Goner's Girl. Jules Lux. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jules Lux
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847642428
Скачать книгу
sagt, die Herren, die mit Zoten den Tag beginnen und ihr gerne den Arbeitsplatz - vor allem die gigantische Schlumpfsammlung auf dem Monitor - durcheinander bringen. Freunde findet Meike auch nicht. Sie meint, es läge am Beruf. Sie ist Junior Sales Managerin.

      „Beim Beruf kommt es immer zum Stocken. Ich sage, dass ich Konzepte erarbeite und so. Fertig. Der Typ findet dann einfach keinen Anknüpfungspunkt. Konzepte, fragt er nach. Ja, Konzepte, brülle ich ihn an und versuche eine schicke Definition dessen, was ich den ganzen Tag hinter meinem Schreibtisch tue. Schreibtisch? Ja, Schreibtisch. Businesspläne am Computer, wissen Sie? Businesspläne? Ja, Businesspläne. Das war’s dann. Finito. Oh, verdammte Scheiße. Was soll ich nur machen? Auch Mami kann es nicht verstehen. Weißt du, wie bitter das ist? Deine eigene Mutter denkt, dass du hinter einem Schreibtisch die Fingernägel polierst und die Zeit totschlägt. Dabei sitzt du elf Stunden und entwirfst Businesspläne. Businesspläne? Kindchen, wann bist du denn mit dem Studium fertig und startest ins Berufsleben? Ich bin im Berufsleben! Ja, ja, sicher, aber wann arbeitest du denn richtig? Für Mami bin ich praktisch arbeitslos.“

      Nach einer Dreiviertelstunde ist Meike fertig, gluckst einmal tapfer und legt auf. Meine Bad-News-Agency läuft prächtig. Vorige Woche hatte ich noch Meikes Freundin Katja am Apparat. Drei Stunden hat sie mir ihre Probleme erzählt. Ein Epos, das verfilmt werden sollte. Ich wollte ihr zur Kündigung raten, aber das würde Katja am Vormittag niemals akzeptieren. Katja am Abend findet ihr Leben selbstverständlich Scheiße, träumt vom starken Macker aus ihrer früheren Schule und sehnt sich nach der großen Liebe. Sie redet wie ein Teenager. Doch am nächsten Morgen ist aus Katja am Abend das Monster Katja am Vormittag geworden, das unbedingt viel Geld verdienen will und sich auf Konferenzen so konservativ gibt, dass man kotzen könnte.

      Ich gehe zum Fenster und sehe auf die Straße. Es regnet in Strömen. Schon seit Wochen regnet es. Das Wasser drückt auf die Stimmung. Wer nicht traurig vor sich hin starrt, kämpft mit großen Wasserflecken an der Decke oder plötzlichen Überschwemmungen im Keller. Wer heiß baden will, dem haut es zum Dank die Sicherung vom Durchlauferhitzer raus. Vor der Haustür geht das Drama weiter. Noch Stunden nach den Schauern fallen von den Bäumen dicke Tropfen. Kein Wunder, wenn die Menschen durchdrehen. Hat denn niemand dem lieben Gott erzählt, dass seine in aller Eile zusammengebastelten Geschöpfe Sonne brauchen? Sie brauchen Sonne, 20 Grad und etwas Wind. Doch es schifft wie aus Kübeln. Alle sitzen zu Hause, gepeinigt von Ängsten und Problemen. Die einen sitzen im Trainingsanzug auf ihren zehn Jahre alten Umzugskisten, die anderen kämpfen mit Schimmelsprays um das letzte Stück Würde beim Wohnen. Wie lange soll das noch so gehen? Bald werden die ersten verrückt werden. Die, die Arbeit haben, trösten sich mit ihren Kontoständen und dem TUI-Katalog. Aber was ist mit den anderen? Werden sie durchhalten können? Hat das Fernsehen genug Kraft, um ihre Wut im Zaum zu halten? Man müsste etwas ändern. Irgendwas. Ich denke an den vergangenen Montag im Supermarkt. Nachdem ich eine Buttermilch und einen linksdrehenden Joghurt einfach auf den Boden geklatscht hatte, stieg in mir der Hass hoch. Der Hass auf diese blöde, nur mit dem Einkaufen beschäftigte Gesellschaft. Zur Strafe packte ich die toten Milchprodukte zurück in das Kühlregal und machte mich nur mit einer Dose Cola unterm Arm auf den Weg nach Hause. Mit grimmiger Miene bestieg ich die U-Bahn und sah plötzlich klar. Es musste etwas passieren. Es fehlte jemand, der die anderen erlöste. Jetzt. Auf der Stelle.

      Ich mache zweimal fünfzehn Liegestütze und gehe zurück zum Fenster. Auf der Straße sehe ich einen alten Mann, der erschöpft stehen bleibt und nach Luft ringt. Seinen Jutebeutel hat er um einen Pfahl gewickelt. Er schnaubt und sieht dabei auf den Boden. Es ist doch unglaublich, wie sehr die Leute leiden müssen. Es kann einen ganz fertig machen. Was soll das alles? Als der völlig durchnässte Opa nach sechs Minuten weiter marschiert, wende ich mich ab und schlurfe zurück in die Tiefe der Wohnung. Ich gehe zum Kühlschrank und mixe mir einen Drink. Warum sollte man nicht feiern, dass der alte Mann weiterläuft. Ist das etwa kein Grund, sich einen zu genehmigen? Auf dich, alter Mann, denn du gehst auch ohne Aktentasche noch vor die Tür und trotzt allen Stürmen.

      Draußen wird es dunkel. Ich mache kein Licht, sondern bleibe auf meinem Stuhl sitzen, bis ich nichts mehr sehen kann. Ich streike. Weder die Stadtwerke noch der liebe Gott sollen Freude an meinem Stromverbrauch haben. Heute Nacht bleiben die Fenster dunkel. Von oben wird man ein Licht weniger sehen. Es wird nichts ausmachen, aber vielleicht schließen sich ja bald die ersten Leute zusammen, um Punkt acht ins Bett zu gehen und ihre Wohnungen dunkel zu lassen. Vielleicht wird der Schöpfer dann ins Grübeln kommen. Wo sind all die hübschen Lichtlein geblieben? Wo sind die lustigen Fernsehabende und nächtlichen Diskussionsrunden? Muss er jetzt alles neu arrangieren? Vielleicht lässt sich einer seiner Stellvertreter mal zu mir durchstellen und fragt nach dem Warum. Dann werde ich ihn aufklären. Schuld ist dieser verdammte Dienstag mit seinem abartigen Regen.

      D

       Gerade in einer ausschließlich an sichtbaren Leistungen orientierten Gesellschaft, in der Anonymität und Automatisierung zu einer wachsenden Entfremdung unter den Menschen führen, ist wenig Raum für Liebesgeschichten. (Cornelia Staudacher, Die unbestimmte Entfernung)

      Meeting am späten Vormittag. Die Kaffeekanne geht rund und die Sekretärin übt ihr widerlichstes Kollegengrinsen. Genau eine Sekunde lang bleckt sie die Zähne, um danach wieder wie ein Stein zu wirken. Man muss es ihr nachsehen. Die Tante ist längst tot. Erst im Sarg wird sie wieder lebendig aussehen. Grabitzky und Scholl kommen herein, zwei wichtige Entscheidungsträger.

      „Mahlzeit.“

      „Na, Steinhoff, ausgeschlafen?“

      Ich mache mir vor Lachen fast in die Hosen.

      „Nein. Ich dachte, dazu wurden wir einbestellt.“

      Arme Schweine. Wir setzen uns an den Tisch und schlürfen unseren Kaffee. Das Beste an diesen Gruppensitzungen ist, dass endlich einmal nicht das Telefon klingelt. Das Dideldi und Dideldo ist für eine halbe Stunde abgestellt. Schmidt muss meine Anrufe entgegennehmen. Noch gestern Mittag habe ich zwölf Händler für Büromaterial angeklingelt, um ihnen mitzuteilen, dass sie mich am nächsten Mittag unbedingt zurückrufen möchten.

      „Jaja. Morgen Mittag. Am besten zwischen elf Uhr und elf Uhr dreißig. Mein Name? Schmidt.“

      Am Besprechungstisch sitze ich so, dass ich durchs Fenster auf den Bürgersteig sehen kann. Dann beginnt das große Blabla.

      Toll. Interessant. Und wie ist das mit dem Budget? Ach so. Gut, das prüfen wir noch einmal. Der Kunde möchte aber. Der Kunde hat gesagt. Schön und gut, aber der Kunde. Der Kunde. Der Kunde. Der Kunde.

      Ich bohre in der Nase und bücke Fräulein Kirchner in den Ausschnitt. Gut, die Kirchner ist in Ordnung. Sie tut engagiert. Mit keinem an diesem Tisch würde sie etwas anfangen. Das ist das Phänomenale an Frauen. Sie erkennen Vollidioten auf tausend Meter. Bereits beim Einstellungsgespräch roch die Kirchner sicher die geballte Inkompetenz und sagte eine Woche später zu.

      „Hör mal Lisa, ich hab den Job. Was für Arschgeigen. Alle komplett verblödet. Der hübscheste Hintern ist der des Pizzaboten. Und der kommt nur in der Mittagspause für zwei oder drei Minuten. Den Rest kannst du getrost vergessen. Geschäftsmänner, kleine Angestellte, Hosenscheißer. Sie können nicht ihre Schlipse binden, ziehen sich dauernd ihre Hosen hoch und haben alle Davidoff Cool Water am Kragen. Die Krawatten, also, die hängen bei diesen Typen entweder im Schritt oder in der Magengegend. Die Dicksten tun so, als seien sie sportlich. Meier, der Oberpummel, quatscht den ganzen Tag vom Tennistrainig auf Mallorca. Wissen Sie, Frau Kirchner, ich nehme das sehr ernst. Bald ist wieder Saison-Auftakt. Saison-Auftakt. Jaja, dann geht es wieder los. Können Sie sich das vorstellen? Am Wochenende muss ich mich mal um meinen Balkon kümmern. Am Lustigsten sind die Mitteilungen in der Kaffeeküche. Dort geht im Moment der große Joghurtklau um.“

      Ich schließe die Augen und denke an die Kaffeeküche. Ein Ort der kreativen Einfalt.

      „Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bitte kein Geschirr in dieser Küche abstellen. Es gehört zurück in die Kantine.“

      „Kaffeesatz gehört nicht in die Spüle. Verstopfungsgefahr! Bitte nur in den Abfallsack entleeren.“