Der Kampf der Balinen. Kathrin-Silvia Kunze. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Kathrin-Silvia Kunze
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738002126
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noch immer Augen von so frischem Grün, als wären es junge Blätter. Seline sah, das Wawelaa sich abgewandt hatte und nun bei einer Gruppe alter, knorrig verwachsener Bäume stand. Wawelaa goss Wasser in den Trog, aus dem sie zuvor die heilende Erde verteilt hatte und mengte dann mit der Hand darin herum. Schließlich griff die Alte in den Trog und hob eine Handvoll dunkelbraunem, fettig glänzendem Schlamm empor. Diesen Brei aus heilender Erde trug sie dann auf die Rinde der Bäume auf und verteilte sie indem sie mit den Händen am Stamm auf und ab rieb. Bestimmt haben sie Risse oder Wunden, vermutete Seline. „Träumst du?“, fragte plötzlich eine dunkle Stimme hinter ihr. Erschrocken fuhr Seline herum. „Trahil! Du hast mich zu Tode erschreckt!“, tadelte Seline ihren alten, väterlichen Freund. Trahil lachte und sagte dann, noch immer breit grinsend: „Eigentlich bin ich auf dem Weg zu Wawelaa. Aber da habe ich dich hier gesehen. Und da bin ich extra vorbei gekommen um dir kurz zu sagen, dass du die Maisstengel heute so stark gießt, als wären es Wasserlinsen. Oh nein, rief Seline verzweifelt und blickte auf die Überschwemmung, die sie innerhalb der Nahrungspflanzen erzeugt hatte. „Oder wolltest du womöglich einen kleinen See hier im Zentralgarten anlegen?“, feixte Trahil. „Aber so etwas kann man doch in Ruhe mit dem Rat besprechen Seline. Das muss man doch nicht so eigenwillig überstürzen.“ Seline hätte ihm schon die passende Antwort auf seine Frechheit gegeben, aber ihr fehlte im Moment die Zeit dazu. Beherzt griff sie nach dem Holzkegel, damit dieser seine Bewegung sofort einstellen sollte. Das war jedoch nicht ganz so einfach wie gedacht. Denn zum einen war er aus sehr schwerem Holz und zum anderen, einmal aus dem Gleichgewicht gebracht, nur langsam wieder zu beruhigen. Doch Seline war nicht nur nett und verträumt, sie hatte auch einen Willen wie eine Herde von Limtaanen. So griff sie noch einmal mit aller Kraft zu, und wirklich, der Holzkegel kam zum Stillstand. Allerdings wirkte nun der ruckartige Halt auf die Spule zurück und gab damit auch dem Seil einen kräftigen Ruck. Die Tongefäße wurden dadurch in Schwingung versetzt und begannen gefährlich stark gegeneinander zu stoßen. Trahil, der alles im Hintergrund beobachtete, versuchte vernehmlich sein Lachen zu unterdrücken. Doch Seline war nun so wütend, eigentlich vor allem auf sich selbst, dass sie anfing bedrohlich zu knurren. Sofort schluckte Trahil sein Lachen wohlweißlich hinunter und begnügte sich damit, den neuen See im Zentralgarten zu bewundern, der so schön in der Sonne glitzerte. Seline jedoch war zutiefst betrübt. Kleinlaut sagte sie: „Danke Trahil. Ohne dich, hätte ich womöglich noch das Rathaus überflutet.“ Missmutig blickte Seline auf das große, stolze, rote Kuppelgebäude zu ihrer Linken. „Nun beruhige dich wieder mein Kind.“, schimpfte Trahil. „Sag mir, welches Lebewesen unter der Sonne niemals einen Fehler macht?!“ Diese war eine Frage, die keiner Antwort bedurfte. Und doch war Seline noch gereizt und deshalb gab sie mürrisch zurück: „Du?“ „Oh weh.“, lachte Trahil laut auf. „Da hast du dir ja genau den Richtigen ausgewählt!“ Und in Erinnerungen an die mannigfaltigen Fehler eines langen Lebens schwelgend, lächelte Trahil versonnen vor sich hin. Der Anblick ihres Ziehvaters war dabei so rührend, dass Seline gegen ihren Willen auch lächeln musste. Dann wandte Trahil sich ihr wieder zu. Durch ihr Lächeln hindurch, erkannte er die Sorgen, die sich in ihren Blick eingegraben hatten. Trahil seufzte. Er wusste, dass der Rat von Melan, Seline schon sehr früh eine schwere Last aufgebürdet hatte. Aber ihre Fähigkeiten waren schon jetzt so ausgeprägt, das es trotz allem, keine bessere Wahl hätte geben können. Denn als erwählte Empathin profitierten nicht nur die Balinen in Melan von Selines Können. Gleichzeitig genoss sie auch den Schutz, ihren emotionalen Fähigkeiten freien Lauf lassen zu könne. Was ihr womöglich auf einem anderen Lebensweg gar nicht möglich gewesen wäre, oder sie zumindest behindert hätte. Seline stand still da und sah Trahil erwartungsvoll an. Sie ist noch so jung, lächelte Trahil liebevoll. Sie wird an ihren Aufgaben wachsen. „Mein Kind.“ begann Trahil seine Rede. Er legte eine Hand auf Selines Schulter und zog sie an seine Seite. In der anderen Hand hielt er einen großen, hellbraunen, glatten Holzstab. Das Zeichen des Ratsältesten. Sein nachtschwarzes, langes, glattes Haar, hatte im Sonnenlicht einen blauen Schimmer und seine dunklen, schwarzen Augen, waren voller Liebe, als er sprach. „Das Leben ist so, als schwimme man in einem Fluss, Seline. Mal schäumt er wild und rau, mal fließt er ruhig und sanft dahin. Und du musst seinem Lauf folgen. Wenn du nun aber in diesem Fluss des Lebens an Hindernisse stößt, so achte nur darauf, dich über Wasser, an der Oberfläche zu halten, damit du atmen kannst. Aber wehre dich nicht gegen die Hindernisse, kämpfe nicht gegen sie an. Nein, beschwere dich noch nicht einmal über diese Hindernisse, wenn du kannst. Denn nur wenn du alles fließen lässt und dich dem Wasser hingibst, bleibt dir auch die Zeit, um dich an den Schönheiten am Ufer, an denen du vorbei kommst, zu erfreuen. Denn bedenke, der Fluss gehört nicht dir, er gehört einem anderen. Und du bist auch nicht dieser Fluss, du bist nur ein Teil des Wassers!“ Nachdem er das gesagt hatte, drückte Trahil ihr noch einmal sanft die Schulter, wand sich um und ging in Richtung Wawelaa, davon. Seline sah ihm nach. Vor ihrem geistigen Auge sah sie den Fluss und sich selbst, wie sie darin trieb. Das machte sie für einen Moment nachdenklich. Schließlich sagte sie leise vor sich hin: “Ich glaube, ich verstehe.“ Seline fühlte, wie tief empfundener Frieden in ihren Geist einströmte. Sie atmete tief und langsam. Mit jedem Ausatmen ließ sie ihren Körper mehr und mehr entspannen. Und sie nahm sich vor, von nun an den Fluss fließen zu lassen. Wie wild und reißend er in manchen Teilen auch werden würde. Seline blickte noch einmal schuldbewusst zu dem kleinen See, den sie soeben erschaffen hatte. Und was sie dort sah, versetzte sie in ungläubiges Staunen. Eine Unmenge kleiner bunter Vögel hatte sich dort nieder gelassen. Sie tranken und badeten in dem unverhofften, willkommenen Nass und zwitscherten dabei laut und fröhlich vor sich hin. Lächelnd verließ Seline den Garten und dachte, ich bin gespannt, was der Flusslauf noch alles für mich bereithalten wird.

      5. Kapitel

      Der Fangzahn riss sein Maul weit auf und gab raue, kehlige Laute von sich, um den Gegner zu verängstigen. Sein muskulöser Leib war gewaltig. Auf allen Vieren lautlos schleichend, den Körper sprungbereit geduckt, hatte er die Größe eines ausgewachsenen Mannes. Die langen Kiefer offenbarten eine imposante Menge spitzer, leuchtend weißer Zähne, womit er seinem Namen alle Ehre machte. Selbst im dunklen Dickicht, das nur von einem kleinen Feuer erhellt wurde, schimmerte ein dichtes, langes Fell, mal wie die Sonne und mal wie der Mond. Trismon wusste genau, was der Fangzahn begehrte. Und deshalb brachte er sich mit einem schnellen, anmutigen Sprung, genau zwischen seinen Limtaan und den ungebetenen, gefährlichen Gast. Er muss wirklich hungrig sein, überlegte Trismon, wenn er sich so nah ein Feuer heran wagt. Aus dem Augenwinkel schätzte Trismon den Abstand von ihm aus bis zu seinem Verteidigungsstab. Denn den hatte er unvorsichtiger Weise dort hinten bei Neminns Brustgeschirr gelassen, als er den Limtaan versorgte. Trismon überlegte, ob er versuchen sollte auf den Fangzahn einzureden, um so womöglich den Geist des Tieres zu befrieden. „Hier wird es für dich heute keine Mahlzeit geben Bruder.“, begann Trismon eindringlich. „Wende dich ab und verlasse diesen Ort in Frieden! Suche dir eine leichtere Beute!“. Doch Trismon spürte sofort, dass er den Fangzahn damit nicht wirklich erreichen konnte. Das Tier hatte sich schon zu weit vorgewagt. Und er selbst war ja auch keiner der Tierempathen, die eine Verbindung zu andersartigen Lebewesen aufbauen konnten. Der Fangzahn trat nun näher an das Feuer heran, das ihn noch immer von Trismon und seiner ersehnten Beute trennte. Kaum merklich, begann er dann den Schwerpunkt seines Schulterbereiches nach unten zu verlagern. Er setzt zum Sprung an, dachte Trismon. Und machte sogleich einen Satz, bei dem er sich über Kopf nach hinten fallen ließ und mit den Händen abfing, um dann sofort wieder auf den Füßen aufzukommen. Und zwar direkt neben dem am Boden liegenden Brustgeschirr und seinem Verteidigungsstab. Mit atemberaubender Geschwindigkeit griff er nach dem Stab und war schon wieder mit einem weiteren eleganten Satz zurück am Feuer, bevor der verblüffte Fangzahn überhaupt erst zu einem Sprung gekommen war. Unwillig schüttelte das Tier nun verunsichert mit dem massigen Kopf und schnaubte. „Geh!“, grollte Trismon mit seiner dunklen Stimme und ging in die Verteidigungshaltung. Dabei vergrößerte er den Abstand seiner Beine um sicherer zu stehen, duckte seinen Oberkörper und hielt den Verteidigungsstab mit beiden Händen vor sich, quer empor gehoben in die Luft. „Ich will dir nichts tun, aber dennoch werde ich dich töten, wenn ich es muss!“ Trismon glaubte in den dunklen Augen des Tieres ein Schimmern des Verstehens zu erkennen. Natürlich. Es war das alte Gesetz der Natur. Das, in welches die Tiere seit jeher verstrickt waren und es womöglich bis zum letzten Tag allen Lebens auch immer sein würden. Es war der Kampf ums Überleben.