Grüwig das Buch. Gabriela Beyeler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gabriela Beyeler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844200102
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Lehrer, Herr Hess von der 8. und 9. Klasse, sah mich als Verkäuferin. Auf sein Gedränge hin ging ich in Herisau, als Schuhverkäuferin schnuppern. Und wie erwartet, fand ich dort „Tussis“ und die falschesten Weiber auf Erden. Philip sah mich eher als Goldschmiedin oder Parfummischerin. Diese Vorstellung löste in mir bessere Gefühle aus. Ich suchte etwas aussergewöhnliches. Gelandet bin ich nicht bei einer vermeintlichen Goldschmiedeschnupperstelle, sondern einer Uhrmacherlehrstelle. Ich schnupperte und fand es sehr speziell und daher interessant. Ich schrieb vor Ort meine Bewerbung und bekam die Zusage etwas später.

      Lehrzeit

      Ein neuer Lebensabschnitt hatte begonnen und gleichzeitig steckte ich noch im alten Schulleben, doch nicht mehr lange. Ich traf Dieter nun öfter und eines Abends, als er bei mir zu Besuch war, heckten wir den Plan aus, dass er so tun würde, als ginge er nach Hause, aber dann heimlich wiederkommen würde. Er verabschiedete sich dann auch bei meiner Mutter und fuhr mit seinem Mofa los, doch weiter unten kehrte er und fuhr wieder die Strasse hinauf, ein ganzes Stück an unserem Haus vorbei, stellte den Motor ab und rollte auf dem Mofa im Leerlauf bis zu unserm Haus. Er stellte sein Gefährt hinter das Haus, wo es niemand sah. Dann wollte er an der Fassade hochklettern, am Küchenfenster vorbei auf das Garagendach und an meinem Fenster anklopfen, wo ich ihn dann empfangen sollte. Ich ging dann ins Wohnzimmer und sagte Mutter gute Nacht, mit einer eigentlich sehr auffälligen Bemerkung, dass ich jetzt schlafen ginge. Wieder in meinem Zimmer liess ich ihn zum Fenster herein und wir gingen zu Bett. Wir schmusten miteinander aber sonst waren wir ganz brav. In den folgenden Nächten fummelte er mehr als sonst. Ich spürte zum ersten Mal seinen, na ja, ihr wisst schon und erschrak einwenig, wie gross dieser sich anfühlte. Er bedrängte mich und ich vermute, ich gab so beim dritten Mal nach und wir schliefen miteinander. Es war sehr schön und intensiv. Ich fühlte mich bei ihm in sicheren Händen und war darum entspannt. Ich war überzeugt, dass er Erfahrung mitbringt in diesen Dingen. Ich hatte sogar einen Orgasmus und dachte danach, „also so ist das“ und wunderte mich einwenig, über das viele Aufheben darum. Am Morgen, nachdem sich Dieter hinaus geschlichen hatte, betrachtete ich mich im Nebenzimmer vor dem Kastenspiegel und erkundete spielerisch, ob man es mir wohl ansieht, dass ich nun keine Jungfrau mehr war. Von nun an wollte er jedes Mal Sex, wenn wir uns trafen. Ich hingegen nicht und es wurde mir zu viel. Kaum in meinem Zimmer, bedrängte er mich. Ich aber wehrte mich und setzte mich gegenüber auf meinen Sessel. Wochen später ging ich zum Arzt und bekam das Rezept für die Pille. Ein Wunder, dass bis dahin nichts passierte und ich nicht schwanger wurde. Ich litt immer wieder unter einer Pilzinfektion und dachte so langsam, dass das doch nicht normal sei.

      Meine Lehre begann und Claudia ging ins Welschland, irgendwo Nähe Neuchâtel und so sah ich sie nicht mehr. Wir schrieben uns keine Briefe. Dieter fuhr derzeit immer noch in die Berufsschule in Uzwil. Eines Morgens verunfallte er mit seinem 125er Motorrad. Er stiess an einer Kreuzung mit einem Lastwagen zusammen und lag danach im Spital in Flawil. Martin benachrichtigte mich sofort und ich besuchte ihn noch am selben Tag. Er erlitt eine starke Hirnerschütterung und sein Schädelknochen war angerissen. Ansonsten hatte er viel Glück. Als ich auf dem Nachhauseweg am Bahnhof auf den Zug wartete, verspürte ich so was wie Liebe, ja ich denke es war Liebe.

      Meine Lehrstelle gefiel mir sehr gut. Meine „Oberstiftin“ hiess Sara Felice und war Italienerin. Sie ist in der Schweiz aufgewachsen und kam von Arbon. Sie spielte sich etwas zu sehr auf, doch sie war soweit ganz nett und fair zu mir, deshalb hatte ich kein Problem damit. Ich fuhr jeweils mit dem Postauto nach Waldstatt und dort wartete ich auf das Appenzellerbähnchen und fuhr über Herisau nach Gossau, ohne umzusteigen. In Gossau angekommen, ging ich der Bahnhofsstrasse entlang ins Städtchen, zum Bijouteriegeschäft von „Waldner“. Mittags blieb ich in Gossau, wie auch Sara und eine Verkäuferin, die für die Lehrausbildung der Verkäuferinnen zuständig war und nebenbei für die Buchhaltung. Diese Frau war sehr gross gewachsen und wenn ich mal so urteilen darf von Kopf bis Fuss keine Schönheit. Sara und diese Frau, ich weiss ihren Namen nicht mehr, sorry, kamen sehr gut miteinander aus. Beide strickten gerne und das fast jeden Mittag. Wenn im Laden nichts lief und der Chef weg war, holte Sara ihre Handarbeit hervor. Ich ass und trank jeden Mittag das Gleiche, jeweils ein belegtes Thon- und ein Eierbrötchen, dazu ein Glas Cola. Manchmal leistete ich mir einen Champignontoast im „City Café“. Doch meistens sassen wir im „Städtli Café“. Wenn ich mit meinem Chef und Lehrmeister unterwegs war und wir kehrten ein, lief das immer ganz eigen ab. Beim ersten Mal kam ich etwas in Not, weil ich seine Eigenart noch nicht kannte. Wir sassen im Restautant und ich bestellte eine warme Ovomaltine. Wir redeten ein wenig und er nahm ab und zu einen Schluck von seinem Getränk, ich tat es ihm in etwa gleich. Plötzlich nahm er sein Glas, trank es in einem Zug leer und rief: „Zahlen, bitte!“ Ich, immer noch vor der etwas zu warmen Ovomaltine, kam ins Schwitzen. Bei zukünftigen Restaurantbesuchen war ich gewarnt. Ich amüsierte mich immer wieder über seine Eigenart. Ich ging sehr gerne arbeiten. In Waldner`s Betrieb gab es vier Lehrlinge. Zwei davon im Verkauf. Eine im ersten Lehrjahr und eine im Zweiten. Ich kam immer mit allen sehr gut aus. Man muss sich vorstellen: Ich sitze da und repariere Uhren und kann nicht weglaufen und so kommt einmal diese Verkäuferin und einmal jene und alle schütten mir ihr Herz aus. Ich mochte dies, alle hatten Vertrauen zu mir. Zu Anfang hatte ich meinem Lehrmeister gegenüber väterliche Gefühle. Doch leider entpuppte sich der Chef und Ersatzvater, wenn man so will, als Lustmolch. Das machte mich ganz fertig und belastete mich. Wenigstens war ich nicht die einzige in diesem Betrieb, der es so erging und wir Mädchen sprachen auch gegenseitig darüber. Nur Sara sagte keinen Ton. Wir hatten auch nie beobachtet, dass er es auch bei ihr versuchte, das war seltsam. Von der Lehrausbildnerin wollte er hingegen nichts und dabei hatte sie so darauf gewartet. In meinem dritten Lehrjahr hatte sie gekündigt oder wurde gekündigt. Dann kam Evi. Vor Jahren schloss sie bei Waldner die Lehre ab und übernahm nun den freigewordenen Job. Ich mochte sie. Evi war eine herzige, kleine junge Frau mit Sommersprossen und „Radlerwädchen“.

      Bevor mein Chef in die Ferien nach Spanien fuhr, war es meine Aufgabe sein Auto innen und aussen zu reinigen. Einmal im Jahr war aufräumen im Schopf nebenan angesagt. Schachteln sortieren und nach Grösse ordnen. Im Schopf befand sich eine Uhrengalerie mit über 150 Uhren, davon waren fast alles Grossuhren. Meine Arbeit war somit gesichert, falls je zu wenige Reparaturen hereinkommen würden. Jede 6. Woche musste ich eine Woche lang nach Solothurn in die Gewerbeschule, von montags bis und mit freitags. Wir mussten am Sonntagabend schon anreisen. Am ersten Schultag fuhr ich mit dem Bus vom Bahnhof bis zur Uhrmacherschule und von dort lief ich in Richtung Weissenstein in die Mädchenunterkunft. Eine Internatsschule für angehende Handarbeitslehrerinnen, das konträre zu uns Uhrmacherinnen. Ich kam dort also an und mir wurden zwei mögliche Zimmer gezeigt, die man beziehen durfte. Ein ebenfalls anwesendes Mädchen fragte mich, ob wir zusammen ein Zimmer teilen. Sie hiess Marion Amiguet und kam vom Albis im Kanton Zürich. In unserer Klasse waren wir Mädchen zu dritt. Pascale Stickel später genannt der „Pickel“, war die Dritte im Bunde. Insgesamt waren wir elf Schüler. Von den Jungs, vier Zürcher, ein Wiler, ein St.Galler und zwei Bündner. Bei uns entwickelte sich in all den Jahren nie ein Klassengeist. Ich quälte mich in Sachen Noten gerade so durch. Nun gut, es war ja auch Sekundarniveau. Doch ich muss auch gestehen, dass ich mich nie fleissig eingesetzt habe, ausser bei einem Vortrag, übrigens mein erster! Ich wählte das Thema „Aufzucht der weiblichen Kücken“. Unser Deutschlehrer, der mich eh nicht mochte, kritisierte meinen Vortrag und ich wurde wütend. Er - keine Ahnung von der Thematik - wollte mich belehren. Ich hingegen wusste, wovon ich sprach! Ich sass gewohnter Weise zuhinterst. Ich wehrte mich und wurde laut, ja sogar ein wenig aufsässig! Plötzlich bemerkte ich, wie alle zu mir nach hinten schauten, mit halb offnen Mündern. Tja, diese Seite kannten sie wohl noch nicht von mir. Marion und ich kamen auf eine glorreiche Idee. Wir fanden, dass das Turnen einmal im Monat doch ein völliger Blödsinn sei, ja sogar ungesund! Wir meldeten uns beim Rektor und sprachen mit ihm. Unser Ziel war klar, wir wollten vom Turnunterricht befreit werden und somit mussten wir ihn für unser Anliegen überzeugen. Wir waren mutig aber auch etwas naiv. An den Mittwochnachmittagen gingen wir lieber in die Stadt shopen, anstatt zu lernen. Und wer hätte das gedacht, Jahre später machte Marion bei Waldner ihre Lehre zu Ende, weil sie sich mit ihrem Lehrmeister zerstritten hatte und mein damaliger Unterstift Sandro, seine Lehre abbrach. Die langen Zugreisen nach Solothurn genoss ich sehr und hörte mit Dieter`s ausgeliehenem Walkman meistens Barclay James Harvest.