Four Kids. Byung-uk Lee. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Byung-uk Lee
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750229914
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mal gevögelt?“, fragte er in der Menge stehend.

      Haekwon spürte, wie seine Wangen leicht erröteten. Ein Kribbeln, das sich wie eine raue Decke über die gesamte Gesichtshaut zog. Seine Antwort war ein kurzes Nicken. Dabei dachte er an Yeji, seine erste Freundin. Vor seinem geistigen Auge erschien ihm das Dreiecksgesicht bedeckt mit einer dicken Hornbrille. Die Augenbrauen stets hochgezogen, eine überrascht naive Miene erzeugend.

      „Also ich könnte mal wieder“, sagte Soo-Jung zwinkernd.

      In der Ecke versteckte sich ein alter Mann hinter seiner Zeitung, von dem Haekwon nur raschelndes Papier und ein leises Lachen vernahm. Ob der Greis einen amüsanten Artikel las oder ihr Gespräch belauscht hatte, wusste er nicht. Allein diese Ungewissheit bereitete ihm Unbehagen, daher wollte er die Metro schnell verlassen. Doch sie verließen die eiserne Raupe erst an der letzten Station. Diesen Stadtteil hatte Haekwon zuvor nie besucht und es kam ihm so vor, als würde er einen fremden Planeten betreten, auf dem man sich behutsam bewegen musste. Hingegen stieg Soo-Jung eiligen Schrittes die Stufen hoch, mit einer Sicherheit, die Haekwon bewunderte. Auf dem Asphalt lag überall Müll. Die Gebäude, teils zerfallen, konkurrierten mit ihrem Grau mit der düsteren Wolkendecke, die wieder drohte, sich über sie zu ergießen. Der Wind wehte ihnen schneidig um die Wangen und die feuchte Kälte drückte sich langsam auf Haekwons Gemüt.

      „Wie lange dauert es noch?“, fragte er.

      Soo-Jung lief, ohne zu antworten einen Schritt vor ihm. Gelegentlich bildeten sich an seinem Nacken fleischige Falten, wenn er hochsah, um den Himmel zu betrachten, als wenn er dadurch einen weiteren Schauer verhindern könnte. Das Gras auf beiden Seiten der Straße war verdorrt und darbte vor sich hin. Am Ende des Weges erreichten sie ein Areal, auf dem sich mehrere zerfallende Fabriken und Lagerhallen befanden. Fossile Überreste aus besseren Zeiten. Eingeschlagene Fenster, korrodierte Metallwände und Wellblech auf dem sich moosiges Grün ausgebreitet hatte. Alles befand sich an einem Kanal, der mit schmutzigem Wasser gefüllt war.

      „Willkommen in meinem Reich.“ Soo-Jung reckte beide Arme in die Höhe und lächelte verschmitzt.

      „Was sollen wir hier?“

      „Habe ich doch gesagt. Quatschen und was trinken. Dazu benötigt man eine Kulisse mit Charme und Atmosphäre.“

      Aus seinem roten Rucksack kramte er zwei Dosen Bier, mit denen er Haekwon zuwedelte. Tatsächlich spürte er hier an diesem Ort der Verrottung einen gewissen Frieden. Diese Leere hatte etwas Anziehendes. Die Anstrengung der Menschen so viele Gegenmenschen kennenzulernen wie möglich, hatte Haekwon noch nie nachvollziehen können. Je mehr Leute man kannte desto mehr Ärger hatte man. So jedenfalls seine Faustregel. In der Schule verhielt er sich daher sehr bedeckt und streifte meist allein durch die Korridore. Diejenigen, die er einst kannte, hatten bereits ihren Schulabschluss und studierten an den verschiedenen Unis der Welt. Verstreut in alle Winde. Und Haekwon war froh über diesen Neustart. Ging nichts mehr, drückte man einfach auf die Resettaste.

      „Komm wir setzen uns ans Ufer“, schlug Soo-Jung vor.

      Während sie einen Dampfer verfolgten, der gemächlich an ihnen vorbeifuhr und schwarzen Qualm in den Himmel spie, öffnete Soo-Jung als erster die Dose Hite. Zischend sprudelte der Schaum ans Tageslicht, was Haekwon animierte auch sein Bier zu öffnen. Der Kahlkopf trank fast die Hälfte in einem Zug aus. Danach verzog er das Gesicht zu einer Grimasse. Erst lag einem der bittere Geschmack auf der Zunge, danach ein wärmendes Gefühl in den Eingeweiden. Im Takt zu einer nicht hörbaren Musik schlug Haekwon mit der Hacke gegen die Betonwand des Kanals, sodass am Wadenbein die Cordhose verdreckte. War er nervös?

      „Bist du oft hier?“

      Soo-Jung trank seine Dose aus, die er zerknüllte und ins Wasser schmiss. Einsam trieb sie dem Dampfer hinterher, von dem nur noch die Rauchfontäne zu sehen war. Einige Sekunden schweifte sein Blick über die Landschaft, die sich farblich den stählernen Fossilien angepasst hatte.

      „Gelegentlich, wenn ich allein sein will, um nachzudenken. Jetzt hätte ich mal eine Frage: Was macht so ein reicher Bengel wie du den ganzen Tag? Golf oder Tennis spielen? Auf Cocktailpartys rumlungern?“

      Jetzt war es Haekwon, der sich einen langen Zug aus der Dose gönnte, so als müsste er sich Mut antrinken, damit er nicht die falschen Worte wählte.

      „Weißt du, ich tue eigentlich all die Dinge, die andere auch machen. Manchmal wünsche ich mir sogar, dass ich nicht der Sohn eines Bonzen wäre.“

      Ein verächtliches Schnaufen vernahm er vom Kahlen, der seinen Kopf schmunzelnd schüttelte und einen weiteren Schluck nahm. Bierschaum klebte an seiner Oberlippe, die sich zu einem Grinsen verzerrt hatte.

      „Wenn ich in deiner Lage wäre, dann würde ich feiern und meinen Spaß haben, bis ich tot umfalle.“

      „Glaub mir. Wenn es zur Gewohnheit wird, dann möchtest du etwas anderes. Ein anderes Leben, einen anderen Freundeskreis und eine andere Umgebung. Menschen neigen leider dazu, sich schnell zu langweilen.“

      Darüber musste Soo-Jung erstmal nachdenken. Denn er schwieg und blickte wieder in die Ferne. Er war doch eigentlich zufrieden mit seinem Leben. In eine andere Richtung zu streben hielt er nicht für nötig, aber nach oben war gerade nicht verkehrt.

      „Gefällt dir dein Job?“

      „Tja, es gibt Tage da verfluche ich ihn und er ist mir überaus lästig. An anderen Tagen wiederum denke ich mir, Mensch die Arbeit ist gar nicht mal so schlecht. Man lernt neue Leute kennen, ist den ganzen Tag an der frischen Luft und kann die Eindrücke der Stadt in sich aufnehmen.“

      Der Wind wehte nun stärker über die Landschaft, ließ die Metallwände der Urriesen erzittern, pfiff durch die zerborstenen Fenster und selbst das verdorrte Gras verneigte sich ehrfürchtig vor ihm.

      „Es regnet gleich wieder. Wir sollten verschwinden. Es sei denn dein Bonzenarsch will nass werden.“

      Haekwon lachte laut.

      „Im Sommer ist es hier besser. Dann kann man trinken, auf dem trockenen Gras liegen und den wolkenlosen Himmel betrachten. Einfach die Seele baumeln und die Gedanken schweifen lassen.“

      Diese Vorstellung gefiel Haekwon. Im Grunde seines Herzens wünschte er sich doch nichts als einen ehrlichen Menschen an seiner Seite, die in dieser Welt immer seltener wurden. Vielleicht sogar ausgestorben waren. Möglich, dass er mit dem Kahlkopf eine solche Person gefunden hatte.

      „Ja, lass uns gehen“, stimmte Haekwon zu, während er sich am Muttermal über der Lippe kratzte, das gelegentlich juckte.

      Wieder ging Soo-Jung ein Stück voraus, sodass er sich wie ein Reisender vorkam, der von einem hiesigen Bewohner durch eine fremde Landschaft geführt wurde. Doch so fremd kam Haekwon diese Gegend nicht mehr vor. Schnell hatte sich eine Vertrautheit in seine Gedanken geschlichen, während er Soo-Jung durch eine schlecht befestigte Gasse folgte, die von zwei Lagerhallen gesäumt wurde. Die breiten, korrodierten Metallwände überragten sie und schwankten wie taumelnde Giganten, da sie von einem starken Windstoß erfasst wurden. Dann ging es wieder über den Friedhof der zerfallenen Wohnblocks, deren fenster- und türlosen Öffnungen wie schreiende Mäuler offenstanden. Doch niemand erhörte ihr lautloses Klagen. Sie befanden sich tatsächlich am äußersten Rand von Seoul. Lange Zeit schien es her zu sein, dass dieser Ort seine Blütezeit erlebt hatte. Kaum hörte die pulsierende Wirtschaftsader auf zu pochen, waren auch die Anwohner vor den scharfen Raffzähnen der Existenzbedrohung geflohen.

      In der Metro schwiegen sie. Selbst die anderen Fahrgäste stimmten in ihr Schweigen ein, aber dafür nahm man andere Geräusche umso intensiver wahr. Raschelndes Zeitungspapier, Hüsteln, Räuspern, quengelnde Kinder und das Ruckeln, wenn die Bahn über eine Unebenheit fuhr. In solchen Momenten horchte Soo-Jung genau hin. Denn es waren nicht nur Geräusche der Umgebung, sondern es war viel mehr die Stimme der Stadt. Für ihn besaß sie eine eigene Sprache, die er mittlerweile verstand, eine geheime Botschaft, die nur er entschlüsseln konnte. Der Zeitungsleser in der Ecke wollte nicht angesprochen werden und seine Ruhe haben, die Kinder waren erschöpft vom langen Tag und die Schienen mussten langsam wieder saniert werden. Sein