Vor dem Mast – ein Nautiker erzählt vom Beginn seiner Seefahrt 1951-56. Klaus Perschke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Klaus Perschke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги о Путешествиях
Год издания: 0
isbn: 9783738022933
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Laderaum im Zwischendeck zu einer riesigen Kantine umfunktioniert. Die „Werftgrandies“ hatten Tische und Bänke aufgestellt, auf den Tischen waren Endlospapiertischendecken ausgerollt, die Tische mit Tellern, Bier- und Schnapsgläsern eingedeckt, und von oben führte achtern durch die Lukenöffnung eine breite Holztreppe ins Zwischendeck, damit alle mitfahrenden Gäste des Kapitäns während der Fahrt rauf und runter steigen und unten ihre Essensportionen einnehmen konnten. Die Gäste, alles Freunde, Verwandte und Geschäftsfreunde, wurde mit Erbseneintopf und Würstchen abgefüttert, danach gab es Kaffee und Kuchen, später Bier und Köm. Wir, die Besatzung, mussten uns unsere Portion Erbsensuppe aus dem Zwischendeck abholen und durften nur vorn unter der Back in unserer Mannschaftsmesse essen.

      Natürlich waren wir nie allein unter uns, ständig kamen neugierige Gäste nach vorn, um die Unterkünfte zu inspizieren und uns mit dummen Sprüchen vom Essen abzuhalten.

      Während der Probefahrt auf der Elbe mussten sich der Matrose und ein Leichtmatrose am Ruder ablösen, der Elblotse brachte das Schiff bis zum Anleger „Stader Sand“, dort wurden die Gäste wieder an Land gesetzt, wo sie mit Bussen zurück nach Hamburg transportiert wurden. Nach dem Landgang der Probefahrtgäste wurden von einen Kompensierer des DHI auf der Elbe der Magnetsteuer- und Magnetpeilkompass reguliert, danach der alte Funkpeiler mit Kreuzrahmenantenne kompensiert, und dem Kapitän wurden die Ergebnisse als ermittelte Deviationstabellen ausgehändigt. Anschließend wurde das Schiff zurück zur Werft gebracht, wo die Werftgrandies die ausgeliehenen Tische, Stühle, Pött und Pann, sowie den ganzen Müll an Land brachten. Der restliche Schiffsproviant wurde vom Schiffshändler, einem Bruder von Fritz von Busch, geliefert und von unseren Leuten an Bord gebracht und verstaut. Das Schiff wurde seeklar gemacht, und abends am 19. Juni 1951 hieß es: „Klar vorn und achtern, alle Leinen los“, auslaufen in Richtung Antwerpen. Das Wetter im Juni war schön, der Moses wurde nicht seekrank bei seiner ersten Reise.

      Die Pflicht des Moses an Bord ist am Anfang in erster Linie die Zubereitung von Mahlzeiten in der Kombüse. Das heißt alle anfallenden Arbeiten, vom Zubereiten des Frühstücks, über Essen kochen, abwaschen und Kombüse aufklaren waren sein, also mein Job. Ich hatte aber großes Glück, denn die ersten zwei Reisen fuhr ein Garantieingenieur des Hauptmaschinen-Herstellers Klöckner-Humboldt-Deutz zusammen mit seiner Frau bei uns an Bord mit. Und da der Moses aus Cuxhaven zu dusselig war und noch nie gekocht hatte, übernahm diese Dame freiwillig den Job der Köchin. Ich war nur fürs Kartoffelschälen, Auf- und Abbacken bzw. Abwaschen eingeteilt. Und die Frau konnte kochen! Sie war absolut die gute Fee an Bord. Auf jeden Fall gab es nichts Steckrübenartiges, das ich mein Leben lang hasste. Und die Frau weihte mich auch in die Kochkünste ein, die mir von Haus aus fremd waren. Wir hatten in der Kombüse einen Kohlenofen, auch „Bilegger“ genannt. Ich musste also morgens als Erster aufstehen, dann das abends bereits klein gehackte Feuerholz mit Papier in den Ofen legen und das Feuer anmachen. Die Kohlen oder Briketts waren im Ruderraum unter Deck im Heck untergebracht Und wenn die Frau des Ingenieurs in der Kombüse auftauchte, dann brannte das Feuer, und der Wasserkessel für das Kaffeewasser kochte bereits. Die Frau zeigte mir, wie man auf einem Tablett für den Kapitän und den Steuermann die Kaffeekanne, Kaffeetassen, den Brotkorb, Wurst, Käse, Marmelade, und Essbestecke arrangiert und dann um halb acht morgens damit auf die Brücke jongliert und dort alles am Fenster auf dem Klapptisch serviert. Die Kunst darin bestand, dass bei der Schaukelei nichts umkippte oder überschwappte. Wenn der Kapitän, auch noch zwei Spiegeleier haben wollte, dann musste ich sofort wieder abtauchen und die Spiegeleier in der Kombüse brutzeln, das konnte ich schon am zweiten Tag. Sobald die Brücke versorgt war, kamen die Jan Maaten dran. Denen musste ich den Kaffee nach vorn in die Mannschaftsmesse bringen, den Tisch aufdecken, Brotkorb, Butter, Marmelade, Geschirr und Essbestecke aufbacken und servieren. Wenn ich etwas vergessen hatte, bekam ich den obligatorischen „Arschtritt“ verpasst, auch wenn nur ein Aschenbecher fehlte. „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“, das war auch schon immer der Leitspruch meines Vaters für seinen Kronsohn gewesen.

      Nach dem Frühstück wurde der Reihe nach alles wieder abgebackt, zuerst oben auf der Brücke, dann vorn in der Mannschaftsmesse, anschließend in der Kombüse für alle Backschaft gemacht (abgewaschen). Das habe ich mir bis heute für immer verinnerlicht, denn auch zuhause bin ich der vollautomatische Backschafter meiner Frau.

      Die ersten Reisen als Moses auf MS ACHILLES

      Die Jungfernreise führte zunächst nach Antwerpen, wo der belgische Schiffsmakler von Kapitän Fritz von Busch eine Ladung Buntmetallschrott für Rostock gebucht hatte. Das Wetter war gut, die Besatzung ging - außer dem Moses - Seewache. Also ein Leichtmatrose und ein Jungmann gingen die 6-Stundenwache: 6 Stunden Wache, 6 Stunden Ruhe. Der Matrose und der zweite Jungmann machten sich unter Leitung des Ersten Steuermanns mit der Ausrüstung des Schiffes vertraut. Es war für uns alles noch ziemlich neu.

      Das, was von der „großen Gästeabfütterung“ der Probefahrt übrig geblieben war, wurde jetzt von der Frau des Deutz-Garantie-Ingenieurs zu schmackhaften Speisen verarbeitet, es wurde also nichts über Bord gekippt. Ich wurde zurzeit noch für das Aufbacken, Abbacken, also das übliche Backschafts-Ritual und „Reinschiffmachen“ in der Kombüse und vorn unter der Back im Mannschaftslogis verbraten. Und wie gesagt, ich wurde frühmorgens als der erste Mann geweckt, damit ich zuerst in der Kombüse im Bilegger Feuer machen, den Wasserkessel aufsetzen und das Kaffeewasser zum Kochen bringen konnte.

      Außer der Frau des Garantie-Ingenieurs fuhr auch noch die Gattin von Fritz von Busch mit an Bord, seine vierte Frau. Laut Hörensagen war er von seiner ersten Frau geschieden worden, das muss vor Ausbruch des Krieges gewesen sein, die zweite Frau soll bei einen Bombenangriff auf Hamburg-Finkenwerder ums Leben gekommen sein, seine dritte Frau verunglückte tödlich, als die Nobiskruger BERTA VON BUSCH Ausgang der Kieler Förde auf eine Mine lief und in die Luft flog. Und seine vierte Frau hatte er in Kiel im Krankenhaus kennen gelernt. Angeblich war seine Frau eine MTA, andere machten aus ihr sogar eine Assistenzärztin. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass sie keine große Neigung zum Rest der Besatzung hatte. Und die Jan Maaten wiederum mochten dieses aufgedonnerte späte Mädchen auch nicht besonders gern. Die Dame duftete immer nach dem billigsten Parfüm, wenn sie aus dem Kapitänskabuff auf die Brücke kam. Dafür hatte sie aber eine große Zuneigung zu ihren beiden verwöhnten Pudelweibchen. Nachdem die Essensreste der Probefahrt zu Ende gegangen waren, gab es das berühmten Einheitsessen: „Plum un Klüten“ oder Frühlingssuppe, wie es damals auf vielen Kümos üblich war, nur die Hunde der Kapitänsfrau bekam stets Besseres vorgesetzt. Vorne unter der Back in unserer Mannschaftsmesse hieß es dann auch immer öfter: „Ich möchte mal mein Essen mit dem Hundefutter der Tölen der Frau des Alten tauschen!“

      Aber die Finkenwerder Jungens waren auch nicht von gestern. Sie wussten, wie man an Knete herankommt. Doch zunächst mussten wir erst einmal in Antwerpen ankommen. Alles Weitere würde sich mit Sicherheit später ergeben.

      Also bei der Ansteuerung der Westerschelde kam zuerst ein niederländischer Lotse an Bord, der die ACHILLES bis querab von Vlissingen brachte, dort fand der Lotsenwechsel statt und der belgische Scheldelotse brachte dann die Achilles bis zur Schleuseneinfahrt von Antwerpen. Das hieß, die ACHILLES wurde auf der Scheldereede querab der Schleusenkammern vor Anker gelegt. Der Lotse ging von Bord, und wir mussten warten, bis der Hafenlotse kam. Das dauerte hier meistens zwischen ein und zwei Stunden. Die Frau des Alten war sauer, weil sie dachte, bei Ankunft in Antwerpen würde man ihr einen roten Teppich ausrollen, sie per Nobelkarosse abholen und ihr die Stadt zeigen. Da wurde der Alte gnatzig und musste ein Machtwort sprechen, also ihr klarmachen, dass sich nicht alles nur um sie dreht, sondern in erster Linie um einen Liegeplatz und um den Ladebeginn. Denn nur mit Ladung könnte er Geld verdienen, nicht mit ihren parfümierten Pudeldamen.

      Endlich kam nach knapp einer Stunde ein kleiner Hafenschlepper mit dem Hafenlotsen, der uns nach dem Ankerhieven nach den Lotsenanweisungen in die Schleusenkammer zog. Zoll und Immigrationsbehörde kamen zur Einklarierung und Passkontrolle an Bord. Nachdem sie gegangen waren, zog uns ein neuer kleiner Hafenschlepper aus der Schleusenkammer durch ein Gewirr von Hafenbecken bis zu unserem Liegeplatz, wo auch schon der Waterclark (der außendiensttätige Angestellter des