Der Werwolf von Paris. Georg Pfeiffer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Georg Pfeiffer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783746741833
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Sous verdienen?« Erstaunt sah er auf. Ein altes Mütterchen in guter, aber altmodischer Kleidung stand vor ihm, ein großes Paket unterm Arm. Sie forderte den Knaben auf, den Packen nach ihrer Wohnung zu tragen. Desrues war gern bereit und lief hinter der Alten her, die schnell davontrippelte. Vor einem kleinen, sauberen Häuschen, in dessen Erdgeschoß sich ein Woll- und Weißwarenladen befand, blieb sie stehen, schloß das Tor auf und hieß ihren Begleiter eintreten.

      Neugierig sah sich Desrues in dem behaglichen Stübchen um. Die Alte hieß ihn das Pater ablegen und forderte ihn auf, sich zu setzen. »Du wirst hungrig sein, Gosse (Junge), und müde. Ich werde dir einen Teller Suppe geben. Warte nur ein paar Minuten!« Dankbar nickte der Junge und ließ sich das warme Gericht mit wahrem Wolfshunger schmecken. Mitleidig sah ihm die Frau zu und musterte die Lumpen, die er trug, seine bloßen, schmutzigen, wunden Füße. Dann fragte sie ihn nach seinem Namen, woher er komme, was er treibe …? Desrues schüttete der guten Frau sein ganzes Herz aus und berichtete unter Tränen von seiner Wanderung, seinen Hoffnungen und den bösen Erlebnissen, die er bisher in Paris gehabt.

      Die gute Alte hörte ihm kopfschüttelnd zu. Was gab es doch für merkwürdige Dinge in der Welt. Der arme Junge! Er hatte doch so gute, kluge Augen … Und stand ganz allein im Leben, so jung noch und verwaist, elternlos, heimatlos … Ihr Herz schwoll an von Mitleid. Dann kam ihr plötzlich ein guter Gedanke. Sie war alt und verwaltete ihr kleines Geschäft ganz allein mit Hilfe einer Verkäuferin. Wie, wenn sie den Jungen zu sich ins Haus nahm? Er konnte ihr eine rechte Hilfe und Stütze sein, Botengänge erledigen, das Gärtchen pflegen, kurzum, Ladenjunge und Laufbursche ersetzen. Dafür wollte sie ihm Kost und Logis geben. Ohne langes Bedenken sagte sie dem Knaben ihren Vorschlag. Mit funkelnden Augen sprang er auf und sah staunend, halb ungläubig die alte Frau an. Erst als er merkte, es sei kein Scherz, kam die rechte Freude über ihn. Er hatte also den ersten Schritt auf der Leiter getan, die nach oben führte. Er hatte ein Dach über’m Kopf, sein Essen, brauchte weder zu hungern noch zu frieren, Trinkgelder würde es wohl auch manchmal geben, er konnte sparen und sich langsam emporarbeiten. Blitzschnell schossen die Gedanken durch seinen Kopf, dann küßte er in stürmischer Freude der Alten die welke, runzelige Hand und rief: »Die heilige Jungfrau lohne Ihnen Ihre Güte! Madame, ich danke Ihnen innig! Ich will mich Ihres Vertrauens würdig zeigen!«

      2

      Der Weg zum Reichtum

      So war Desrues zu der Witwe Barnot in der Rue St. Viktor gekommen. Die Jahre gingen. Die alte Frau hatte noch niemals bereut, den Knaben aufgenommen zu haben. Er war fleißig und verrichtete alle ihm aufgetragenen Dienste mit größter Pünktlichkeit. Unermüdlich lief er treppauf, treppab, rannte in die Stadt zu den Kunden, half im Laden der Verkäuferin, putzte und fegte das Häuschen blitzblank und pflegte den Garten mit viel Geschick und Glück. War er abends fertig mit seinen Arbeiten, dann hockte er in der Küche hinterm Herd und las. Alle Bücher, die er erwischen konnte, verschlang er gierig. Von seinen kleinen Ersparnissen – er erhielt Taschengeld und auch öfters Trinkgelder – kaufte er sich nur Bücher, und die gute Madame Varnot wunderte sich oft über die Gelehrsamkeit ihres Hausburschen. Die Kunden lobten seinen Diensteifer und seine gewandten, feinen Manieren. Er wußte sich wie ein Junge aus vornehmer Familie zu benehmen. In seinen einfachen, aber sauberen Kleidern sah man ihm nicht mehr den zerlumpten, barfüßigen Gassenjungen an, als der er nach Paris gekommen war.

      Was aber besonders von allen Leuten gelobt wurde, war seine Frömmigkeit. Der würdige Abbé Lahousse stellte ihn allen anderen jungen Menschen als Muster hin. Er fehlte nie im Sonntagsgottesdienst, kam regelmäßig zur Beichte, betete fleißig den Rosenkranz, kurzum, er war sehr religiös. Lahousse gab dem Jungen, den er liebgewonnen hatte, viele Bücher, um dessen Lesehunger zu stillen und nahm sich überhaupt seiner an. Er erteilte ihm in freien Stunden kostenlosen Unterricht, was Desrues sehr beglückte, und lobte seinen hellen Kopf, seinen Fleiß und Ausdauer.

      So wurde aus dem Knaben ein Jüngling, dessen vornehmes Wesen und feine Bildung ihn weit über seinen Stand hinaushob. Desrues sah die ersten seiner Wünsche erfüllt. Aber noch fehlte ihm der Reichtum. Er hatte viel gelernt und konnte als ein gebildeter, kenntnisreicher junger Mann gelten, aber noch war er arm. Was er an Unterricht empfangen, war ihm kostenlos gegeben worden. Aus eigenen Mitteln konnte er sich noch nichts leisten, denn seine kleinen Einnahmen wurden regelmäßig für Bücher, Wäsche und dergleichen verausgabt.

      Frau Barnot hatte ihn lieb wie einen Sohn, zumal sie allein in der Welt stand und weder Mann, noch Kinder mehr besaß. Alle waren schon vor Jahren gestorben … So hängte sie ihr Herz an Antoine Desrues und behandelte ihn wie ein leibliches Kind.

      Sie war im Lauf der Zeit, während Desrues zu einem blühenden Jüngling heranwuchs, hinfällig und schwächlich geworden. Auch ihre Verstandeskräfte hatten stark abgenommen und sie konnte schließlich ihr Geschäft nicht mehr führen.

      Als sie eines Abends in ihrem Zimmer saß, Desrues ihr gegenüber mit einem geschichtlichen Werk – denn er hatte längst das Recht, in der Wohnung der Frau Barnot sich aufzuhalten, nicht mehr in der Küche, wie als Junge – fing sie plötzlich an, von ihrem Tod zu sprechen.

      »Ich glaube, meine Tage sind gezählt, lieber Antoine, ich bin alt und gebrechlich, wer weiß, wie lange ich noch zu leben habe. Mit der Arbeit will es auch gar nicht mehr gehen, das weißt du ja. Jetzt möchte ich meinen Lebensabend in Ruhe und Frieden verbringen; ich habe mich genug gequält im Leben.«

      Desrues hörte gespannt zu. Eine Ahnung sagte ihm, daß er vor einem wichtigen Ereignis stehe.

      »Nun habe ich mir folgendes überlegt, Antoine«, fuhr die Frau fort, »ich stehe ja allein und habe keine Erben. Du bist mir immer eine rechte Stütze gewesen und sollst nun auch deinen Lohn haben. Ich will Haus und Laden dir vermachen und du kannst es gleich übernehmen. Aber unter folgenden Bedingungen: du zahlst mir, solange ich lebe, eine jährliche Leibrente von 1200 Livres und gibst mir zwei Zimmer als Wohnung ohne Miete ab. Du wirst mich gut verpflegen, bis ich sterbe, das weiß ich. Nach meinem Tod bist du der alleinige Erbe und Herr. Was sagst du dazu, lieber Junge?«

      Desrues bebte vor Freude, eine helle Röte ergoß sich über sein Gesicht, aber er beherrschte sich und sagte freundlich: »Aber liebe Frau Barnot, wer wird denn ans Sterben denken?! Sie leben sicher noch recht recht lange, dafür bitte ich alltäglich die Jungfrau Maria. Ich würde ja in Ihnen meine zweite Mutter verlieren.« Schmeichelnd küßte er die Hand der Alten, die ihre welke Rechte wie segnend auf seinen dunklen Scheitel legte.

      »Nimm meinen Vorschlag an, Antoine; vielleicht schenkt mir der Himmel noch einige Jahre, wenn du mich recht gut pflegst und ich die wohlverdiente Ruhe genieße.«

      »Das will ich tun. Bei Gott, das will ich tun! Was in meinen Kräften steht, wird für Sie geschehen. Ich will Ihnen das Leben so behaglich und schön, wie nur irgend denkbar ist, machen.«

      »Gut, mein Lieber! Es bleibt also dabei und noch morgen gehen wir zum Notar und erledigen die Sache ordnungsmäßig. Jetzt aber, gute Nacht! Ich bin müde.« Sie erhob sich und ging hinaus, nachdem ihr Desrues nochmals warm gedankt hatte und die feurigsten Versprechungen gemacht hatte. Als er allein war, breitete er wie in innerem Jubel die Arme aus. »Der Erbe von Haus und Hof! Das ist das erste Kapital, das ich bekomme, und ich will es nutzbringend verwerten, parbleu! O, Paris! Du sollst die Wiege meines Glücks werden. Ein günstiger Stern hat mich hierhergeführt.« Wie ein übermütiger Junge eilte er in großen Sprüngen auf sein Zimmer, holte aus einem wohlverschlossenen Schrank eine Flasche guten alten Wein und goß sich ein Glas voll. Prüfend hielt er es ans Licht, das rubinrot durch die Flüssigkeit schimmerte. »Auf mein eigenes Wohl«, rief er halblaut lachend und leerte es mit einem Zug. »Es ist doch gut«, fuhr er in seinem Selbstgespräch fort, »daß ich mir den Wein neulich aus dem Keller holte. Die alte Barnot trinkt doch keinen mehr. Ich muß aber diesen Erfolg begießen.« Er schenkte sich ein zweites Glas ein, das er langsamer ausschlürfte und versank dabei in bunte Zukunftsträume …

      Kurze Zeit darauf war Madame Barnot mit Desrues zum Notar gegangen, um dort den Kontrakt in formeller Weise zu schließen. »Unter uns ist das ja eigentlich nicht nötig«, hatte er gemeint, »da gilt jedes mündliche Versprechen.«

      »Gewiß, gewiß, mein guter Junge, ich weiß wohl.