Kuss der Todesfrucht. Agnes M. Holdborg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Agnes M. Holdborg
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738028270
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Gefühl machte sich in ihrer Magengrube breit. So schlimm war das mit dem Reifen ja nun auch wieder nicht, oder? Eigentlich hatte sie schon gedacht, sich dieses Schlackern lediglich eingebildet zu haben. Außerdem fuhr sie doch extra schön langsam, und nach dem Einkauf wollte sie den Wagen direkt in die benachbarte Werkstatt geben.

      Und überhaupt, was geht das eigentlich diesen Troll an?, fragte sie sich reichlich verärgert.

      Ohne Rücksicht auf den lädierten Vorderreifen gab sie Gas und brauste, ganz entgegen ihrer sonstigen Art, mit überhöhter Geschwindigkeit auf den Parkplatz des Supermarktes. Hierhin könnte ihr der Kerl mit seinem Riesen-Vehikel nun wirklich nicht folgen, freute sie sich und beobachtete zufrieden, wie ›Brummi‹ am Parkplatz vorbei in Richtung Discounter rollte.

      Ah, ging ihr ein Licht auf, der beliefert ›Aldi‹, ja dann! Zufälle gibt‘s, die gibt‘s gar nicht!

      Mit einem Kopfschütteln machte sie sich bereit für ihren kurzen Einkaufsabstecher.

      ~~~

      Was war heute eigentlich mit ihr los? Sie hatte doch sonst alles relativ gut im Griff. Dementgegen fühlte sie sich heute irgendwie unwohl in ihrer Haut. Vielleicht lag es ja daran, dass die Sache mit dem Auto sie aus ihrem regelmäßigen Alltag herausgerissen hatte. Aber damit würde sie auch noch fertig, bestimmt!

      Hätte sie doch nur einen Korb anstatt Einkaufswagen genommen oder sich wenigstens eine Liste gemacht, von wegen nur Brot, Milch und Käse! Wie fast jedes Mal türmten sich in dem Wagen zahlreiche Dinge, die sie in ihrer gedanklichen Einkaufsliste nicht aufgeführt hatte. Nun denn, sie brauchte das Zeug trotzdem: Das Fläschchen Wein für den heutigen Donnerstagabend, an dem sie besonders erholungsbedürftig war, weil sie an diesem Tag länger arbeitete als während der übrigen Woche. Außerdem musste sie diese Auto-Aufregung verdauen. Am besten mit einem duftenden Schaumbad bei Kerzenlicht. Und das Deo war fast alle, das jetzige Shampoo taugte nichts. Auch ein paar Chips vor dem Fernseher könnten nicht schaden. Ach ja, auf jeden Fall fehlten fürs morgige Frühstück noch so einige Sachen und und und.

      Unschlüssig kaute sie auf der Unterlippe, weil sie sich vorgenommen hatte, mehr auf ihre Gesundheit zu achten, mit viel Grünzeug und Vitaminen. Aber so eine kleine Tiefkühlpizza, ohne Salami, nur mit Spinat? Ja, die würde sie sich heute dennoch gönnen.

      Voller Vorfreude beugte sie sich über die Tiefkühltheke, als ein Schlag auf den Allerwertesten sie aus ihren kulinarischen Träumereien riss.

      Mit der Pizza Spinaci in der Hand schnellte sie hoch und blickte geradewegs in zwei blitzend dunkelbraune Augen über einem bildschön geschwungenen, grinsenden Mund. Atemlos hielt sie inne. Eigentlich hatte sie beabsichtigt, dem unverschämten Kerl die Pizza um die Ohren zu hauen, doch sein freches, gleichzeitig charmantes Grinsen entwaffnete sie derart, dass sie sich die Pizza lediglich unter den Arm klemmte und mit der freien Hand ihren kurzen Jeansrock zurechtzupfte.

      Trotzdem raunzte sie ihn an: »Mach das noch mal, und du spürst mein Knie dort, wo du es lieber nicht spüren willst!«

      Er hob ergeben die Hände. »Entschuldigung, bei dem herrlichen Anblick konnte ich einfach nicht widerstehen.«

      Sie besah ihn sich genauer. Der ist ja noch nicht einmal trocken hinter den Ohren, stellte sie amüsiert fest.

      »Hör mal, Jüngelchen, ich könnte beinah deine Mama sein, also verzieh dich besser, bevor ich es mir anders überlege, du Flegel!«

      Er strahlte weiter. »Tja, Sie haben sich ganz schön gut gehalten, Mami«, gab er schelmisch zurück. »Liege ich richtig, wenn ich davon ausgehe, dass Sie heute Abend leider nicht was trinken mit mir gehen möchten?«

      Meine Güte! »Ne, Bubi, ganz bestimmt nicht, und wenn du nicht aufhörst, deinen Auserwählten auf den Po zu klopfen, wirst du wohl auch in der nächsten Zeit alleine bleiben.«

      Das stimmte nicht, gestand sie sich ein, denn der Typ versprühte trotz seines unverschämten Benehmens einen derartigen Charme, der so mancher ihrer Geschlechtsgenossinnen die Knie weich werden ließ, jedenfalls den jüngeren – selbstverständlich!

      »Nicht Bubi«, gab er lachend zu verstehen. »Ich heiße Juri.«

      »Okay, Juri, wage es ja nicht, deine Hand noch einmal auf irgendein Körperteil von mir zu legen. Und nu mach hinne, weg, weg mit dir!«

      Auf ihre scheuchende Handbewegung hin präsentierte er ihr einen albernen Diener, der seine strohblonden Haare vornüberfallen ließ, und gewährte ihr Durchlass.

      Sein weiteres Lachen entlockte ihr ein Kichern. Da musste sie doch tatsächlich achtundzwanzig werden, um im Supermarkt von einem jugendlichen Schnösel, zugegeben einem sehr süßen Schnösel, betatscht zu werden. Das war ihr wirklich noch nie passiert, dachte sie, und stellte dabei verwundert fest, dass sie sich über diese Belästigung auch noch freute. Selbst der Gedanke daran, was geschehen wäre, wenn er etwas davon mitbekommen hätte, verleidete ihr die gute Laune nicht. Sie wollte sich nicht über diesen Vorfall ärgern. Schließlich war der Junge letztendlich ganz nett, obwohl sein Benehmen zu wünschen übrig ließ. Sie einfach auf den Po zu hauen, so etwas aber auch! Vielleicht lag es ja daran, dass sie einige Kilos verloren hatte, seit ...

      Oh nein!, verbot sie sich still. Tabuzone! Nicht weiter drüber nachdenken und stattdessen Obst, Salat und Gemüse kaufen! Pizza, Chips und Wein vorher zurücklegen, los!

      Mit einem tiefen Stoßseufzer gehorchte sie ihrem herrischen Über-Ich und schlug danach den Weg zur Kasse ein.

      Och ne, muss denn um diese Zeit immer so viel los sein?, stöhnte sie innerlich, während sie sich ans Ende der Schlange stellte. Nachdem sie in ihrer Handtasche nach der Geldbörse gekramt hatte, warf sie unwirsch ihre lange dunkelbraune Lockenpracht auf den Rücken. Weil das Ganze noch einige Zeit dauern könnte, legte sie sich im Kopf ihre ›To-do-Liste‹ für nach dem Einkauf zurecht. Auch eine wichtige Methode, ihrem Leben die richtige Richtung zu geben. Oder vielmehr dem Versuch dazu, denn oft genug hielt sie sich letztlich doch nicht an die vorgegebene Reihenfolge. Leider stand auf dieser imaginären Liste als nächster Erledigungspunkt die Autowerkstatt.

      Okay, aber vorher eben den Einkauf zu Hause ausladen und hochtragen, das muss noch drin sein.

      Wieder wurde sie unsanft aus ihren Gedanken geholt. Sie wollte schon patzig werden, weil sie geschubst wurde, dachte sie doch, der junge Poklopfer-Adonis ließe sie immer noch nicht in Ruhe. Da wurde sie auch schon zum zweiten Mal behände von einer mindestens achtzig Jahre alten rüstigen Rentnerin zur Seite geschoben. »Machen Sie mal Platz, ich muss zur Kasse!«, schnauzte die Alte sie an.

      »Tja, entschuldigen Sie, verehrte Dame, aber ich bin ja wohl vor Ihnen dran. Sie können sich doch nicht einfach so vorfudeln.«

      »Vorfudeln?« Die Frau zeigte ihre tadellosen Porzellanzähne. »Hören Sie, das ist mal wieder typisch für die Deutschen«, gab sie schnippisch von sich. »Noch nie was vom Reißverschlusssystem gehört, was? Junge Dame, ich mache schon seit zwanzig Jahren immer die gleiche Runde in diesem Geschäft. Zum Schluss komme ich stets hier aus und fädle mich ordnungsgemäß ein.«

      Sie ruckelte ohne Unterlass mit ihrem Einkaufswagen gegen den von Manuela. Die blies resigniert die Wangen auf. Kampf mit einer überalterten Matrone?, focht sie ihren eigenen innerlichen Kampf. Oder bedingungslose Kapitulation?

      Nach einigem internen Hin und Her entschied sie sich für die Vernunft. »Aber natürlich«, säuselte sie zuckersüß, »das Reißverschlusssystem. Wie konnte ich nur so dumm sein?« und ließ die unfreundliche Greisin mit einer freundlichen Geste vor.

      Schlecht gelaunt stellte Manuela später fest, dass sie wieder einmal keinen Einkaufsbeutel dabei hatte. Warum auch, wollte sie doch eigentlich nur drei Dinge besorgen? Mit zwei prallgefüllten Plastiktüten beladen verließ sie endlich den Supermarkt.

      Puh, was für ein Tag!, dachte sie und verlagerte währenddessen das Gewicht der schweren Tüten, deren Henkel ihr bereits in die Hände schnitten, und das, obwohl sie doch einige Teile wieder zurück in die Regale geräumt hatte.