Der Grossvater und seine Enkelin. Dominique Lara Belleda. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dominique Lara Belleda
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783847679509
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und konnte ihre Andersartigkeit akzeptieren, doch er kam nicht umhin, zu bemerken, dass es für seine Tochter Alexandra eine enorme Belastung war.

      Lilly sah von ihrem Buch auf. Vor ihr erstreckte sich eine riesige Wasserfläche. Sie hatten den Bodensee erreicht.

      „Wir kommen an die Grenze“, erklärte der Großvater. Lilly nickte. Sie wusste, dass sich auf der anderen Seite des Sees ein anderes Land verbarg.

      Über dem See hing Nebel so dicht, dass man das andere Ufer nicht mehr sehen konnte. Lilly versuchte sich vorzustellen, dass hier das Meer anfing. Sie war noch nie am Meer gewesen. Aber sie hatte schon viele Bücher darüber gelesen.

      Der Zöllner hielt sie nur kurz auf, als sie an die Grenze kamen, dann konnten sie weiterfahren. Eine Weile noch betrachtete Lilly das neue Land vor sich. Als sie jedoch zugeben musste, dass sich nicht viel geändert hatte, wurde es bald langweilig und sie fing wieder an, zu lesen.

      Erst als Großvater den Bus an einer Raststätte anhielt, wurde sie aus der Geschichte gerissen. Fragend sah sie ihn an.

      „Möchtest du den Sonnenuntergang sehen?“

      Lilly nickte lebhaft und legte das Buch weg. Großvater stieg aus, kam um den Bus herum und half ihr, die Jacke anzuziehen. Dann nahm er sie bei der Hand und führte sie auf eine Brücke hinauf, von wo aus man auf die umliegenden Bauernhöfe, einen Fluss und natürlich den Sonnenuntergang sehen konnte.

      „Sieh nur, diese Farben! So eine Schönheit kann nur die Natur hervorbringen.“ Lilly sah auf das Schauspiel. Das Blau des Himmels bildete eine ebenmäßige Leinwand, Wolken zeichneten Landschaften darauf und die Sonne malte diese mit rosa Farbe an. Ganz konzentriert sah Lilly sich das Bild an und verankerte es in ihrem Gedächtnis. Sie nahm die Stimmung in sich auf, zusammen mit dem kribbelnden Gefühl von Abenteuer in ihrem Bauch und schloss sie in ihre Seele ein, um sie nie wieder zu vergessen.

      Sie gingen erst zum Bus zurück, als auch noch die letzte Farbe vom Himmel verschwunden war, und schon der erste Stern am Himmel blinkte. Im Bus stellte Großvater die Lehne ihres Sitzes nach hinten, damit sie besser schlafen konnte, holte eine Decke und ein Kissen aus dem Kofferraum und bereitete Lilly ein Bett. Er half ihr einzusteigen und schnallte sie an.

      „Schlaf gut.“ Dann ging er um den Bus herum und setzte sich wieder hinters Steuer. Lilly schloss die Augen, zog sich die Decke bis an die Nase, drückte Leo an sich und ließ sich vom gleichmäßigen Brummen des alten Busses in den Schlaf singen.

      Unter den Linden

      „Wir sind da, Lilly. Aufwachen.“

      Mit vom Schlaf verklebten Augen richtete sich Lilly auf. Der Rücken tat ihr weh vom Liegen auf dem Sitz des Busses. Sie rieb sich die Augen und blickte sich um.

      Sie waren mitten in einer riesigen Stadt. Massen von Menschen waren auf den Straßen unterwegs: Menschen allen Alters und Aussehens. Autoschlangen quälten sich die Straßen entlang und beim Überholen sah Lilly oftmals gehetzte Gesichter hinter dem Steuer des einen oder anderen Autos. Sie blickte zu Großvater. Er wirkte nicht aufgebracht, es spielte sogar schon wieder ein Lächeln um seine Lippen, während er den Bus langsam die Straße entlang fuhr. Noch nie hatte sie ihren Großvater aufgebracht oder wütend gesehen. Sogar um die Großmutter herum war er immer die Ruhe selbst gewesen. Und genau so saß er nun hinter dem Steuer des Busses. Lilly konnte einen leisen Anflug von Stolz nicht unterdrücken. Das war er. Ihr Großvater. Und gemeinsam waren sie in ihrem roten VW-Bus zu einem Abenteuer aufgebrochen.

      Lilly blickte wieder auf die Stadt hinaus. In den abzweigenden Straßen konnte sie alle möglichen Läden sehen: Buchhandlungen, Bäckereien, Kleidergeschäfte.

      „Lilly, sieh mal. Da ist das Brandenburger Tor“, rief Großvater auf einmal aufgeregt. Lilly wandte den Kopf und folgte Großvaters ausgestrecktem Arm.

      Vor ihnen erhob sich ein riesiges Tor. Es bestand aus fünf Bögen und darauf thronte ein Wagen aus Bronze, gezogen von vier riesigen Pferden. Auf dem Wagen stand eine Gestalt mit einem Stab in der Hand, auf dem wiederum ein Adler mit ausgestreckten Flügeln saß.

      Großvater hielt den Bus vor einem vornehmen Hotel an. Die Pagen, die vor dem Eingang standen staunten nicht schlecht, als sie den roten Bus sahen. Einer von ihnen kam schließlich näher.

      „Was kann ich für sie tun?“, wollte er höflich wissen. Neugierig sah Lilly den Mann an. Er trug eine rote Uniform und sah sehr elegant aus. Gespannt wartete sie auf Großvaters Antwort.

      „Wenn sie bitte den Bus in die Garage fahren würden. Und dann wären da noch etwa drei Taschen im Kofferraum, die man hinein tragen sollte. Wissen sie, ich bin schon ein bisschen älter und - “

      „Haben sie vor, hier zu nächtigen?“, fragte der Mann erstaunt.

      „Aber natürlich.“ Damit stieg Großvater aus und übergab den Schlüssel des Busses dem ziemlich verdutzten Pagen. Großvater kam um den Bus herum gelaufen und half Lilly beim Aussteigen. Inzwischen hatte der Page sich wieder gefasst und zwei weitere zur Unterstützung gerufen. Gemeinsam schleppten die beiden die drei Taschen, die Großvater ihnen zeigte, und nach kurzem Zögern stieg der erste Page in den Bus und fuhr davon. Lilly sah dem roten Bus nach. Ihm durfte nichts passieren. Er war ihr Abenteuer. Aufmunternd klopfte Großvater ihr auf den Rücken, als er ihren besorgten Blick bemerkte und Lilly beruhigte sich wieder.

      Die beiden Pagen mit den Taschen waren bereits einige Schritte voraus und Lilly und Großvater folgten ihnen ins Innere des Hotels. Hinter der großen Tür standen weitere Pagen, die sie freundlich anlächelten.

      „Willkommen im Adlon“, begrüßte sie der eine. Lilly sah, wie Großvater dem Mann kurz zunickte und machte es ihm nach.

      Die Frau an der Rezeption wirkte ähnlich erstaunt wie der Page, doch sie fasste sich schnell wieder und gab ihnen den Schlüssel für ihr Zimmer. Lilly und Großvater folgten den Pagen, die ihnen den Weg zeigten und endlich standen sie vor ihrem Zimmer.

      Schnell griff sich Großvater die rote Tasche und verstaute sie im Schrank.

      Lilly nahm ebenfalls ihre Tasche entgegen und stellte sie neben das große Bett. Großvater legte sich hin.

      Die nächsten vier Stunden verbrachte Lilly lesend am großen Fenster. Ab und zu hob sie den Blick und sah auf die Straße hinunter, wo eine endlose Masse von Menschen hin und her wogte. Sie beobachtete das bunte Treiben der Straßenmusikanten, die Arbeiter auf der Baustelle vor dem Hotel und die Obdachlosen, die auf dem Platz vor dem Brandenburger Tor um Spenden bettelten.

      Als Großvater fertig ausgeschlafen hatte, winkte er Lilly, zum Schrank zu kommen, in dem er die rote Tasche versorgt hatte. Neugierig trat Lilly zu ihm und wartete. Mit einer großen Geste öffnete Großvater die Tasche und zog ein schwarzes Etui hervor. Nach kurzem Zögern hielt er Lilly das Etui hin. Diese nahm es vorsichtig entgegen und öffnete es. Zum Vorschein kam ein Fotoapparat. Einer von denen, bei dem das Foto gleich vorne raus kam.

      „Das ist für die Farben, die wir sammeln werden“, meinte Großvater. Und dann machten sich die beiden auf den Weg, hinunter in den Lärm der Großstadt.

      Hand in Hand gingen die beiden die breite Straße entlang. Neugierig sah Lilly sich um und besah sich die Namen der Geschäfte links und rechts. Madame Tussauds, las sie an einer roten Hauswand, unter der eine lange Schlange von Touristen darauf wartete, eingelassen zu werden. Sie suchte nach einem Straßenschild. Unter den Linden, las sie schließlich an einer weißen Hauswand.

      Nach einer Weile erreichten sie eine Brücke. Lilly blieb stehen und sah auf das Wasser hinunter, auf dem alle Arten von Schiffen zu sehen waren. Als sie den Blick wieder hob, fiel ihr ein riesiges Gebäude ins Auge, das auf der anderen Seite der Brücke stand. Es war mit Statuen verziert, gekrönt von drei türkisfarbenen Kuppeln und die Wände sahen aus, als wären sie geschwärzt. Es musste eine Kirche oder so etwas sein, denn auf der höchsten der Kuppeln war ein Kreuz befestigt. Großvater hatte ihren Blick gesehen.

      „Das ist der Dom.“ Lilly nickte. Sie gingen weiter. Auf der