Lockenkopf 1. Ursula Essling. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ursula Essling
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847620310
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Zöpfe und massenhaft Sommersprossen. Sie ist immer fröhlich und trotzdem ist sie die Beste in unserer Klasse.

      Das mit der Schultüte war auch so was. Kaum kam ich heim aus der Schule, habe ich sie aufgemacht, um die vielen guten Sachen anzugucken. Aber da gab`s nur ein paar Karamellen und eine Tafel Schokolade, eine Rolle Drops und eine Apfelsine. Alles andere war Zeitungspapier. Sehr viel Zeitungspapier!

      Unser Lehrer ist zwar ein alter Mann, aber wir wissen nicht wie alt. Er hat viele Falten, aber er ist herzensgut und wir lieben ihn alle. Deshalb lernen wir auch für ihn, damit er nicht traurig ist. Aber ich kapiere die Buchstaben einfach nicht.

      Mama will, dass Papa mit mir übt, weil sie ja jetzt auch arbeiten geht. Sie putzt mittags beim Bäcker. Frau Schmidt hat sie gefragt; nun ist sie von zwei bis um fünf dort. Sie hat sich auch geniert, als die Bäckersfrau sie fragte, was sie in der Stunde verdienen wolle. „Geben Sie mir halt fünfundsiebzig Pfennig“, hat meine Mutter gesagt. Ich bin dabei gewesen. Frau Schmidt hat sofort genickt. Jetzt bringt Mama oft übrig gebliebene Stückchen von gestern mit. Das finde ich gut. Naja, jedenfalls übt mein Vater jetzt mit mir, aber er verliert immer gleich die Geduld. In unserem Lesebuch sind viele kleine Geschichten. Ich möchte gerne wissen, wovon die handeln, weil mir auch die Bilder so gut gefallen. Papa liest sie mir vor und ich lerne sie auswendig. Wenn die richtige Geschichte in der Schule dran ist, die, welche ich auswendig kann, lese ich auch vor. Da wundert sich Herr Göring immer, wie fließend das geht.

      Meine Schwester geht in Auenheim zur Schule. Da muss sie mit dem Fahrrad hinfahren. Da fahren die Wolfmädchen auch immer mit hin, und noch zwei andere Mädchen aus Kattenbach.

      Sie kriegen auch Schulspeisung. Inge, die ganz dick mit der struwweligen Angelika Wolf befreundet ist, vergräbt die Schulspeisung öfter hinter den Bäumen am Schulhof. Sie wurden erwischt und es ist ein blauer Brief gekommen. Inge hat geheult, weil Mama sich so furchtbar aufgeregt hat. Da die Lehrerinnen alle schwarze Nonnen sind, haben sie von großer Sünde und so geschrieben. Aber Inge hat gesagt, lieber würde sie Pappe essen, so schrecklich sei das Zeug. Und wenn sie von dieser Schule müsste, so wäre das auch nicht so schlimm, die Schwestern wären auch nicht alle gerecht.

      Die Mädchen aus Auenheim haben zuhause Bauernhöfe. Da bringen sie den Nonnen mal ein paar Eier, mal `ne Wurst oder einen Schinken mit. Annemarie Neumann hat neulich ihr Gedicht nicht gekonnt und unsere Inge konnte es ganz auswendig. Ich weiß das, weil sie es mir so schön dramatisch vorgetragen hat. Es war furchtbar lang und hieß „Der Knabe im Moor“. Sie hat das mit rollenden Augen gemacht und mit wilden Zuckungen, sodass mir ganz unheimlich wurde. Sie will später mal Schauspielerin werden. Jedenfalls hat sie für das Gedicht nur eine Drei eingetragen bekommen und die Annemarie, die nur so rumgestottert hat, ein Zwei! Aber, die haben auch einen großen Bauernhof. Sie brachte der Schwester Innozenz auch gerade an diesem Tag eine große Salami für das Gedicht mit.

      Ich werfe meine Schulspeisung nie weg. Wir bekommen sie zwar auch von christlichen Seelen gespendet, aber die sind in Amerika. Komisch, ich glaube, die Amerikaner wissen besser, was Kinder mögen. Wir bekommen eine kleine Flasche Milch mit Strohhalm und ein Sandwich mit Schinken oder Erdnussbutter. Manchmal ist noch ein Riegel Schokolade dabei. Neulich gab es nur die Milch und statt des Brotes für jeden ganze fünf Rollen Drops. Wir haben uns alle riesig gefreut.

      Es gibt also auch schöne Tage in der Schule. Am schönsten sind die Pausen. Da sitzen wir, die Gisi, die Ursel, die Barbara und ihre Schwester Maria, meistens auf der Bank im Schulgarten und spielen „Taler, Taler, du musst wandern“. Oder an der Wand hinter der Treppe „Abends, wenn der Mond scheint“. Das spiele ich besonders gern.

      In der Schule kenne ich Paul kaum, weil er mich da auch nicht näher kennen will. Die Jungen sind ja alle blöd. Die sagen aber wieder über uns „Die blöden Kebsweiber“. Das ist alles andere als nett; denn ich bin kein Kebsweib und will auch nie eins werden. Meine Freundinnen auch nicht. Ich habe Mama gefragt, was ein Kebsweib ist, aber sie sagte nur, das brauchte ich noch nicht zu wissen.

      Paul und ich sind aber nach wie vor dauernd zusammen. Wenn wir auf dem Hof spielen und seine Mutter ruft ihn, verstecken wir uns meistens in dem Baumhaus, das er gebaut hat. Da kommt Frau Wolf nicht hoch. Wenn sie ihn aber vorher erwischt, schickt sie ihn meistens zum Einkaufen. Er will aber nicht zum Braun. Da nimmt sie den Besen und versucht, ihn damit zu verhauen. Er ist aber sehr flink und entkommt dem Besen meistens. Da rennt er vorneweg, Frau Wolf mit dem Besen hinterher. Meistens langen sie gleichzeitig beim Braun an. Ich finde, da hätte Frau Wolf gleich selber einkaufen gehen können.

      Bei ihm im Hof kann man wunderbar spielen. Wolfs haben ein Haus ganz für sich. Nur Tante Hermine wohnt im ersten Stock mit ihren Hunden und einem Mann, der jünger und sehr nett ist. Mit dem Mann, der bei den Amis arbeitet, ist sie nicht verheiratet. Meine Mutter hat mir aber erklärt, dass sie das darf, da sie Witwe ist und sonst kein Geld von ihrem Mann bekäme. Ich habe das nicht ganz verstanden, aber das ist uns auch egal.

      Aus unserer Klasse kommen noch mehr zum Spielen hin. Im Hof kann man Murmeln spielen und auf Stelzen laufen. Manchmal kochen wir eine Suppe. Die Zutaten holen wir uns aus Wolfs Garten. Nachdem wir die Tomaten, Radieschen, Gurken und Kohlrabis in eine Schüssel mit Wasser geschnippelt haben, müssen wir die Suppe meistens wegwerfen. Niemand will sie essen.

      Manchmal zeichnen wir uns mit Stöcken Wohnungen. Da spielen wir Hausfrauen. Es gibt aber nur einen Handfeger bei Wolfs und der steht mir zu. Neulich wollte Paul ihn für die länger als für jede Hausfrau vorgeschriebene Zeit der Barbara überlassen. Das hat mich richtig geärgert. Ich habe Paul ganz klar gesagt, dass ich heimginge, wenn ich den Besen nicht bekäme. Da hat er ihn der Barbara abgenommen. Das war ja auch richtig; denn ich bin ja immer noch seine beste Freundin.

       Der Lack ist ab

      Wir haben uns Boote gebaut. Richtige Holzkästen haben wir im Wald gefunden, bei dem großen Bombentrichter. Die schleppten wir alle zum Biergraben. Voran der Helmut Holler. Ich kann den nicht ausstehen, weil er immer so angibt. Dabei ist er schon so groß, dass er in die dritte Klasse geht und das schon zum zweiten Mal. Er kann mich auch nicht leiden und hat mir schon ein paarmal aufgelauert und mich verhauen. Aber heute war er ganz freundlich zu mir. Wir bildeten eine Flotte und Helmut war der Kapitän. Als wir die Boote auf dem Wasser hatten, gab er das Kommando, das wir uns reinsetzen und lospaddeln sollten. Als Paddeln haben wir Stöcke genommen. Kaum saß ich in meiner Kiste, gab mir der gemeine Kerl einen Stoß und ich versank samt Boot auf den Grund des Baches. Völlig durchnässt und entsetzlich wütend ging ich heim. Die anderen haben sich halb totgelacht über mich. Sogar der Edgar von über uns.

      „Aber ich kann doch nichts dazu“, schluchzte ich. „Der Helmut Holler hat mich doch in den Biergraben gestoßen, der gemeine Kerl!“

      Mama schnäuzte sich und guckte grimmig. „Ist das wahr?“

      „Aber ja, der verhaut mich auch manchmal. Er lauert mir auf dem Schulweg auf, dabei ist er doch viel größer als ich.“

      „Dann gehen wir jetzt zu seiner Mutter, so, wie Du bist. Komm!“

      Frau Holler wohnt mit Helmut und Hildegard, seiner Schwester, die auch in meine Klasse geht, im Nachbarhaus. Zwischen den beiden Häusern ist die Wiese. Eigentlich gehört Hildegard zu den Kindern, mit denen ich nicht spielen darf. Meistens sind das gerade die interessantesten Kinder, aber mit Hildegard spiele ich tatsächlich nicht. Nicht mal der Edgar, obwohl sie seine Cousine ist. Ich weiß nicht, warum das so ist, denn wir sind uns auch nicht böse.

      Sie wohnen unterm Dach, in der Mansarde. Frau Holler ist sehr schmal, sehr dunkel und sehr leise. Sie lässt uns an der Tür stehen und hört meiner Mutter ruhig zu, die meine Schuhe von ihr bezahlt haben will. „Es tut mir leid, Frau Scholl, dass dies passiert ist, aber Kinder sind Kinder. Und ich bekomme so wenig Unterhalt von meinem Mann, dass ich sowieso nicht weiß, wie wir über die Runden kommen sollen. Auf Wiedersehen!“ Die Tür war zu und Mama fiel die Kinnlade herab. Sie brachte keinen Ton heraus. Ich zerrte an ihr und wir gingen schweigend die Treppen runter.

      „Ich will´s nicht wieder machen, dass so was draus wird und die Schuhe