„Welche Halsabschneider?“, fragte Schmidt.
„Egal.“ Ahner zitterte und schwankte. Erst dachte ich, er sei noch betrunkener als seine Frau bei ihren Besuchen, aber dann erinnerte ich mich daran, dass er an Parkinson litt. Ich wollte ihn stützen, aber Schmidt kam mir zuvor.
„Ich bringe Sie nach Hause“, sagte er.
„Ja, tun Sie das.“ Ahner klammerte sich an Schmidts Oberarm fest. „Ist doch besser, wenn die Polizei sich um alles kümmert. Sie finden den Mistkerl, der meine Gisela auf dem Gewissen hat. Und dann hängen Sie ihn auf, zusammen mit denen da.“
„Wir werden den Täter finden“, versprach Schmidt. „Kümmern Sie sich nicht um diese Amateure.“
Ich öffnete den beiden die Tür und sah ihnen nach.
Czordan rief mich zu sich. „Sig, wir müssen aktiv werden!“
„Ärgern Sie sich nicht über das Wort Amateur. Da stehen Sie doch drüber.“
„Amateur? Pah! Schmidt weiß, wer ich bin und was ich kann. Nein, es geht um den Ruf der Detektei. Wenn sich herumspricht, dass unsere Klientin umgebracht wurde, sind wir erledigt.“
Ich überlegte, ob ich ihn fragen sollte, warum er wieder von ‚wir‘ sprach, entschied aber aufgrund seines grimmigen Gesichtsausdrucks, dass es der falsche Zeitpunkt für eine Grundsatzdiskussion war.
„Wir müssen den Täter vor der Polizei ausfindig machen. Schalte in allen Berliner Tageszeitungen eine Anzeige. Beschreibe den Geländewagen so, wie Frau Ahner es getan hat, und behaupte, du wärst an einem möglichen Lackschaden Schuld und möchtest dich mit dem Besitzer gütlich einigen.“
„Ich?“
„Wer sonst? Soll etwa mein Name veröffentlicht werden, damit jeder weiß, dass eine Detektei dahinter steckt? Gib eine der Reservenummern hier im Büro an und lass sie von Gregoria auf deinen Apparat und dein Handy schalten. Gute Nacht!“
Meine Erwartung, schon am folgenden Tag von einem Erfolg der Polizei zu hören, wurde enttäuscht. Eigentlich sollte sich der auffällige Geländewagen schnell finden lassen. Auch das Aufspüren von Zeugen aus dem Rotlichtmilieu gehörte zur alltäglichen Arbeit der Polizei. Doch das Telefon klingelte den ganzen Tag nicht. So blieb mir genügend Zeit, auf Czordans Marotten einzugehen.
Als ich morgens ins Büro kam, war er bereits da und tat sehr geschäftig. Er hatte Papiere vor sich liegen, starrte den Monitor an und telefonierte dabei mit Ron. Dass es Ron sein musste, entnahm ich Czordans Aussprache. Er redete dann immer besonders deutlich, weil er meinte, Ron sei nicht der Schnellste, wenn es um das Verstehen von Anweisungen ging. Allerdings kam ich zu spät, um mitzubekommen, was genau Ron tun sollte.
Da ich auf die Minute pünktlich war, bezog ich Czordans grimmige Miene nicht auf mich, als er auflegte. Ron musste ihn geärgert haben. Trotzdem war sein Tonfall scharf, als er fragte: „Wo sind die Ordner mit den Immobilien?“
„Stehen hinter Ihnen im obersten Regal.“
Er stand auf und sah nach oben. Für jedes der drei Häuser, die ihm gehörten, gab es einen breiten Ordner, auf dessen Rücken der Name der Stadt prangte, in der das Haus stand: Berlin, Hamburg, Stuttgart.
„Wo ist der Ordner Düsseldorf?“
„Gibt es nicht.“
„Leg einen an.“
„Sie haben noch ein Haus gekauft?“
„Vor einer Woche.“
Ich war beeindruckt. Zwar lief der ganze Bürokram, den die Immobilien verursachten, über Hausverwaltungen, aber deren Berichte kontrollierte ich und heftete sie in den Ordnern ab. Deshalb wusste ich über alles Bescheid. Immobilien konnten eine gute Geldanlage sein, zugegeben. Czordans Kaufkriterien blieben jedoch rätselhaft: Seine drei bisherigen Häuser waren große Wohnblöcke in schlechter Lage, Wertentwicklung und Mietgefüge deuteten eher nach unten. Nur als langfristige Anlage war eine solche Investition sinnvoll, hatte mir ein Bekannter aus der Immobilienbranche erklärt. Für einen Siebzigjährigen, der meines Wissens keine Nachkommen hatte, für die er sorgen musste, waren die Ausgaben für solche Häuser eigentlich unsinnig.
Mit Czordans Geld - er musste weitaus mehr davon haben, als er zugab - hätte ich mir eine Villa im Grünen als Alterssitz gekauft und mich vom Rest auf lange Reisen begeben. Da ich nur halb so alt war wie er, musste ich mir jedoch eingestehen, dass ich nicht beurteilen konnte, was wirklich in einem vorgeht, wenn man auf kaum mehr als zehn Jahre weitere Lebenszeit hoffen kann.
Er funkelte mich an, als könne er Gedanken lesen, wechselte aber das Thema: „Der Fall mit den Chinesen ist noch nicht ausgestanden. Ron hat von mir neue Instruktionen erhalten.“
„Was wollen Sie? Ein unterschriebenes Geständnis des chinesischen Staatschefs?“
„Ich habe mir heute Morgen noch einmal durchgelesen, welche Informationen gestohlen wurden. Das geht über das hinaus, was Tischgespräch in einer Kantine sein kann. Strategische Planungen, Führungsentscheidungen über die künftige Richtung der Forschung. Da muss es noch andere undichte Stellen geben. Ron wird eine weitere Möglichkeit prüfen.“
„Welche?“
„Die naheliegendste.“
Ich wandte mich dem Aktenschrank zu, in dem noch viel Platz war. „Soll ich noch mehr Ordner anlegen oder sind Ihre Immobilienkäufe fürs Erste abgeschlossen?“
Die Frage war als Scherz gemeint, doch seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen dachte er ernsthaft darüber nach, bevor er antwortete: „Nein, im Moment nicht. Die Umbauten und Renovierungsarbeiten sind noch nicht überall abgeschlossen. In Düsseldorf beginnt gerade die Planung. Willst du immer noch nicht hier im Haus einziehen?“
„Danke, nein. Ich behalte meine Wohnung in Wilmersdorf. Man soll Arbeit und Privates nicht vermengen.“
„Gute Detektive haben kein Privatleben!“
Ich bedachte ihn mit einem ironischen Blick, den er sehr gut verstand. Er presste die Lippen zusammen, stand auf und stapfte durch die Hintertür davon.
Kapitel 4
Ich gehöre nicht zu den Menschen, für die der Freitag nur ein schlaffes Abgleiten in Richtung Wochenende ist. Deshalb war ich auch nicht auf dem Sprung nach Hause, als Kommissar Schmidt am folgenden Nachmittag unangemeldet vor der Tür stand. Ich begrüßte ihn und rief den Alten oben in seiner Wohnung an.
Der Grund für Schmidts Besuch war leicht zu erraten. Da es für die Donnerstagsausgaben zu spät gewesen war, hatten die Zeitungen unsere Kleinanzeige wegen des Geländewagens erst an diesem Morgen veröffentlicht. Czordan war um kurz nach zehn erschienen, hatte seinen täglichen Packen Zeitungen durchgeblättert und etwas Zustimmendes gegrunzt, bevor er wieder nach oben entschwand.
Um Schmidt nicht denselben Gag wie beim ersten Besuch zu ermöglichen, nahm ich schnell wieder meinen Schreibtischstuhl in Besitz. Schmidt musste sich mit einem Besucherstuhl begnügen. Dort saß er zehn Minuten mit missmutigem Gesicht. Er war nicht zu Small Talk aufgelegt und ignorierte meine Bemerkungen über das Wetter und das letzte Spiel von Hertha BSC.
Schließlich kam Czordan. „Sie haben Neuigkeiten?“, fragte er und blieb neben seinem Schreibtisch stehen.
„Was soll die Annonce?“, blaffte Schmidt. „Solche Einmischungen lasse ich mir nicht bieten.“
Czordan sah Schmidt von oben herab an, bevor er sich an mich wandte: „Hat sich die Hausverwaltung in Düsseldorf schon gemeldet?“
„Bisher nicht. Übrigens, Gregoria kommt eventuell am Montag wegen der Computeranlage. Irgendein Upgrade, das sie Ihnen empfehlen will. Teuer, aber notwendig, wie immer.“
„Die Maschinen kosten mehr,