Erlöse mich. Rainer Rau. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rainer Rau
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750225992
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könnte es irgendwie einen Zusammenhalt geben und da sollte man nicht weit davon entfernt sein, einen möglichen Mord in Erwägung zu ziehen. So war die Instruktion, die sie der Beamtin mitgab.

      In Wirklichkeit hoffte die Staatsanwältin, dass an der Sache nichts dran wäre und die Ergebnisse der jungen Kommissarin im Sand verliefen. Für solche Fälle musste eigentlich ein Ermittlerteam tätig werden, das einfach aus Zeitgründen nicht zu Verfügung stand. Eine junge Kommissarin, die gerade von der Polizeiakademie kam und durch Bestnoten in allen Fächern sofort einen Dienstgrad höher eingestuft wurde, die allerdings keinerlei Praxiserfahrungen hatte und deshalb nicht ihrem Dienstgrad entsprechend sofort als leitende Beamtin im Tagesgeschäft eingesetzt werden konnte, sollte ruhig mal ermitteln und sich somit Lehrgeld erarbeiten. Bei diesem Fall konnte sie nichts falsch machen. Sie konnte sich auch jede Zeit nehmen, die sie brauchte, denn im Grunde war es gar kein richtiger Fall.

      Dessen sollte die Staatsanwältin eines Besseren belehrt werden.

      Cleo Brecht war nicht begeistert und es war ihr bewusst, dass sie nicht so schnell als Teamleiterin einer Soko eingesetzt werden würde. Also wollte man sie nur beschäftigen. Aber sie machte gute Miene zum schlechten Spiel und schniefte lediglich leicht durch die Nase.

      „Gut, Frau Staatanwältin. Werde ich mich mal um die Tote kümmern. Wie ist sie denn zu Tode gekommen?“

      „Verkehrsunfall mit Fahrerflucht. Bei der Gelegenheit können Sie sich auch gleich um den geflüchteten Unfallverursacher kümmern. Kontaktieren Sie die Kollegen in Hamburg.“

      Was Brecht schon vermutet hatte, dass ihr nämlich lediglich etwas Arbeit auferlegt werden sollte, bestätigte sich somit. Bei der Erwähnung der Stadt Hamburg besserte sich allerdings ihre Laune.

      „Mache ich, Frau Staatsanwältin.“

      „Ach … ja, Frau Brecht! Halten Sie mich auf dem Laufenden!“

      „Jawohl, Frau Staatsanwältin.“

      Dabei streckte sie den Mittelfinger der rechten Hand in die Höhe.

      Die Nacht war kurz gewesen und sie hatte wenig Schlaf bekommen. Ihre Dauerwochenendbeziehung war zwar wieder einmal in den Staaten unterwegs, aber alleine fand sie auch selten den Tiefschlaf, den sie sich oft herbeisehnte. Es lag wohl doch am zunehmenden Mond, der ihr den erholsamen Schlaf raubte.

      Sie nahm auf dem Flur vor dem Büro auf einem der vielen Stühlen Platz, die nicht gerade bequem waren. Ein junger Designer hatte den Zuschlag zum Kauf des Mobiliars in der Klinik gewonnen. Zeitlose Optik und leichtes Reinigen standen im Gegensatz zum bequemen Sitzen.

      Nun wartete sie schon geschlagene fünfundvierzig Minuten auf den Rechtsmediziner. Sie waren verabredet. Er war zu spät und sie hasste es, wenn jemand zum Termin zu spät kam. Als er endlich mit wehendem Kittel ankam, ihr die Hand gab und sie mit den Worten ‚komme gerade von einer Obduktion’ begrüßte, war ihr erster Gedanke: ‚Der hat sich doch hoffentlich die Hände gewaschen!‘

      Sie schalt sich auch sofort für solch unsinnige gedankliche Ausschweifungen.

      ‚Die desinfizieren sich doch alle zwei Minuten die Hände. Wozu hängen denn sonst an jeder Tür solche Spenderdinger? Obwohl in so manchem Krimi gezeigt wird, wie einer sein Butterbrot neben der Leiche isst oder seine Zigarette zwischen die Zehen eines Toten steckt. Aber das ist alles sicher nur Klischee. Das macht in Wirklichkeit doch kein Mensch.’

      „Abend nochmal, Frau Brecht. Wir hatten telefoniert. Kommen Sie in mein Büro.“

      Dort angekommen zog er seinen weißen Kittel aus und hängte ihn auf den Haken hinter der Tür.

      Cleo Brecht kam gleich zum Thema.

      „Also, was ist mit dem Mädchen los? Warum rumorte es in ihrem Bauch?“

      „Rumorte ist gut. Das trifft die Sache genau. Sie hatte zweiunddreißig Trojaner im Magen.“

      „Was? Trojaner?“

      „Sie hat die Dinger geschluckt.“

      „Was genau meinen Sie?“

      „Na, sie hat zweiunddreißig mit Kokain gefüllte Kondome verschluckt.“

      „Sie war ein Drogenkurier?“

      „Muss wohl so gewesen sein. Hatte ich aber der Staatsanwältin schon so geflüstert.“

      „Das ist ja nichts Neues. Aber sie war erst siebzehn Jahre alt. Erzählen Sie weiter.“

      „Jedes Kondom hatte ein Gewicht von fünfundzwanzig Gramm. Das macht summa summarum achthundert Gramm Koks im Bauch. Da setzte ein Gärvorgang ein.“

      „Aber daran ist sie nicht verstorben?“

      „Nee.“

      „An was ist sie wirklich gestorben?“

      „Na, der Genickbruch hat sie schon von hier nach da befördert.“

      Dabei machte er eine Geste, bei der er zuerst auf den Boden und dann in die Höhe zeigte.

      „Aber ist das denn nicht vor Ort von einem Arzt untersucht worden?“

      „In der Akte steht ein Dr. Kielmann aus Eckernförde, tätig in einem Hamburger Krankenhaus, der sie untersucht hat, noch am Unfallort. Todesursache: Genickbruch. Das war eindeutig. Außer einer Blutentnahme und Sicherung der Partikel unter den Fingernägeln hat es da keine weitere Untersuchung gegeben. Es gab keine weiteren Verletzungen, die auf einen anderen Tod als den Unfalltod deuteten. So ist sie gleich überführt und zur Beerdigung freigegeben worden. Von Kokain im Bauch ist man da nicht ausgegangen.“

      „Wieso hat das Kokain gegärt? Das habe ich noch nie gehört, dass es so etwas überhaupt gibt. Wie kann das sein?“

      „Das ist ja der Grund, weshalb ich so spät bin. Ich habe das Koks im Labor untersucht. Raten Sie mal, was ich dabei festgestellt habe?“

      „Wir sind hier nicht bei Günther Jauch! Schießen Sie schon los!“

      Etwas beleidigt fuhr der Mediziner fort.

      „Sie könnten ruhig etwas freundlicher zu mir sein, wenn Sie mir schon meinen Feierabend versauen.“

      Das sah Cleo ein und wurde zugänglicher.

      „Ja. Tut mir leid. Was war mit dem Koks?“

      „Es war gestreckt. Und zwar gewaltig gestreckt. Über dreißig Prozent war es mit einem Gemisch aus einem Hefemittel und einem Backpulver versetzt.“

      Die Kommissarin pfiff durch die Zähne.

      „Da wollte wohl jemand etwas mehr Kohle machen.“

      „Davon ist auszugehen.“

      „Aber das erklärt nicht, weshalb es aus den Kondomen in den Magen gelangte. Die sind doch auch in Extremsituationen unkaputtbar.“

      Der Mediziner grinste, sah die Kommissarin von oben bis unten an und dachte sich seinen Teil zu ihrer Kenntnis über Belastbarkeit der Kondome.

      „Ja. Scheinbar doch. Die Kondome sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. In Deutschland gibt es dafür eine DIN-Norm, was die Größe und Festigkeit angeht. Aber das hier ist Chinaware. Schlechter Kautschuk, hält nicht allen Belastungen stand. Hätte sie die so benutzt, wofür sie eigentlich hergestellt wurden, dann wäre sie noch am Leben, vermutlich nur halt etwas schwanger.“

      Der Mediziner verzog die Mundwinkel nach oben.

      Cleo Brecht verzog sie nach unten.

      „Lustig.“

      Der Arzt wurde wieder ernsthaft und murmelte etwas von ‚keinen Spaß verstehen’. Dann gab er seine weiteren Erkenntnisse preis.

      „Also, im Magen der Kleinen habe ich eine Menge Flüssigkeit eines Energiedrinks gefunden, der wie Cola eine zersetzende Wirkung hat. Durch das extreme Schütteln auf dem langen Transportweg haben die zweiunddreißig Kondome aneinander gerieben und eine Angriffsfläche auf der Oberseite des Gummis freigelegt.