Der Diktator oder Mr. Parham wird allmächtig. H. G. Wells. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: H. G. Wells
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783746744438
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von Champagner da getrunken worden waren! Üppigkeit.

      Er malte sich ein Bild aus: Seine eigene Person, die Sir Bussy nahezu feierlich ein kleines Buch überreicht. »Hier«, sagte er dazu, »ist ein Buch, das Sie zum Nachdenken anregen wird. Ich weiß, es wäre zu viel verlangt, wenn ich Sie bäte, es ganz durchzulesen, so kurz es auch ist; aber lesen Sie wenigstens den Titel: Die unsterbliche Vergangenheit. Sagt Ihnen nicht der schon allerlei?«

      Er sah sich ernst dastehen, während Sir Bussy mit bedrückter Miene an ihm vorbeizugelangen strebte.

      In dem Begriff Üppigkeit ist auch der Hinweis auf ein Gutteil ungebrochener ursprünglicher Kraft enthalten. Tief unter all dieser bunten Nichtigkeit, dem leichtsinnigen Getriebe, unter Champagnergelagen und Jazztanz, unter diesen Festen, auf denen miteinander unvereinbare soziale Elemente sich sorglos zusammenfanden, lag der ewig beständige Kern des menschlichen Daseins verborgen, lagen harte Arbeit, Zielbewußtheit, Rangunterschiede, Loyalität, notwendiger Zwang. An der Oberfläche mochte ein Fragonard mit einem Schuß Negerblut als wahrer Lebenskünstler erscheinen, in der Tiefe aber arbeiteten ernste Geister an der Gestaltung einer großen Zukunft. Regierungen und auswärtige Ämter waren ja immer noch am Werk; Soldaten sammelten sich in den Kasernen, und große Kriegsschiffe pflügten unbarmherzig die vergeblich gegen sie anstürmenden Wogen. Religionslehrer predigten immer noch Treue und Gehorsam; Kaufleute schickten ihre Handelsschiffe über das Meer und in den Fabriken brauten sich soziale Kämpfe zusammen. Dieser Winter mochte ernste wirtschaftliche Schwierigkeiten bringen. »Das grimmige Gespenst der Not.« Sir Bussy lebte in einer erträumten Welt des ununterbrochenen Genießens. Doch alle Träume nehmen einmal ein Ende.

      Es war, als ob der Geist der Hebräischen Propheten in Mr. Parham gefahren sei. Er sah sich auf dem Wege nach einer Kapelle, in der sich die Angehörigen irgend einer dunklen Sekte versammelten, Männer mit strengen, ernsten Gesichtern. Einer nach dem anderen kamen sie in die düstere Seitenstraße, in der die Kapelle lag, während hoch über dem unscheinbaren Gebäude der feurig rote Planet Mars den Himmel regierte. Die Musikkapelle in seinem schmerzenden Kopf spielte immer wildere, immer drohendere Weisen.

      »Wahrhaftig«, flüsterte er. »Seid reuig … Ja.

      Die heiligen Kräfte des Lebens sammeln sich unbemerkt, aber sicher, sie bereiten sich, die Posaunen zu blasen, wenn die Zeit gekommen ist, bereiten sich, die hohle Welt zu neuen Taten und großen Entschlüssen anzuspornen, sie werden die Fahne entfalten, sie werden die Seelen der Menschen erheben und prüfen, werden ihnen Opfer und Leiden auferlegen, um sie zu adeln.«

      Klagend mußte dann die Menge nach einem Führer rufen. Und konnten Männer wie Sir Bussy ihre Führer sein?

      »Ich wollte Ihnen zur Seite stehen«, würde Mr. Parham dann sagen. »Ich wollte Ihnen zur Seite stehen.«

      Eine Zeitlang erblickte Mr. Parhams geistiges Auge nichts als marschierende Truppen, Scharen über Scharen, Regimenter und Kompagnien. Sie marschierten zu den Klängen der Negermusik, marschierten und verschwanden in der Ferne. Und die Musik wurde immer leiser.

      Mr. Parhams Antlitz wurde in der Dunkelheit fest, ruhig und gelassen. Ernste Entschlossenheit erhob sich über dem kummervollen Getriebe seiner Gedanken und zwang sie nieder. Der Champagner machte einen letzten schwachen Versuch der Auflehnung.

      Gleich darauf gaben seine Lippen nach: Der Mund öffnete sich ein wenig …

      Tiefe regelmäßige Atemzüge, die alsbald ein sägendes Geräusch verursachten, belehrten die Maus hinter der Wandleiste, daß Mr. Parham eingeschlafen war.

      5

      Auf gewundenen Pfaden

      Auf solche Art hob die Freundschaft zwischen Mr. Parham und Sir Bussy Woodcock an. Sie sollte nahezu sechs Jahre dauern. Die beiden Männer hatten ebenso viel Anziehendes wie Abstoßendes für einander, und vielleicht hielt gerade diese Tatsache ihre Verbindung aufrecht. Im allgemeinen empfand Mr. Parham die Beziehung als ein Bemühen seinerseits, den so merkwürdig begabten und erfolgreichen Abenteurer zu der Parhamschen Weltanschauung zu bekehren, ihn in die Politik zu verwickeln und ihm ratend und leitend zur Seite zu stehen, sowie diese politische Betätigung Schwierigkeiten bieten würde, ihn zu einer bedeutenden Gestalt in der Geschichte des britischen Imperiums und der Welt zu machen – zu einer bedeutenden Gestalt mit einem Zwillingsstern. Im besonderen aber sollte die Beziehung Mr. Parham finanzielle Unterstützung bringen, sollte ihn und eine Gruppe von Schriftstellern und Universitätsprofessoren, die er um sich zu sammeln gedachte, instand setzen, die Welt so weiter zu steuern, wie sie immer gesteuert worden war. Wenn einst die Geschichte der nächsten fünfzig Jahre geschrieben werden würde, sollten die Leute sagen: »Hier hat Parham die Hand im Spiele gehabt« oder: »Das war einer von Parhams Anhängern«. Doch wie schwer war es, dieses Finanz-Rhinozeros, wie Parham seinen Freund mitunter insgeheim nannte, zur klaren Erkenntnis irgend einer Aufgabe zu bringen und es eine Politik verstehen zu lehren, die über das nunmehr fast schon automatisch gewordene Verfahren des Aufkaufens und mit Profit Wiederverkaufens hinausging.

      Zu Zeiten schien der Kerl völlig rückgratlos, ein leichtsinniger Verschwender, der mehr Geld zu machen imstande war, als er hinauswarf. Er sagte: »Nu! Jetzt will ich einmal einen Spaß haben«, und dann mußte man entweder auf seine Gesellschaft verzichten oder ihm nach den seltsamsten und absonderlichsten Winkeln der Welt folgen.

      Mr. Parham erlebte Zeiten, da er schwer verärgert war, aber auch solche, die ihn zu den besten Hoffnungen berechtigten. Ganz plötzlich begann Sir Bussy mitunter über politische Parteien zu sprechen, und das mit einem Wissen und einem Scharfsinn, die seinen Freund in Erstaunen versetzten. »Es wäre ein Spaß, ihnen allen den Garaus zu machen«, pflegte er dann zu sagen. Auch legte er in einem Gespräch über Rothermere, Beaverbrook, Burnham und Riddell ein Interesse an den Tag, in das sich etwas wie Neid zu mischen schien. Doch alle diese Gespräche fanden zu später Nachtstunde statt, andere Leute – verdächtige Leute – waren anwesend, und Mr. Parham fand keine Möglichkeit, einen bestimmten Vorschlag zu machen.

      Mit einem Schlage wirbelte dann die ganze Gesellschaft wieder davon, wie dürre Blätter im Sturmwind. Auf einer großen gemieteten Jacht ging’s nach der Ostsee, nach Maine, Neufundland und dem St. Lorenzostrom. Die sonderbarsten Leute befanden sich an Bord. Oder Mr. Parham sah sich eines schönen Tages in die Betrachtung des Mittelmeers versunken, und das von einem Nizzaer Hotel aus, in dem Sir Bussy für die Weihnachtsferien ein ganzes Stockwerk gemietet hatte. Und mitunter kam Sir Bussy ganz unerwartet zu seinem Mentor, und es leuchtete so viel tatenlustige Wißbegier aus seinem Blick, daß Mr. Parham meinte, nun sei der Augenblick gekommen. Einmal lud er ihn ganz unvermittelt zu einem Theaterbesuche zu zweien in Monte Carlo ein; ein andermal kam er in London ebenso bescheiden zu Mr. Parham und forderte ihn auf, sich mit ihm das Lener-Quartett anzuhören.

      »Hübsch«, sagte Sir Bussy, als sie den Konzertsaal verließen. »Eine hübsche Musik. Sie beruhigt einen und heitert einen auf. Ja, noch mehr. Es ist …« sein armer, ungebildeter Geist, dem keinerlei klassische Vergleiche zur Verfügung standen, suchte nach einem Bilde, »es ist, als ob man den Kopf in ein Kaninchenloch steckte und Klänge aus einer unterirdischen Märchenwelt hörte. Aus einer Welt, die es nicht gibt. Und Sie – bedeutet Ihnen die Musik noch mehr?«

      »Oh!« stöhnte Mr. Parham. »Sie läßt uns den Himmel ahnen!«

      »Nu!«

      »Der heutige Abend hat uns erhoben und edler gemacht.«

      »Ja? Ich weiß nicht. Es ist, als ob die Musik einem etwas sagen wollte, aber sagt sie einem wirklich etwas? Sie wird lebendig und fröhlich ohne Grund, so wie man in Träumen lebendig und fröhlich wird; und dann ist sie plötzlich wieder traurig und zart, man weiß ebenso wenig, warum. Im Märchenland wird ein toter Käfer begraben. Sie weckt allerlei Erinnerungen in einem – Gedanken, die zu Melodie und Rhythmus passen. Aber das Ganze hat keinen Zweck. Sie gibt einem nichts Wirkliches. Führt einen nirgends hin. Sie ist ein Genuß wie das Rauchen, etwas feiner vielleicht«, meinte Sir Bussy.

      Mr. Parham zuckte die Achseln. Dem Barbaren war nicht zu helfen.

      Ein Satz jedoch blieb in Mr. Parhams Gedächtnis haften. »Sie führt einen nirgends hin«, hatte