Ehrenfried & Cohn. Uwe Westphal. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Uwe Westphal
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737574853
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Sie kostete damals 5.000 Reichsmark. Als der Mann noch eine zweite Tasse bestellt und ausgetrunken hatte, bekam er eine Rechnung über 14.000 Reichsmark. Das Personal erklärte dem entgeisterten Gast: Während er den ersten Kaffee getrunken habe, sei der zweite eben schon wieder teurer geworden. Wer ins Ausland exportierte, für den mussten die Wechselkurse damals jeden Tag neu geschrieben werden. Feste Preise gab es überhaupt nicht mehr – das denkbar miserabelste Klima für alle Firmen, die ihre Produkte exportierten.

      Erst mit dem energischen Auftreten von Hjalmar Greeley Schacht änderte sich alles zum Guten. Ehrenfried nannte Schacht immer „Greeley“ und niemals „Hjalmar“, aus voller Absicht und mit fast angelsächsischer Bewunderung. Die steile Abschussfahrt der deutschen Währung fand ein Ende. Die Finanzgrundlagen ordneten sich endlich wieder. Ehrenfried blickte auf Schacht mit Wohlwollen und Bewunderung: Ein erfahrener Banker mit Verstand und internationalen Kontakten, außerdem sprach er fließend Englisch und Französisch – kurz: Greeley hob sich aufs Angenehmste von den lärmenden NS-Propagandisten und einiger noch grobschlächtigerer Nazis ab. Außerdem war der Minister, und davon verstand Ehrenfried mehr als von Politik, stets vorzüglich gekleidet. Im Gegensatz zu Hitler und dessen anderen Ministern trug Schacht eher schlanke einreihige Anzüge, angefertigt von Londoner Schneidern. Oft und lange sah sich Ehrenfried die Pressefotos der offiziellen Empfänge mit Greeley an. Er bemerkte sofort die englische Qualitätsarbeit: an der klaren Linienführung der Kragen und daran, wie genau die eingesetzten Brusttaschen im Jackett bei den meist gestreiften Stoffen passten. Greeley hatte internationales Flair und sah manchmal sogar fast wie ein amerikanischer Politiker aus dem Senat aus. Nur zu gern hätte Ehrenfried die Gattin des Ministers, Manci Schacht, einmal ausgestattet. Aber die trug edelste Couture aus Paris, die trug keine Berliner Konfektion. Nahezu alle Konfektionäre hatten in den vergangenen Jahren schon einmal versucht, Frau Ministerin Schacht zu ihren Modenschauen einzuladen. Immer vergeblich. Wer es wenigstens einmal schaffte, zum Beispiel die Tochter eines Ministers für eine Präsentation zu gewinnen, der sorgte dafür, dass spätestens zwei Tage nach der Schau Fotos davon in den Zeitungen zu sehen waren. Das war blendend fürs Geschäft, für den Ruf— und es brachte manchmal Regierungskontakte ein, die die Händler natürlich nutzen wollten. Denn seit 1928 waren die Exporte von Textilien um mehr als zwei Drittel gefallen.

      Geordnete Wirtschaftsverhältnisse. Die waren für Ehrenfried von enormer Bedeutung. In Deutschland und in seiner Firma. Mehr Umsatz, mehr Export! Die Geschäftspartnerschaft zwischen ihm und dem Konfektionär Simon Cohn versprach noch sehr viel. Cohn war der Mann, der in allen kreativen Stilen der Modebranche bewandert war. Gerade waren wieder einmal die Exportzahlen für Fertigkleidung aus dem Hause Ehrenfried & Cohn erfreulich gestiegen.

      Schachts Wirtschaftsimpulse förderten eben nicht nur die Schwerindustrie, sondern auch die Konfektion. „Du und Dein Greeley“, so nahmen ihn manche seiner Kollegen ob seiner Bewunderung mitunter auf die Schippe. Die Schachts, so dachte sich Ehrenfried dann bisweilen, die bewiesen, dass es auch eine NSDAP der Marke „Noblesse oblige“ geben kann. Allerdings gab es da ein leichtes Unbehagen: Etlichen Artikeln aus der „Frankfurter Zeitung“ konnte Ehrenfried entnehmen, dass sein Greeley von der völligen Überlegenheit der christlichen Kultur und Weltordnung überzeugt war. Solche Ausrutscher, wie Ehrenfried sie nannte, waren ihm nicht völlig einerlei, aber er fühlte sich davon nicht gleich bedroht. Außerdem war es seit dem April 1933 in Deutschland fast normal, dass die Juden für die Inflation, für den verlorenen Krieg, schlechtes Wetter, Zugverspätungen, kurz: das gesamte Elend dieser Welt verantwortlich gemacht wurden. „Eine Zeiterscheinung, die wird vorbeigehen“, sagte er einmal in einem freilich etwas besorgten Ton.

      Jetzt, im Reimann, hatte Ehrenfried auch einige Post aus dem Ausland vor sich liegen. Seine Sekretärin, die er, aber nur in ihrer Abwesenheit, „die dralle Perschke“ nannte, hatte sie ihm zurechtgelegt. Simon Cohn, der aus seiner Homosexualität kein Geheimnis machte, witzelte ständig über die so rechtschaffene Erika Perschke. Sie war ein Fels in der Brandung bei Ehrenfried & Cohn. Wenn es hoch herging im Geschäft, vor allem in der Sturm und Drang - Periode von Januar bis Februar und von August bis September, da blieb die dralle Perschke nicht selten 18 Stunden am Tag im Büro.

      Vor sich sah Ehrenfried Korrespondenzen aus Australien, Brasilien, den USA und Kanada, England und Holland. Fast alle enthielten Bestellungen aus den Kollektionen der vergangenen beiden Modenschauen, die er und Cohn in der Mohrenstraße präsentiert hatten. Bestellungen aus Übersee trafen oft mit sechs bis zwölf Monaten Verspätung nach den ursprünglichen Modenschauen ein. Das war einfach so. Die meisten Konfektionsbetriebe nahmen diese Nachzügler zum Anlass, jene Bekleidungsstücke, die in Europa und vor allem in Berlin beim besten Willen nicht mehr verkauft werden konnten, an die Vertreter im Ausland dann doch noch abzusetzen. Was wussten die Käufer im 12.000 Kilometer entfernten Buenos Aires schon von den Mänteln und Kostümen, die seit einem Jahr auf den Kleiderständern der Berliner Lager hingen?

      Kaum hatte sich Ehrenfried die Bestellungen aus Übersee angeschaut, wurde er von Max Graumann angesprochen. Ehrenfried und Graumann kannten sich seit gut acht Jahren. Er leitete die gleichnamige und eben auch konkurrierende Mantelfirma in der Taubenstraße. Ehrenfried hatte Graumann noch nie leiden können. Zum einen, weil Graumann unsäglich unmodische Mäntel herstellen ließ. Zum anderen, weil seine Verkaufszahlen viel höher lagen als die Ehrenfrieds. Jedoch: Man kennt sich, und man gehört zum gleichen Verein. Wenn Ehrenfried vom „Verein“ redete, dann meinte er damit die Jüdische Gemeinde zu Berlin. Max Graumann war dort sogar Schatzmeister. Ehrenfried hingegen zahlte seinen jährlichen Obolus mehr oder minder freiwillig; die Synagoge in der Oranienburger Straße kannte er besser von außen als von innen.

      Heute war Max anders als sonst, vertraulicher, nicht von oben herab den großen Geschäftsmann spielend, dennoch bestimmt.

      Er zog Ehrenfried ein wenig beiseite und deutete mit dem Finger auf eine kleine Meldung in der „Berliner Zeitung“. Ehrenfried las nur die beiden Titelzeilen und wusste, was gemeint war.

      „Deutsche Mode“, so stand dort, „ist auf dem Weg nach vorn.“ Und darunter: „Artgemäße deutsche Kleidungskultur ist nicht mehr auf jüdische Produzenten angewiesen.“

      Ehrenfried kannte solche Zeitungsmeldungen. Seit 1933 waren sie in ähnlicher Form immer wieder aufgetaucht. Graumann sah nun besorgt aus. So besorgt, wie ihn Ehrenfried nur zu Zeiten der Trennung von dessen erster Frau einige Jahre zuvor erlebt hatte. Die hatte das Weite gesucht, nachdem sie herausgefunden hatte, dass ihr Mann Max seit längerem gleich mehrere Affären gepflegt hatte. Max konnte der Versuchung einfach nicht widerstehen, seine sehr jungen und hübschen Modelle für die eigenen Modenschauen nicht nur an-, sondern nach dem Dienst und schließlich sogar im Büro, auch auszuziehen. Als er schließlich begann, das eine oder andere Modell mit auf die zweimal jährlich in Paris stattfindenden Modenschauen zu nehmen, da blieb auch Max‘ Frau nicht länger verborgen, worüber das halbe Café Reimann längst Witze riss. Solche Gerüchte, solche Nachrichten ließen sich auf dem Bazar nie ganz verheimlichen. Die Konfektionschefs und die Modeschöpfer kannten sich schließlich bestens. Und der Hausvogteiplatz war für die Modelle, die meist frisch aus den Kunsthochschulen kamen, gerade ihr Studium abgeschlossen hatten und nach Gelegenheitsjobs suchten, eine Art inoffizieller Arbeits- und Kontaktmarkt. Viele junge Modelle starteten hier ihre Karriere, manche beendeten sie bereits nach dem ersten Probelauf.

      Graumann fuchtelte nun mit der Zeitungsseite direkt vor Ehrenfrieds Nase herum. „Was soll‘s!“, wehrte Ehrenfried ihn ab.

      „Die können doch gar nicht ohne uns. Wir wissen, wie man den Markt bedient, wir wissen, wo die besten exportfähigen Modellideen für unsere Klamotten herkommen.“ Um vor Graumann noch besser informiert dazustehen, warf er die neuesten Exportquoten ein.

      „Der deutsche Textilexport lag vor einem Jahr bei knapp 52 Milliarden Reichsmark. Das ist verheerend, schlicht und einfach. Aber wir, wir kennen doch die Abnehmer, die richtigen Banken für Kredite, die Zulieferer. Wir zahlen hohe Steuern, und das alles nicht erst seit gestern.“

      Er drehte den Kopf weg und beschäftigte sich wieder mit seiner Post. So ganz wohl war ihm nicht bei der Art und Weise, wie er Graumann angegangen war. Aber dieses ewige Gejammer über die Nazis und wie schrecklich möglicherweise alles noch werden würde – das konnte er nicht mehr hören. Außerdem hatten er