Der Große Herr und die Himmlische Frau. Maggi Lidchi-Grassi. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Maggi Lidchi-Grassi
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844256826
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Kopf vollführte eine rasche krähenartige Umschau und verzog sich wieder. Dann kam er ganz herauf. Das Gesicht war starr, und die Schultern steif. John folgte Kowalski mit schweren Gummibeinen aus ihrem eigenen Loch. Impi, der hinter Metter stand, kratzte sich an der Achsel. Er wandte sich John zu, zeigte mit dem Gewehr auf den Fuß und verzog die Augenbrauen. John zuckte mit der Schulter und versuchte, Metter zuzuhören.

      “... egal was ihr macht, verteilt euch. Wer Haufen bildet, wird Feuer auf sich ziehen.” Das weiß ich alles, dachte John. Hatte Metter nicht irgend etwas Besonderes zu sagen, das er sich für diesen schmerzvollen Augenblick aufbewahrt hatte? Er verpaßte ein paar Worte. ‚Hör zu’, sagte er sich. ‚Für dieses eine Mal paß auf.’ Doch wanderte sein Geist immer wieder zu Kathy und der Parkbank zurück.

      “Wie ihr wißt, ist Sergeant Drummond jetzt amtierender Leutnant. Wenn er die Pfeife bläst, ziehen wir los. Achtet auf seinen Arm. Schaut nach Handzeichen aus. Wir kriegen Artillerieunterstützung.” Seine Stimme war fest und metallisch. “Wenn wir uns der Stadt nähern, wird das Schutzfeuer aufhören. Und nun zum letzten Mal: Wenn ihr am Leben bleiben wollt, bleibt ausgebreitet! Und noch eins ... RUNTER!”

      Der Boden sprang John entgegen. Die Granate kreischte vorbei und landete in einiger Entfernung. Schwarzer Rauch quoll empor. Metter schaute kniend darauf. Auch John blickte in die Richtung. “Runter!” Es war seine eigene Stimme.

      Drummond erschien neben Metter. “Das ist unser Feuer”, rief er. “Es wird uns bis nach Kreuzbach Deckung geben.”

      Unablässig explodierten Salven auf dem Hang. Eine schwere Dunstglocke breitete sich über den Hügel aus.

      “Mama mia! Da sollen wir durchgehen?” Impi starrte mit weiten Augen den Hang hinunter.

      “Sie decken uns”, erklärte Wacky. Impi schob den Helm mit dem Gewehr zurück und kratzte sich am Kopf.

      “Danke. Ich gehe nackt ...”

      “In Ordnung, solange du den Helm aufbehältst”, fiel ihm Metter ins Wort.

      Das Brüllen einer Explosion schnitt seine nächsten Worte ab. Die Männer warteten stumm leidend, und Dreck lag auf ihren Jacken und Gesichtern. Wie geistlose Tiere, dachte sich John. Die Augen blickten aus ängstlichen, schmutzigen Wangen hervor. Wenn Drummond oder Metter den Arm hob, würden sie ... Plötzlich fand er sich auf dem Boden sitzend und nach Luft schnappend. Er blickte um sich, sah seinen Trupp gegen den Rauch gezeichnet und stand auf. Drummond starrte den Hang hinunter.

      “Es ist zu nah! Sie werden uns in Stücke zerreißen, bevor wir auch nur gestartet sind.” Er schaute auf die Uhr, schüttelte den Kopf, gab Metter ein Zeichen, daß er dableiben solle, und rannte los. John schaute zu, mit dem unangenehmen Gefühl, daß sie darauf warteten, abgeschlachtet zu werden.

      Drummond war zurück und schwang den Arm.

      “Vorwärts! Vorwärts!”

      “Aber schau dir das an!” Metter starrte den Hang hinunter.

      “Es hört auf! Der Hauptmann hat die Artillerie angerufen.” Ein markerschütterndes Pfeifen. “Los!” Eine Explosion. Die Männer begannen, über den Kamm des Hügels in den Rauch einzudringen; die Bajonette auf den Gewehren durchstießen ihn und verschwanden. John folgte. Eine Stimme rief etwas. Eine Pfeife schrillte und schrillte. Es war ein anderes und mehr durchbohrendes Pfeifen als das der Granaten.

      “Du verdammter Arsch, kannst du mich nicht hören?” Es war Metter, der ihm einen Ellenbogenstoß gab und ihn nach links schob. Also das hatte er gehört. Metter rief heiser: “Breitet euch aus. Breitet euch AUS! Zu nah beisammen!” Zur Rechten fiel ein Mann. Sein Gewehr lag im Schlamm. John ging hinüber, um ihm zu helfen. Auf seinem Rücken breitete sich ein dunkler Fleck aus.

      “Weiter! Die Sanitäter sind hinter uns. Weiter!”

      “Runter, runter!” John fiel in einen kleinen Krater. Auf der anderen Seite klebte Robert am Boden, und sein hellbrauner Haarschopf verhing ihm die Augen. Eine riesige Schlange schlug mit dem Schwanz auf den Wald. Peitschenartige Schockwellen fuhren über sie hinweg. Bums! Ein fettes, zufriedenes Bums. Die Schlange ließ den Schwanz knallen. Bums! Bösartige Wellen schlugen ihm gegen das Trommelfell.

      “Was ist das?” rief John über den Suppenteller.

      “Achtundachziger. Die Hunde nageln uns fest.” Festnageln. Ein Standardausdruck. Aus der Grundausbildung. Er hatte nichts mit der Furcht des Körpers zu tun, die einem das Eis unter den Füßen schmelzen läßt, oder mit jenen Eis- und Erdbrocken, die nun auf ihn herabregneten. Zur Rechten rief jemand: “Mama, Mama!” Eine blasse, klagende Stimme, die bald erstarb. Finger, kalt wie das Leben, das gegangen war, ergriffen ihn. Er kämpfte mit der Angst, doch hatte sie ihm die Kraft genommen. Drummond hockte und schrie sie an, wobei er den Kopf in alle Richtungen drehte.

      “Zum Wald! Der einzige Weg.”

      Die Pfeife kreischte. Und auf der rechten Seite eine andere. “Rennt!” John rannte. Zehn Meter vor ihm wirbelte Appleby zu ihm herum, öffnete den Mund und blies eine hellrote Blase. Dann fiel er auf den Rücken. John hüpfte über ihn hinweg und verweilte einen langen Augenblick über dem klaffenden Loch in der Brust und dem Riß in der Hose. Er umrundete einen großen Granattrichter, sprang über Wurzeln und über einen toten Soldaten, fand, daß er nicht länger atmen konnte, verlängerte nichtsdestoweniger seine Schritte und tauchte in den Schatten der Bäume ein.

      Keuchend fiel er auf Tannennadeln nieder, fand seinen Atem, zwang sich auf die Füße und begann, mit Beinen weiterzumarschieren, die wie die eines eintägigen Kalbes wackelten. Plötzlich hielt er an. Hier, durch einen in den Wald gesprengten Korridor, sah er große Rundbögen in den Ruinen der Schönheit. Durch die Schatten der umgebenden immergrünen Bäume fielen die langen Strahlen des frühen Morgens auf das Kloster. Der Geruch von feuchtem Untergrund fand den Weg in seine Nase. Die Natur würde bestehen, lange nachdem sie sich alle gegenseitig umgebracht hatten. Durch das Zischen und Pfeifen seiner Ohren hindurch hörte er klare Stimmen, die einen gregorianischen Choral sangen. Er betrachtete die Überbleibsel menschlichen Strebens und ihre zarte architektonische Ausgeglichenheit. Ein reiner und unverletzlicher Glanz schimmerte durch die rauchende Luft. Der Hauptmann hatte “Kloster” gesagt. Eine dicke schwarze Wolke quoll am rechten Ende des Bauwerks auf. Er schaute in die Richtung. Die Stimmen erstarben. Das große Gemäuer wankte und verblaßte, während der Rauch sich um es ausbreitete. Als er sich hob, sah John, daß weniger von den Bögen standen. Wenn diese auch fallen würden, würde die Welt ihren Krieg verlieren. Der Schrecken seiner eigenen Auslöschung verband sich mit etwas Größerem; er lag im Schoß eines namenlosen Entsetzens.

      Von den Pfeifen vorangetrieben, fing er an zu laufen. Das Kloster fuhr fort, sich in Wolken aufzulösen. Von allen Seiten preßten ihn die Einschläge. Sein Geist war ein riesiger Gong. Die glühenden und brennenden Köpfe von Hämmern flogen ihm vor den Augen. Eine Wurzel hatte ihn gepackt. Nur Zentimeter über seinem Gesicht fuhren große Stiefel vorbei und blendeten ihn mit Tannennadeln und Schmutz. Trauer überfiel ihn. Keiner hatte gehalten, um zu sehen, ob er tot war. Keiner würde es tun. Er war wieder auf den Füßen und rannte geduckt vorwärts. Das Kloster. Jetzt waren sie am zerstörten Flügel vorbei. Jemand stand schweigend da, unnatürlich schweigend in einem der Bögen. Eine von den laufenden Männern, explodierenden Granaten und zerbröckelnden Steinen getrennte Welt; eine menschliche Gestalt, eingerahmt in einen Rundbogen. Ein kleiner Mönch, das Gesicht gen Himmel gewandt, die Hände nach Art der Mandarine in die Ärmel seines Gewandes gesteckt. Er mußte beten. Wozu? Ringsherum zerfielen Wahrheit und Ordnung. ‘Ave Maria, Vaterunser!’ “Sinnlos!” rief er still. “Selbst die Tapferen Leutnants drehen durch.” Jetzt war er näher herangekommen und sah den alten Priester mit dem gelben Missionarskleid, lächelnd wie ein Buddha.

      Der Priester wandte ihm das Gesicht zu und schaute ihn an und durch ihn durch.

      ‚Solange ich hier stehe’, sagten die Augen, ‚und im Namen unseres Heilands halte ich die Welt zusammen.’

      Er lag wieder auf dem Boden.

      “Vorwärts!” rief eine Stimme. Wieder die Pfeife. Sein eingedrillter Köper versuchte