hör nicht richtig, als er mir vorschlug, seine Wohnung zu übernehmen – er und Steffen zögen in ein Haus an der Elbe. „Deine Bude ist mir zu teuer“, brummte ich. „Und wenn ich sie dir bezahle?“ „
Wovon denn ...?“ „Na, wart nur ab, bald verdiene ich mindestens das Dreifache“, bluffte er – aufgebäumt wie ein Orang-Utan. Ich lachte gehässig. „Da freu dich mal nicht zu früh, meen Jung! Bring ma’ lieber eigenständig was auf die Beine. Was, worauf du stolz sein kannst. Und lass dir sagen: Ich werde mich
im Leben nicht drauf einlassen, mich finanziell von ’nem Kerl abhängig zu machen!“ Bisher konnten wir kein einziges Mal gemeinsam in’ Urlaub fliegen, weil Pascal seine Kohle für „wichtigere“ Dinge zum Fenster rauswirft. Zum Beispiel für ein aufwendiges
Cover Up, mit dem er den Namen seiner Ex übertätowieren ließ, für Klamotten und Fitnessgeräte. Auf mein Bedauern hin folgte der Satz: „Bevor ich mein Geld für
dich ausgebe, gebe ich’s lieber für
mich aus!“ Zurück zur Insolvenzauflösung. Paschi setzte seine Exfrau darüber in Kenntnis, nun nachträglich für die jahrelang nicht erfolgte Kindesunterhaltszahlung, die sie selbstverständlich eingeklagt hatte, aufzukommen und ihr 10.000 Euro zu überweisen. Bei der Gelegenheit fragte er, was aus der Adoption geworden wäre (vor dieser ist man nämlich Pflegekind). Als sie ihm mitteilte, dass ihr Mann längst offizieller Vater seiner Kids sei, jubelte er: „Juhu, jetzt hab ich keine Kinder mehr!“ Ich war fassungslos. Ein Glück, dass ich kein Bedürfnis verspüre, mich jemals von schreienden Windelkackern oder durch Heirat um meine Freiheit bringen zu lassen. Ich male mir die Rente und mein Abnippeln eher so aus: Einsam, aber zufrieden in Spanien rauchend auf einer kleinen Veranda mit Meerblick aus Altersschwäche beim Schreiben einschlafen ... Momentan geht’s mir schlecht, weil ich im Zwiespalt bin. Sobald ich labiler werde, fällt es mir
noch schwerer, Nein zu sagen und Grenzen zu setzen. Eigentlich hatte ich ursprünglich im Sinn gehabt, meine Ferien in erster Linie für
mich zu nutzen. Stattdessen haben Paschi und ich fast zwei Wochen lang aufeinandergehockt. Aus Angst vor dem Alleinsein ging ich auf sein Nähegesuch ein. An dieser Nähe erstickte ich allerdings. Denn er hing wie eine Klette an meinem Rockzipfel, offenbarte mir sekündlich seine lovely feelings, schwärmte entflammt, wie wundervoll unsere Beziehung sei, und küsste mich pausenlos. Parallel dazu lagen wir furzend in Jogginghosen nebeneinander vorm Fernseher. Er fraß Tafeln Schokolade, von denen er ständig aufstoßen musste. Müde dachte ich daran, wie sehr wir uns gehen lassen und dass ich aufhöre, Lust zu empfinden. Ganz besonders dann, wenn mir aufgrund der vielen Eier, die er gegessen hat, ’ne Mundgulliwolke entgegenweht. Das Sexleben ist eingeschlafen. Hatte ohnehin was von poppenden Nilpferden. Er weiß, dass ich nicht besonders auf dicke Männerbäuche stehe. Trotzdem bemüht er sich nicht, diesen wieder loszuwerden, sondern behauptet stattdessen, ich sei oberflächlich und ein bisschen Speck dürfe unsere Liebe nicht beeinträchtigen. Tut’s auch nicht. Es untergräbt nur eben mein erotisches Begehren. Darüber hinaus wird meine Eigeninitiative zur Verführung durch nichts so sehr gekillt, wie durch die
wiederkehrende Absehbarkeit oder gar Ankündigung von Vögelei, der ich mich unterwerfen soll. Mich nerven seine plumpen Anspielungen, wenn er spontan seinen Schwanz auspackt, ihn wild durch die Luft schleudert und ruft: „Ich hab Druck! Macht nix, wenn ich mir vor dir ’nen runterhole, oder?“ Natürlich sieht er sich als Mann berechtigt, sein Bumsverlangen
allzeit zu befriedigen. Vor Kurzem hatte Sascha Braemer im Übel&Gefährlich aufgelegt. Auf der Party überspannte Pascal den Bogen deutlich, als er in Protz-Allüre „Boa, hier laufen echt hübsche Tussis rum!“ grölte. Und ein paar Minuten später zu ’ner Hotpants linsend: „Hab der Alten grad auf’n Arsch geguckt!“ Zu guter Letzt wollte er ohne mich dancen. Das fühlte sich verdammt scheiße an. Innerlich gärte das Gift in mir. Ich hasste ihn abgrundtief für seine Rücksichtslosigkeit, so gedankenlos und unsensibel daherzureden, obwohl er selbst mehr als empfindlich ist. Ich kam mir betrogen vor, weil ich diese Seite an ihm bisher nicht kannte. Sie war mir völlig fremd. Sonst gab er mir stets das Gefühl, die Einzige für ihn zu sein. Da stand ich direkt bei ihm und er hatte nichts Gescheiteres in der Birne, als den Weibermarkt abzuchecken! Wollte er mich
bewusst eifersüchtig machen und kränken? Hatte er Blut geleckt; bekam er Bock, ’ne andere zu pimpern? Welcher Kerl glotzt Mädels nicht aufs Hinterteil ... Nix Neues. Mach ich auch. Aber in seiner
Abwesenheit. Meine Ansprache speiste er mit dem Kommentar „Ey, was stellst du dich so an?!“ ab. Kann mich gut an seinen Geburtstag erinnern. Wir warteten in der Schlange vorm Waagenbau – ich unterhielt mich für wenige Minuten mit ’nem Typen, der wissen wollte, ob ich Pillen verkaufe. Pascal rastete komplett aus. Wenn er betrunken ist, kann er ziemlich ekelig werden. Freundlich forderte ich ihn auf, mich nicht so anzuschreien. Ich würde mir von ihm nicht sagen lassen, mit wem ich zu sprechen habe und mit wem nicht. Er schrie weiter, also verlangte ich seine Schlüssel. „Merkst du noch was?“ – bei dieser Art reißt mir generell der Geduldsfaden. Ich rannte los zu seiner Wohnung, um meine Sachen zu packen, und war froh, als ich mein Zuhause (wir wohnen nicht weit voneinander entfernt) erreichte. Bald darauf schlug er gegen das Terrassenfenster und flehte, ihm aufzumachen. Ich drückte mein Gesicht in die Kissen und hielt den Atem an, bis er weg war. Der Fall im Übel&Gefährlich hat Spuren hinterlassen. Er bedrückt mich ganz besonders heute, am Tag der bevorstehenden Silvesternacht. Ich habe immer gehofft, dass uns Interessantmachspiele erspart bleiben würden und ich bei ihm nie einen Grund hätte, mir Sorgen um Untreue zu machen, oder Gier zu verspüren, mich an ihm zu rächen. Nun wendet sich das Blatt und ich gerate in titanische Panik, ihn zu verlieren. Nichts scheint mehr sicher. Das zerreißt meine Eingeweide. Trotz allem, was mir zum Halse raushängt, ist er mein Anker. Ich bin eingelaufen, gestrandet in diesem Hafen und will den Kurs meiner Segel noch nicht wechseln. Zugleich gebe ich mich auf. Wie immer. Großzügig und vertrauensvoll lasse ich ihn mit seinen Kumpels um die Häuser ziehen. Aber mir labert er das Feiern mit meinen Freundinnen so lange madig, bis ich einknicke und verzichte.
Wut Allmählich verlässt mich die Geduld und packt mich die Wut, Schneiden sich Aggressionen ins Fleisch, ersaufen im Blut. Kann deine Liebe und Vereinnahmung nicht mehr ertragen, Würd’ aus Verzweiflung am liebsten gegen Mauern schlagen. Ewig korrigierst du mich, machst dir ein falsches Bild von mir, Bin sicher, dass ich deine Kritik keinen Tag länger akzeptier’. Das Seil, das uns einst verband, ist zerschlissen, nun gerissen, Wann hörst du endlich auf, mich zu lieben, mich zu vermissen? Glaubst du ernsthaft, mich in- und auswendig zu kennen? Dann sollten sich vielleicht besser unsere Wege trennen. Denn – wie es scheint – weißt du rein gar nichts über mich, Ich war doch von Anfang an lediglich eine Illusion für dich. Wie konnt’ ich nur so naiv sein, dich für loyal zu halten, Wo du jetzt beweist, dauernd auf Durchzug zu schalten. Wieder einmal wurd’ ich enttäuscht von einem Mann, Der mit meinem Charakter nicht umgehen kann. Zu träumen ist der beste Weg, um der Realität zu entfliehen. Ich tagträume viel, wenn ich verletzt bin. Dann versetze ich mich zurück in die Vergangenheit. In Situationen hinein, in denen es mir gelang, auch ohne Alkohol und Drogen unbeschwert zu tanzen. Zeiten, in denen meine dunklen Launen seltener aufkamen, kaum konstant blieben. Nachts holen mich Träume ein, die ich, wenn ich aufwache, probiere weiterzuträumen. Weil ich oft Verflossenen begegne, die ich nicht haben konnte, nicht vergessen kann. Nach solchen Träumen quält mich eine Sehnsucht, die mich traurig und melancholisch stimmt, weil sie mich als eine andere wiederbeleben. Als eine, die ich war und nie mehr sein werde. Ich bin eine Erinnerin und Bewahrerin.
Ausnahmezustand
4. Januar 2016 Mein Ergebnis beim Bleigießen Vorsicht Hinterhalt! Bleiben Sie standhaft, und halten Sie nicht an ausweglosen Dingen fest wird jetzt mein Motto für dieses Jahr. Silvester verlief zu meiner Erleichterung reibungslos. Paschi und ich tranken mit Steffen vor, jagten ein paar Böller ins All und sahen uns das bunte Feuerwerk an. Nach Mitternacht zogen wir zu zweit weiter ins Waagenbau und verschmolzen im Rausch elektronischer Klänge. Durch das Speed, das wir reichlich gezogen hatten, waren wir aufgedreht. Zwischendurch wurden wir von kleinen Tiefs eingeholt, in denen wir spürten, dass unsere Energie nachließ und die Glieder erschlafften. Ich wollte und konnte aber nicht aufhören zu tanzen und bemühte mich, Paschi mit meiner Ausdauer anzustecken. Das war nicht einfach, daher lästig. Außerdem behielt er mich so penetrant im Blick, dass ich mich gezwungen fühlte, ihm ständig demonstrieren zu müssen, ja nicht mit anderen zu flirten und ausschließlich Augen für ihn zu haben.