Adolph Freiherr von Knigge
KNIGGE: Über Eigennutz und Undank
Ein Gegenstück zu dem Buche: Über den Umgang mit [den] Menschen
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Inhaltsverzeichnis
Ueber Eigennutz und Undank
Ein Gegenstück zu dem Buche: Ueber den Umgang mit Menschen
Dem uneigennützigen, Dank verdienenden Menschenfreunde, Herrn
Doctor Reimarus, in Hamburg, widmet dieses Buch über Eigennutz
und Undank der Verfasser.
Vorrede.
Nicht ohne Mistrauen wage ich die öffentliche
Bekanntmachung dieser Schrift, welche die
Untersuchung einiger Gegenstände der Sittenlehre zum
Zwecke hat. Der größte Theil des heutigen Publicums
pflegt keinen Geschmack an ernsthaften Abhandlungen
von der Art zu finden, sondern wenigstens zu verlangen,
daß die moralischen Lehren in das gefällige Gewand eines
Romans gehüllt, oder sonst hinter irgend einer reizenden
Bekleidung versteckt, erscheinen sollen. Mehr als Eine
Ursache aber hat mich diesmal abgehalten, eine andre
Form, als die der ungeschmückten Darstellung, zu
wählen. Es ist unmöglich, Leser, die ohne Unterlaß
Neuheit in Materie und Einkleidung fordern, zu allen
Zeiten zu befriedigen. Nicht jeder Stoff verträgt eine
solche Bearbeitung, ohne an seiner Würde zu verliehren
und in einem gewissen Alter fehlt auch oft dem
Schriftsteller diejenige Geschmeidigkeit und
Lebhaftigkeit, die erfordert wird, um sich nach allen
Umwandlungen der Mode zu richten und von der
Phantasie eine günstige Aufnahme für das, was die
Vernunft hergiebt, zu gewinnen. Neue Entdeckungen in
dem Gebiethe der Sittenlehre zu machen, ist wohl unsern
Zeiten nicht mehr vorbehalten; daß aber manche
moralische Vorschriften noch nicht zu oft sind in
Erinnerung gebracht worden, beweiset leider! die
schlechte Befolgung dieser Vorschriften. Eigennutz und
Undank sind Laster, über die man, bey dem mit dem
Luxus zugleich einreißenden Sittenverderbnisse, häufig
klagen hört. Habe ich diese Gegenstände nicht so
behandeln können, daß ich auf den Beyfall aller Leser
rechnen darf; so läßt mich doch die gute Aufnahme
meines Buchs über den Umgang mit Menschen, das in
derselben Manier geschrieben ist, hoffen, nicht allgemein
zu misfallen.
Bremen,
im September, 1795.
Knigge.
Erste Haupt-Abtheilung
Ueber den Eigennutz
Le soin d'avancer, autant qu'il est en notre pouvoir, le bien
commun de tout le système des agens raisonnables, sert à procurer,
autant qu'il dépend de nous, le bien de chacune de ses parties, dans
lequel est renfermée notre propre félicité, puisque chacun de nous est
une de ces parties. D'où il s'ensuit, que les actions, contraires à ce
désir produisent des effets opposés, et par conséquent entraînent notre
misère aussi bien que celle des autrer.
Traité philosophique des loix naturelles, par Cumberland,
traduit par Barbeyrac. Amsterd. 1744. Discours prélimin. de
l'auteur, §. IX pag. 11.
Kapitel 1
Erster Abschnitt.
Von den Bewegungsgründen welche den Menschen zu
moralischen Handlungen bestimmen und in wie fern
dabey die Beförderung seines eigenen Nutzens und seiner
Glückseligkeit die Haupt-Triebfeder sey und seyn dürfe.
1.
Ist es wahr, daß die Haupt-Triebfeder aller menschlichen
Handlungen der Eigennutz, und daß auch da, wo
großmüthige Aufopferungen jenen Vorwurf zu
widerlegen scheinen, dennoch die Beförderung des
eignen Vergnügens des eignen Genusses, des eignen,
wahren oder eingebildeten Glücks, heimlich im Spiele
sey? Oder vermag der Mensch in seinem irdischen,
sinnlichen Zustande, nach höhern Bewegungsgründen,
nach angebohrnen, unwandelbaren Gesetzen zu handeln,
die, fern von aller Rücksicht auf seinen individuellen
Zustand, nur die Ausübung des reinen Guten, nur die
Erfüllung der Pflicht, ohne Absehn auf Erfolg und
Nützlichkeit, zum Gegenstande haben? Ist dies allein
Tugend zu nennen und darf nur der auf moralische
Vollkommenheit Anspruch machen, der nach solchen
Motiven handelt, die in allen Lagen, in allen
Verhältnissen, was für Folgen auch daraus entspringen
mögten, wie allgemeine Gesetze betrachtet werden
müssen? Giebt es endlich solche Bewegungsgründe? –
das sind Fragen, die seit einiger Zeit wieder so oft unter
den Philosophen zur Sprache kommen, daß es wohl der
Mühe werth scheint, ohne Systemgeist und ohne
Vorurtheil, mit der Fackel der Vernunft, noch einmal
diesen Gegenstand zu beleuchten, der vielleicht längst