Vor dem Mast – ein Nautiker erzählt vom Beginn seiner Seefahrt 1951-56. Klaus Perschke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Klaus Perschke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги о Путешествиях
Год издания: 0
isbn: 9783738022933
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Ladepapiere brachte. Der 1. Steuermann bekam Anweisung, die Luken zu öffnen und die Ladebäume zu toppen und nach außenbords zu klappen, damit der Kran vom Kai aus jeden Winkel im Laderaum erreichen konnte. Ich erinnere mich, dass es ein Nachmittag war, an dem wir mit den Ladungsarbeiten begannen. Der Buntmetallschrott wurde in Eisenbahnwagons herangefahren, und der Kran holte mit seinem Greifer eine Hieve nach der anderen aus den Wagons, drehte über die geöffneten Luken und fierte den Greifer bis auf den Boden, bevor er ihn öffnete und entleerte.

      Der Alte fuhr zusammen mit seiner Madame, den Pudeln und dem Waterclark in die Stadt „tum Geldutgeben“. Die gnädige Frau brauchte Nachschub zum „Eindieseln“, sie benutze natürlich nur echtes französisches Parfüm, das man in Antwerpen bekam.

      Der 1.Steuermann, Herr Bohning und der 2. Steuermann, Herr Richters, spazierten in der Pausenzeit der Hafenarbeiter derweil am Kai entlang zum „Klönen“ mit anderen Kümosteuerleuten. Und genau in dieser Pausenzeit kletterten unsere Finkenwerder Briten, also der Matrose, der Leichtmatrose und die Jungmänner, in den Laderaum, öffneten die achteren Bilgendeckel an Backbord- und Steuerbordseite und schaufelten die Bilgen bis zum Rand voll mit Kupfer- und Messingschrott.

      Doch was sind Bilgen? Bilgen sind eine Art „Gräben“, die tiefer angeordnet sind als die Doppelbodentankdecke, und zwar je an Bb- und an Stb-Seite-Außenhaut der Doppelbodentanks. Sie dienen zur Aufnahme von Leck- und Schmutzwasser.

      In Deutschland und auch im Ausland wurden 1951 hohe Preise für Buntmetallschrott gezahlt. Und das bedeutete, die Jungens brauchten später beim Kapitän keinen Pfennig Vorschuss aufnehmen, wenn sie in Hamburg Finkenwerder an Land gehen wollten. Finkenwerder Jungs sind ganz schön clever, aber auch leichtsinnig. Ich musste an Deck stehen und Ausschau halten, ob die Hafenarbeiter vom Coffeeshop wieder zurück an Bord kamen. „Moses, segg us sofort Bescheed, wenn die Hobnarbeder trüchkümmn!“ Okay, unsere Leute hatten alles im Griff, schlossen die Bilgendeckel wieder ordnungsgemäß, fegten alle verräterischen Spuren beiseite und kamen wieder aus dem Laderaumraum an Deck. Nicht mal die Steuerleute, besonders der 1. Stüermann, die sonst immer einen 6. Sinn für alles hatten, was die Jan Maaten ausheckten, kamen auf die Idee, dass die achteren Bilgen voll mit Buntmetallschrott waren. So etwas nennt man auch schwerwiegenden Ladungsdiebstahl. Und das war verdammt strafbar, darauf stand sogar Gefängnis!

      Das Kümo war am nächsten Tag beladen, der Waterclark brachte die Konnossemente an Bord, die Behörden klarierten das Schiff aus, der Lotse kam mit dem Hafenschlepper und dann hieß es auch schon wieder: „Klar vörn un achtern...schmiet los all Liins un mog den Vörschlepper an Backbord fast“ und „off we go“! Wieder ging es durch die Hafenbecken, hinein in die Schleusenkammer, der Hafenlotse übergab dem Scheldelotsen das Schiff. Als das äußere Hafenschleusentor endlich auf war, zog uns der kleine Hafenschlepper heraus, „let go Schlepper“, und ab ging es nach Lotsenanweisung in Richtung Nordsee die Westerschelde abwärts. Querab Vlissingen war wieder Lotsenwechsel, der Seelotse brachte uns bis zur Schelde-Mündung, verabschiedete sich, und schon ging es mit „Voll Voraus“ in Richtung Elbe nach Brunsbüttel und zur anschließenden Passage des Nord-Ostsee-Kanals.

      In Kiel Holtenau in der Schleuse wurde der Garantieingenieur von Klöckner-Deutz mit Ehefrau entlassen und der ganze Kombüsenjob lag jetzt ganz allein auf meinen Schultern und in meinen unqualifizierten Händen. Ich betete inbrünstig: „Oh HERR, lass ein Wunder geschehen!“ Es passierte aber kein Wunder!

      Von Kiel-Holtenau aus ging es weiter nach Rostock, in das Arbeiter- und Bauernparadies. War es vielleicht auch ein Seeleuteparadies? Mal schauen. Nach ca. fünf Tagen See- und Kanalreise erreichten wir Rostock, in der DDR. Welch ein herzlicher Empfang! Schon am Kai begrüßte uns nach dem Festmachen eine Abordnung von Zoll- und Immigrationsbeamten mit zackig preußischem Befehlston. Na ja, erst einmal Gesichtskontrolle. Einer nach dem anderen wurde gründlich in Augenschein genommen, als wenn wir Staatsfeinde wären. Dann machten die Herrn vom Zoll Kammerkontrolle: Schubladen auf, jede Zigarette wurde registriert, Bierflaschen auch. Schnaps? Hatten wir nicht. Was, ihr habt keinen Schnaps? Die Herren waren offenbar sehr enttäuscht. Spindkontrolle, von wegen, es könnte ja feindliches, antisozialistisches Propagandamaterial hereingeschmuggelt werden. Ich glaube, das war es, wonach sie besonders suchten. Dieser Aufmarsch wirkte ganz schön beängstigend. Kontrolle im Kabelgatt, Kontrolle im Farbenspind, Kontrolle im Proviantraum, Kontrolle im Maschinenraum. Au Backe, hoffentlich keine Kontrolle in den Bilgen! Bevor die Hafenarbeiter endlich an Bord durften, mussten wir die Luken öffnen, Bäume toppen, wie in Antwerpen! Und dann kam ein großer Kran an den Kai entlang gefahren. Irgendwann erschien am Kai die Nachtschicht-Brigade „Rote Rübe“, die Männer mussten sich einzeln bei einem Posten an der Gangway ausweisen. Weitere Posten mit Kalaschnikows bewaffnet, standen am Kai vorn am Steven und hinten am Heck. Vielleicht hatten sie ja auch den Auftrag, die Stücke Klopapier zu kontrollieren, die achtern beim Spülen der Toiletten in das Hafenbecken flossen. Wenn der 2. Steuermann an Land wollte, um den Tiefgang abzulesen, dann musste er seinen Hafenpass, den die Grenzpolizei uns ausgestellt hatte, am Fallrepp beim Posten abgeben. Weiterhin wurde er von einem zweiten Posten begleitet, der genau hinsah, was er aufschrieb, obwohl er nichts davon verstand. Also, die Herren der Hafengrenztruppe waren sehr, sehr zugeknüpft. Nicht mal grüßen konnten sie einen kleinen Moses. Das war echt bewegende Weltgeschichte. Die Realität im Jahre 1951.

      Der größte Witz: Sogar oben im Brückenhaus und vorn, vor unserem Niedergang in die Logis stand ein Uniformierter in Knobelbechern zum Beobachten. Wer wollte wen vor was beschützen? Okay, es wurde gelöscht, sogar nachts wurde durchgearbeitet, mit anderen Worten, wir wurden ruckzuck entladen. Eine Spezialgang fegte jedes Fitzelchen Schrott im Laderaum zusammen, denn es durfte ja nichts verloren gehen. Aber unser Schutzengel hatte uns nicht im Stich gelassen. Keiner von den Apparatschicks kam auf die Idee, einen Bilgendeckel hochzunehmen und nachzuschauen. Was für ein Glück, das wäre voll in die Hosen gegangen!

      Unsere Finkenwerder Haudi-Gang wurde während der Hafenliegezeit immer blasser und grüner im Gesicht, so, als wären sie alle magenkrank. Ihnen schmeckte kein Frühstück mehr, kein noch so gut gekochter Kaffee, den ich ihnen gemacht hatte, sie zitterten sogar am ganzen Körper, kotzten vor Angst, sie waren fast seekrank. Erst als der Laderaum leer und von den Hafenarbeitern verlassen war und unsere Leute die Luken seeklar machen durften, ging es ihnen langsam besser. Die Steuerleute konnten sich auf das Unwohlsein unserer Spezies auch keinen Reim machen. Vielleicht hatte der Moses was Falsches gekocht? War aber nicht der Fall. Und dann, als wir wieder ausklariert wurden, erneute Gesichtskontrolle - usw. Als die Grenzer das Schiff verlassen mussten, weil der Hafenlotse an Bord gekommen war, wir anschließend ablegten und in Richtung Hafenausfahrt dampften, und zum Schluss, als auch der Hafenlotse von Bord ging, erst in diesem Moment muss ein riesiger Stein bei unseren Jan Maaten von der Brust gefallen sein. Das war eine Reise!!! Unsere Leute waren fast wieder religiös geworden, glaubten an irgendwelche Heiligen oder sonst etwas Höheres auf dieser Welt. Echtes Ganovenglück hatten die Jungs gehabt!

      Unsere zweite Ballastreise führte nach Stettin. Dort hatte der Makler Johannes Thode für die ACHILLES eine Ladung Briketts nach Gävle gebucht. Das Wetter war für die Jahreszeit gut, und für die Reise um die Ecke hatten wir nur wenige Stunden benötigt. Bei Ankunft in Stettin spielten sich wieder die gleichen Einklarierungsrituale ab wie vorher in Rostock.

      Am Kai wurden bereits bei unserer Ankunft nach dem Festmachen die ersten Brikettwagons heranrangiert. Ein riesiger Kran wurde in die richtige Position manövriert. Der zweite Steuermann, Herr Richters, hatte den Tiefgang vorn und achtern abgelesen und die Daten dem Kapitän mitgeteilt. Unsere Crew einschließlich Moses musste die Persennings von den Luken aufrollen und achtern auf der Vermessungsluke verstauen, die Holzlukendeckel an Deck an den Lukensülls aufstapeln, die Scherstöcke herausnehmen und anschließend die beiden Ladebäume toppen und nach außenbords klappen. Es konnte losgehen.

      Briketts und Kohlen laden ist ein böser Schweinkram, es staubt wie Hund! Alle Fenster und Bullaugen, sowie Kombüsentüren und Maschinenskylights müssen verschlossen, die Windhuzen vorn und achtern und vor dem Schornstein mit Persenningbezügen abgedichtet werden, denn dieser Staub dringt unbarmherzig durch alle Tür- und Fensterritzen und -spalten.

      Der Kapitän hatte mit dem Verlademeister im Beisein des Maklers das Gewicht der Ladung ausgerechnet, woraufhin die Lademenge an Briketts geordert wurde.