.

      „Schön, schön, und dieser verrückte Priester aus der Nachbarschaft, gibt der endlich Ruhe?“

      Klotzhofer suchte nach einer passenden Antwort. „So gut wie. Wir haben ihn praktisch mundtot gemacht. Nur manchmal versucht er es noch mit seinen lästigen Anrufen.“

      „Dann bringen Sie ihn gefälligst endgültig zum Schweigen! Sonst wird es Sie und Ihr Museum nicht mehr lange geben. Und ich lasse mich von euch nicht übers Ohr hauen. Wir hatten genau ausgemacht, welche Ikone zu welchen Bedingungen eingeführt und im Museum gezeigt wird. Diese Sauerei mit der Heiligen Barbara wird ein Nachspiel haben!“ Den letzten Satz konnte Klotzhofer kaum verstehen, da der Anrufer von lauter und dramatischer Orchestermusik fast völlig übertönt wurde.

      „Wie bitte? Die Musik ist so laut. Was ist das für eine grausige Sinfonie?“, fragte Klotzhofer irritiert.

      „Sie verstehen sehr gut, was ich meine. Ich höre gerade Modest Mussorgskijs Nacht auf dem Kahlen Berge. Dort, wo die Türken verloren haben. Das Leben ist eine einzige Schlacht, und glauben Sie ja nicht, Sie könnten gegen mich gewinnen.“ Dann machte es plötzlich Klack in der Leitung. Karparow hatte aufgelegt.

      Der Direktor starrte ratlos auf die Wand und die Vitrine gegenüber. Dort hatte er einige Ikonen aus den Athos-Klöstern und Vortragekreuze der äthiopisch-koptischen Kirche vorübergehend untergebracht. Nun hieß es Nerven behalten. Klotzhofer musste erst mal mit dem ungebetenen Nachbarn vor Ort fertig werden, ehe er sich um die großen russischen Hintermänner kümmern konnte. Dann klingelte erneut das Telefon.

      „Ja, hier Riestermann von der Pforte. Da ist Gregoriew für Sie vor dem Museum. Er will aber nicht reinkommen, sondern erwartet Sie lieber draußen, nahe beim Eingang.“

      „Was soll denn der Quatsch?“, fuhr Klotzhofer den Pförtner mit echauffierter Stimme an. „Nun hat sich dieser Priester so unerhört laut angekündigt, dass ihn sogar die Sekretärin in meinem Terminkalender eingetragen hat. Und nun soll ich mich extra zu ihm herunterbemühen? Sagen Sie ihm, er soll gefälligst raufkommen.“

      „Das geht nicht. Er hat mir nur kurz zugerufen und gesagt, er will Sie lieber draußen sprechen. Dann ist er um die Ecke gegangen.“ Klotzhofer überlegte hin und her. Nervös blickte er auf die Exponate schräg gegenüber. In Sekundenbruchteilen lief sein Gesicht feuerrot an, während er sich überlegte, wie weit es dieser Priester wohl noch mit ihm treiben wollte. Schließlich fasste er sich etwas, entgegnete jedoch immer noch mit hektischer Stimme: „Das ist doch unerhört. Nun gut, er will es offenbar nicht anders. Ich bin in wenigen Minuten unten. Dann kann der aber sein blaues Wunder erleben.“ Klotzhofer knallte den Hörer auf, sprang mit einem hastigen Satz auf und rannte an die Wand gegenüber, wo er in seiner Wut die Vortragekreuze auf der Vitrine unwirsch beiseiteschob. Dann eilte er zurück zum Schreibtisch, nahm den Mantel von der Stuhllehne und hastete die Treppenstufen hinunter.

      „Schauen Sie, Ihr später Gast geht nun dort drüben auf und ab. Er scheint es genauso eilig wie Sie zu haben“, empfing ihn Eugen Riestermann an der Pforte. Dafür, dass der uniformierte Pförtner schon fast das Rentenalter erreicht und kaum eine wirkliche Gefahr zu melden hatte, funkelten seine stechenden Augen noch sehr aufmerksam.

      Klotzhofer sah ihn unwillig an, dann schrie er zur anderen Seite:

      „He, Gregoriew, warten Sie, ich komme rüber. Und dann reden wir mal Tacheles.“ Er war jedoch noch nicht auf der anderen Seite der Friedrich-Ebert-Anlage angelangt, als schon ein lautstarker Wortschwall auf ihn einprasselte. „Nein, nein, doch nicht hier. Das müssen ja nun auch nicht alle Leute mitkriegen“, versuchte Klotzhofer die wütende Stimme zu bändigen. „Gehen wir erst ein Stück und sprechen dann in einer ruhigen Seitenstraße.“

      Doch Klotzhofers Bemühungen brachten nur kurzzeitigen Erfolg. Die beiden Männer fuchtelten