»Dann werden wir die Fahrt besonders genießen, Mister ... oh, wir kennen Ihren Namen ja noch gar nicht. Wie unhöflich von uns.« Becky rutschte auf dem Sitz nach vorne und streckte ihre Hand aus. »Rebeka Berlioz. Und das ist mein Mann, Miroslav Berlioz.«
Etwas perplex ergriff der Fahrer ihre Hand. So etwas kam wohl nicht alle Tage vor. »Tom. Tom Hopper. Zur Ihren Diensten.« Bei diesen Worten tippte er sich kurz an die Chauffeursmütze, die zu seinem Dienstanzug gehörte.
»Freut mich sehr, Mister Hopper.« Auch Miro schüttelte ihm freundlich die Hand.
»Warum ist North Beach denn ein Problem? Kommen wir dort nicht hin? Gibt es Probleme mit den Straßen?«
»Nö.« Tom schüttelte den Kopf. »Das is' es nicht. Aber da lebt 'ne Menge zwielichtiges Gesindel. In ein paar Straßen traut sich nich' mal die Polizei mehr rein. Alkoholschmuggel, wissen sie. Das is' einfach keine gute Gegend für Leute wie sie und so’n Automobil. Aber wenn Sie hinmüssen, kriegen wir das schon hin, denke ich.«
»Wunderbar. Wir halten auch nur ganz kurz an, um eine Bekannte mitzunehmen, dann können wir sofort weiter«, erklärte Becky. Sie lehnte sich in die weichen lederbezogenen Sitze des Wagens zurück und seufzte behaglich.
»Es wird leider ein bisschen was dauern, bis wir in der Lombard Street sind«, erklärte Tom. »Wir müssen 'nen kleinen Umweg fahren, weil sie auf dem Russian Hill bauen. Wollen das steile Stück Straße da irgendwie ungefährlicher machen. Totaler Quatsch, wenn Sie mich fragen. Hier wissen doch alle, wie man das Stück zu nehmen hat. Aber sie haben ja jetzt 'ne Menge zu lesen für den Weg. Da vergeht die Zeit in nullkommanix.«
Miro breitete ihre Beute auf dem Rücksitz aus. »Dann schauen wir mal, was in der Welt so passiert ist. Womit möchtest du beginnen, ma chérie?«
»Mit dem Chronicle bitte. Dich interessieren die internationalen Blätter mehr, fang du doch damit an.« Becky griff sich den Chronicle und vertiefte sich in die neuesten Nachrichten aus San Francisco. Miro tat es ihr mit der Times gleich, während sie hügelauf in Richtung North Beach fuhren.
»Oh, ich glaube ich weiß, worüber die Männer am Zeitungsstand vorhin gesprochen haben.« Beckys Stimme durchbrach Miros Konzentration auf den Artikel, den er gerade gelesen hatte. Es ging um die neuen Sabotageanschläge im Ruhrgebiet. Er konnte den Druck verstehen, unter dem Arbeiter und Firmen dort standen, aber er glaubte nicht, dass Sabotage die Situation irgendwie verbessern würde. Es würde die Franzosen nur davon überzeugen, den Druck zu erhöhen. Miro seufzte.
»Miro, du hörst mir wieder einmal nicht zu.« Die Stimme seiner Frau klang allerdings eher amüsiert als empört, während sie das sagte.
Er sah sie an und versuchte, ein zerknirschtes Gesicht zu machen. »Entschuldige, Politik eben, die lenkt mich sogar von dir ein wenig ab. Was hattest du gesagt?«
»Hier, der kleine Artikel. In einem Lokal gab es ein Blutbad. Davon haben die Männer geredet.« Becky zeigte auf die Seite: Ein unscharfes Bild zeigte einen Raum mit zerstörter Einrichtung und einigen Gestalten am Boden, ein weiteres eine junge Frau, anscheinend die einzige Überlebende des Massakers. »Angeblich zwischen zwei Banden von Alkoholschmugglern. Aber man scheint nicht so recht zu wissen, wer tatsächlich dafür verantwortlich ist. Es gehen sogar Gerüchte um, dass es dieser Mafioso Belagio, war, der momentan vor Gericht steht. Anscheinend gibt es nie genug Beweise, um ihn wirklich zu verurteilen.« Sie schüttelte empört den Kopf. »Diese unsinnige Prohibition kostet Menschen das Leben! Wie kann man so etwas wollen?«
»Ich habe keine Ahnung. Immerhin sind die Engländer vernünftig genug, dagegen zu stimmen.« Er zeigte auf die Times.
»Und die Deutschen kommen gar nicht erst auf die Idee«, ergänzte Becky mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck.
»Dafür kommen sie auf andere Ideen, die Menschenleben kosten.« Miro runzelte die Stirn. »Diese Anschläge im Ruhrgebiet machen alles nur schlimmer. Dabei sind acht Menschen ums Leben gekommen. Ich weiß, dass der Versailler Vertrag verheerend für die deutsche Industrie ist und damit auch für die Arbeiter ... aber wenn das so weitergeht, schlittern die Deutschen direkt in den nächsten Krieg. Das sollte wirklich niemand wollen.« Düster sah er aus dem Fenster auf die Häuser, die neben ihnen vorbeizogen.
Becky legte ihre Hand auf die von Miro und drückte sie leicht. »Dazu wird es nicht kommen. Sie wollen doch nur ein ganz normales Leben führen und genug Geld für ihre Familien verdienen können. Frankreich und England werden das sehen und einlenken, ich bin mir sicher. Wenn die deutsche Wirtschaft nicht wieder auf die Beine kommt, dann haben auch sie nichts davon.«
Er sah seine Frau an. »Du glaubst wirklich an die Vernunft der Menschen, nicht wahr?«
»Ich hoffe zumindest immer noch, dass sie sich daran erinnern, überhaupt welche zu besitzen.« Becky lächelte ihn an und fuhr fort: »Manchmal funktioniert es sogar. Außerdem kann ich mir nicht vorstellen, dass irgendjemand bereit ist nochmal einen Krieg zu riskieren. Nicht nach dem, was wir alle im Letzten verloren haben.«
»Du hast Recht.« Er hoffte es von ganzem Herzen. Nur glauben konnte er es nicht.
Ungefähr eine Stunde nachdem sie Annett aufgelesen hatten, bog der Lincoln schließlich von der Straße ab in Richtung Flugfeld. Die einzigen Gebäude dort waren zwei riesige Hallen, so groß wie mehrere Wohnblöcke in San Francisco. Sie standen auf einem Acker von der Größe einiger Fußballfelder. Nur hier und da wehten einzelne Wetterfahnen im Wind und auf dem Dach eines nahe stehenden Schuppens rotierten verschiedene seltsam aussehende Geräte.
Obwohl nur die Hallen zu sehen waren, war es das betriebsamste Feld, dass Becky je zu Gesicht bekommen hatte. Um sie herum, neben dem Fahrweg, liefen Menschen auf die Gebäude zu und vor ihnen fuhren bereits einige Automobile.
»Hier ist ganz schön was los«, stellte Becky begeistert fest und drehte sich erst nach rechts, dann nach links, um möglichst viel von dem Treiben mitzubekommen.
Zu einem kleinen Gebäude, das an die größte Halle angrenzte, führte eine abgesperrte Auffahrt, auf die der Fahrer ihr Automobil lenkte. An den Absperrungen stand Wachpersonal, denn ansonsten wären sie vermutlich keinen Meter weit gekommen. Dutzende, sogar Hunderte Schaulustige, hatten sich zum Abflug des Zeppelins eingefunden, obwohl der genaugenommen erst am frühen Morgen gegen fünf Uhr stattfinden würde. Sie alle jubelten den Neuankömmlingen zu und winkten, hielten Transparente hoch oder schwangen Bücher durch die Luft. Unglaublich, dachte Becky, was für eine Partystimmung.
Annett fragte überrascht: »Wieso sind denn so viele Menschen hier?«
»Ich schätze, sie sind wegen der Cabes hier, diesem Schriftsteller-Paar, das sich als Geisterjäger betätigt.« Miro sah aus dem Fenster und betrachtete die Menge interessiert.
»Sie meinen Lily und Colin Cabe?«, fragte Annett. »Die reisen mit uns?«
»Laut Gästeliste, ja«, murmelte Miro nicht sonderlich begeistert von dieser Tatsache.
Becky sah ihren Mann von der Seite an. Sie wusste, dass er die Cabes für absolute Scharlatane und Geldschneider hielt. Aber sie hatte nicht gewusst, dass die Cabes auf dieser Reise dabei sein würden.
»Du wusstest, dass sie an Bord sein würden?«, fragte sie nun Miro.
»Die Gästeliste stand in der Zeitung, vermutlich ist es deswegen hier so voll. Wir haben übrigens wohl auch noch ein Medium an dabei.« Miro schüttelte den Kopf. »Im Artikel haben Sie den Flug schon das ›Geisterschiff‹ genannt!«
»Tatsächlich?«, fragte Annett aufgeregt. »Oh, ich bin ja so gespannt, ob wir eine Séance haben werden. Finden Sie das nicht auch wunderbar, Becky?«
Sie murmelte etwas Unverfängliches und lächelte die junge Sängerin an. Sie war sich nicht sicher, ob sie die Tatsache, dass sowohl