Lösung. Elisa Scheer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elisa Scheer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737562805
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ohne etwas zu sagen.

      „Wer war das und was hat er beigetragen?“, wollte Anne schließlich wissen.

      „Christen, der Chef von Criscom. Wenzels Arbeitgeber. Ich kenne ihn von einem früheren Fall. Sarow, erinnern Sie sich? Jedenfalls weiß nur die Personalchefin alle Einzelheiten über Wenzel, und die ist übers Wochenende verreist und hat ihr Handy nicht an, er hat´s nämlich schon wegen was anderem probiert. Aber er weiß wenigstens, dass Wenzel problematisch war und einmal in eine andere Abteilung versetzt werden musste, weil er eine Auszubildende schikaniert hat. Schikaniert und belästigt, nach dem, was Christen angedeutet hat.“

      „Das passt“, stellte Anne fest. „Der hat sich offenbar für Gottes Geschenk an die Weiber gehalten. Und dann wagt es ein Lehrling, ihn nicht für supertoll zu halten? Sakrileg!!“

      Spengler grinste. „So etwa scheint´s gelaufen zu sein. Nur war diese Auszubildende gescheit genug, nicht stumm zu leiden, sondern sich zu beschweren. Und prompt hatte Wenzel den Ärger an der Backe. Er soll ihr noch gedroht haben, sich zu rächen, und dann hat Christen persönlich ihm gesagt, wenn dieses Mädchen auch nur das kleinste Problem haben sollte, werde er dafür sorgen, dass Wenzel nie mehr einen Fuß auf den Boden kriegt. Dann war Ruhe – glaubt Christen wenigstens. Am Montag können wir uns mal in seiner neuen Abteilung umhören. Wenn er da genauso weiter gemacht hat...“

      „Es bleibt bei den Frauen“, fasste Anne zusammen. „Betrogene Ehefrau, frustrierte Geliebte, belästigte Kolleginnen, entrüstete Nachbarinnen...“

      „In jeder Spezies ist das Weibchen todbringender“, warf Joe ein und bekam eins mit einem Aktendeckel übergebraten. „Na bitte, wie ich gesagt habe!“

      „Das haben Sie provoziert, Schönberger“, stellte Spengler milde fest. „Ich schlage vor, Sie machen kurz Mittag und klappern dann die übrigen Nachbarn ab. Ich werde mich nachher in der Galerie umsehen.“

       Samstag, 16.4.2005: 13:00

      Laura betrachtete ihre kleine Wohnung – und siehe, es war gut. Sie hatte die letzten paar Tüten und Kisten ausgepackt, den Inhalt verräumt und die Verpackungen, soweit möglich, in das winzige Kellerabteil gestopft, das sie mitgemietet hatte, und nun sah die Wohnung gar nicht mehr so übel aus. Die gelben Vorhänge hingen, wenn auch notdürftig umgesäumt (in der Carolinenstraße war das Zimmer einen guten halben Meter höher gewesen), und die Sonne, die das Frühlingsnieseln endlich abgelöst hatte, tauchte den Raum in freundliches Licht. In der Küche war abgespült, der herumstehende Krempel war in dem etwas wackligen Oberschrank verschwunden, der Boden war gesaugt, das Bett in der Nische gemacht und mit der schönen gelb-orange-rot gemusterten Tagesdecke getarnt. Doch, hier konnte man es direkt aushalten.

      Außerdem – und das musste man gerade, wenn der Sommer vor der Tür stand, bedenken – hatte sie hier einen eigenen Balkon. In der Carolinenstraße hatte sie immer durch Ferdis Zimmer gemusst, wenn sie mal im Liegestuhl abhängen wollte. Und dort war der Balkon nach Norden hinausgegangen – mit Braunwerden war da nicht viel.

      Gut, das Balkönchen war knapp drei Meter lang und einsfünfzig breit, aber für einen gemütlichen Stuhl, einen Schirm und ein, zwei Pflanzen musste es reichen. Wenigstens einen Klappsessel mit einem schönen gelben Polster sollte sie sich zulegen.

      Wenn man die Bonifatiusstraße entlang fuhr, kam kurz hinter dem Chiemseeplatz ein Baumarkt, dort sollte sie sich mal umsehen. Schließlich war sie ja gar nicht so arm, wie sie sich in ihrer selbstmitleidigen Phase eingebildet hatte. Nicht so arm und nicht so arm dran! Sie sammelte noch etwas Müll ein, kramte die alte Luftpumpe aus der Kommode im Flur (auch die war in einer der unausgepackten Kisten gelegen) und machte sich auf den Weg.

      Der Vorderreifen konnte wirklich ordentlich viel Luft vertragen, aber danach sah das Rad wieder ziemlich verkehrstüchtig aus, von dem reichlich vorhandenen getrockneten Matsch mal abgesehen.

      Laura verstaute die Luftpumpe in ihrer Tasche (die klaute ihr keiner!) und schwang sich in den Sattel. Wie sie den Klappsessel auf dem Rad transportieren wollte, würde sie sich später überlegen. Notfalls musste sie eben wieder schieben, so wie gestern. Es war fast schon frühlingshaft warm, stellte sie fest, während sie die Kirchfeldener Landstraße auf dem Radweg zwischen mickrigen Bäumchen und geparkten Autos dahinrollte. Und wenn sie sich beeilte, kam sie da vorne noch über die grüne Ampel! Sie strampelte energischer und schoss über den nur halb abgesenkten Randstein. Es tat einen Schlag, und sie fand sich, mehr verblüfft als erschrocken, auf der Straße sitzend wieder.

      Erst einem Moment später nahm sie entnervtes Hupen vor ihr wahr, dann das Zuschlagen von Autotüren und die Fragen: „Haben Sie sich verletzt? Habe ich Sie touchiert? Aber ich habe doch sofort gebremst? Was fehlt Ihnen denn? Mama, warum sitzt die Frau denn auf der Straße? Ist die hingefallen?“

      Fast gleichzeitig setzte der Schmerz ein; ihr Knöchel begann heftig zu ziehen, ihre Wade brannte wie Feuer und dort, wo sie sich so abrupt hingesetzt hatte, pochte es heftig. „Was ist denn passiert?“, fragte sie ganz benommen und starrte in die Gesichter der Umgebenden.

      „Sie sind mir praktisch vors Auto gefallen“, erklärte jemand. „Aber ich habe Sie nicht angefahren!“

      „Nein“, sagte Laura unsicher, „das haben Sie auch nicht. Ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern.“

      „Amnesie!“, krähte jemand anderer von hinten. „Hat man öfters nach einem Schock!“

      „Können Sie mir mal aufhelfen?“, fragte Laura den, der sie nicht angefahren haben wollte. Er stützte sie, aber sie schrie auf, als sie versuchte, auf beiden Füßen zu stehen, und hätte sich fast wieder hingesetzt. Er half ihr sie mit eiserner Hand zu einem sehr praktischen Mäuerchen am Rand des Bürgersteigs, auf das sie sich dankbar sinken ließ, dann rief er den Notarzt, obwohl Laura protestierte.

      „Kann mal jemand die Trümmer wegräumen, damit wir weiter können?“, fragte jemand ungeduldig. Keine Toten, keine Spannung mehr, dachte Laura verschwommen und betastete ihren anschwellenden Knöchel, da fallen den Leuten ihre eigenen Dinge schnell wieder ein. Sie hörte es scheppern. Hoffentlich war ihr Fahrrad nicht völlig ruiniert! Man kam hier zwar recht gut ohne Auto aus – in der Carolinenstraße war ein Auto sogar eine regelrechte Belastung – aber ohne Fahrrad? Dazu war sogar Leisenberg zu groß.

      „Der Krankenwagen kommt“, hörte sie und versuchte, sich ihren fahrenden Ritter genauer anzusehen. Ganz nett, stellte sie fest. Nicht mehr ganz jung, mit schwindendem Haaransatz, aber schlank und der freundliche, nussbraune Typ, den sie insgeheim bevorzugte. „Und die Polizei auch, falls Sie mich anzeigen wollen."

      „Wofür?“, fragte Laura. „Weil Sie sich so nett um mich kümmern? Sie sind doch nicht schuld! Es hat keinen Stoß oder so etwas gegeben. Ich hatte eher das Gefühl, der Schlag kam von unten. Als wäre ich über einen riesigen Stein gefahren. Und dann saß ich auch schon unten.“

      „Ich fürchte, Ihr Fahrrad hat sich dabei etwas aufgelöst“, sagte er und wies neben sie, wo jemand die Einzelteile deponiert hatte. Bis darauf, dass das Hinterrad fehlte und das Vorderrad schon wieder platt war, sah es gar nicht mal so schlecht aus, fand sie. „Wo ist denn das Hinterrad?“, fragte sie. Verdammt, so was war teuer! Sie sahen sich beide um, und er entdeckte das Rad – es lehnte an einer Hauswand, ein gutes Stück entfernt.

      „Wie kann das denn passiert sein?“, wunderte sich Laura matt. „Das sieht ja aus, als -“

      Die Sirene des Krankenwagens unterbrach ihren Gedankengang. In den nächsten Minuten wurde der Knöchel als nicht gebrochen, aber böse verstaucht eingestuft, ihre tief aufgeschrammte Wade wurde gereinigt und verbunden, und ihr Steißbein nach einer flüchtigen Untersuchung auf der Straße als geprellt diagnostiziert und mit einem Eisbeutel versehen. Mittlerweile war auch die Polizei eingetroffen; ein Beamter nahm stirnrunzelnd die Einzelheiten des Unfalls auf, schüttelte verwirrt den Kopf, als beide behaupteten, es habe gar keinen Zusammenstoß gegeben, und inspizierte dann die Überreste des Fahrrads. Das schien ihn noch mehr in Verwirrung zu stürzen, und das letzte, was Laura sah, bevor die Türen des Krankenwagens hinter ihr zugeschlagen wurden und