Rette sich, wer kann!. Ekkehard Wolf. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ekkehard Wolf
Издательство: Bookwire
Серия: Europakrimi "Schattenmann"
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738080049
Скачать книгу
dahinter steckt und welche Rolle du in dem gesamten Spielchen spielst.“

      Er unterbrach sich selbst, um der offiziellen Übersetzerin Gelegenheit zu geben, seine Worte ins Estnische zu übertragen. Als dies geschehen war, fügte er mit einem aufgesetzten breiten Grinsen hinzu:

      „Wie wir beide wissen, ist die kleine Geschichte, die ich gerade zum Besten gegeben habe, ebenso frei erfunden, wie dein Märchen von unserer Begegnung vor zwei Wochen. Nicht erfunden ist dagegen das nette kleine „Beweisphoto“, das du uns hier unter die Nase gerieben hast. Und ich möchte jetzt endlich wissen, wie das zustande gekommen ist.“

      Das nervöse Flackern in den Augen seiner Gegenspielerin zeigte dem Beamten, dass die junge Frau mit dieser Wendung nicht gerechnet zu haben schien.

      Während seine Worte erneut übersetzt wurden, machte sich Rogge klar, dass die Existenz des Photos eigentlich nur bedeuten konnte, dass der jungen Frau oder zumindest ihren Hinterleuten bereits vor seiner Ankunft hier bekannt gewesen sein musste, dass ihm dieser Fall übertragen war. Da über seine Ankunft zuvor lediglich die estnischen Kollegen informiert worden waren, konnte das nach Lage der Dinge ausgeschlossen werden, sofern nicht eine undichte Stelle genau hier im hiesigen Polizeiapparat existierte. Wahrscheinlicher aber war, dass das Photo nach seiner Ankunft aufgenommen, in der kurzen Zeit bis zum Beginn der Vernehmung zusammengestellt und der jungen Frau mit den dazugehörigen Instruktionen zugesteckt worden sein musste. Aber welchen Sinn machte eine solche direkte Intrige gegen ihn?

      War es denkbar, dass so versucht wurde die Bereitschaft der estnischen Kollegen zur Kooperation mit ihm zu blockieren?

      Da sich die Frau zu dieser Zeit ja bereits in U-Haft befand, bedeutete das in jedem Fall aber zugleich auch, dass irgendjemand von Einfluss im estnischen Apparat an der Sache beteiligt gewesen sein musste. Da war er sich jetzt völlig sicher. Doch welches Interesse konnten die Esten daran haben, ausgerechnet ihn hier mit einem solch absurden Verdacht zu konfrontieren?

      Oder war es denkbar, dass das nicht auf die Initiative der Esten zurück ging, sondern ganz simpel eine Aktion von seinen eigenen Leute war, um ihn zu kompromittieren und damit los zu werden?

      Hatte die junge Estin die Geschichte nicht erst erzählt, nachdem sie mit der Profilerin vor die Tür gegangen war? Und war es nicht seine liebe Kollegin gewesen, die rein zufällig eine zu der Speicherkarte passende Digitalkamera bereit gehalten hatte?

      Irritiert wandte sich der Oberrat seiner Kollegin zu.

      Falls seine Vermutung zutreffend sein sollte, gelang es ihr jetzt ausgezeichnet, sich zu verstellen. Erneut sah sie ihn mit demselben erstaunt, fragenden Blick an, den sie ihm bereits zugeworfen hatte, als er ihren „Hinweis“ nicht beachtet hatte. Doch lag darin keine Spur von Unsicherheit.

      Während alle gespannt auf die Antwort der jungen Estin warteten, musste sich Rogge eingestehen, dass die Idee vom Heckenschützen aus den eigenen Reihen eigentlich keinen rechten Sinn ergab. Wenn man ihn los werden wollte, so gab es andere Möglichkeiten oder ging es vielleicht um etwas ganz anderes?

      Noch bevor er sich dazu entschließen konnte, einer der Möglichkeiten den Vorrang einzuräumen, ließ sich erneut die Estin vernehmen.

      „Ich weiß nicht, was Sie von mir wollen!“ Die angebliche Studentin hatte sich offenkundig dazu entschlossen, bei ihrer bisherigen Linie zu bleiben.

      „Sie haben mir das Material gegeben,“ wiederholte sie mit zwar weinerlicher Stimme, dafür aber mit Nachdruck: „Warum behaupten Sie jetzt das stimmt nicht?“

      Abermals war die junge Frau in die Rolle des hilfsbedürftigen kleinen Unschuldslamms geschlüpft.

      Auf estnisch wandte sie sich sogleich an ihre Landsleute und bat diese um Hilfe.

      Deren Blicke richteten sich fragend auf den Ranghöchsten.

      Sergej Woronin zögerte. Er schien unschlüssig.

      Rogge versuchte sich in dessen Lage zu versetzen. Ihm war sicher bewusst, dass allen Beteiligten klar war, hier stand Aussage gegen Aussage. Grundsätzlich, so dürfte er sich gerade klar machen, waren seine Kollegen aus Estland natürlich geneigt, ihrem Kollegen aus Deutschland Glauben zu schenken. Zu abenteuerlich klang schließlich das, was die junge Dolmetscherin da erzählt hatte. Andererseits hatte auch die Geschichte des Deutschen und der nachfolgende Rückzieher zu erheblichen Irritationen geführt. Die Polizisten dürften Mühe haben, das Erlebte unter der Rubrik unterschiedlicher Verhörpraktiken abzuheften. Eine uneingeschränkte Unterstützung der Variante des fremden Polizisten konnte ihm als gebürtigem Russen leicht als unestnische Haltung ausgelegt werden.

      Die Übernahme der Version der jungen Frau umgekehrt barg die Gefahr eines sehr unschönen Eklats in sich. Dessen Ausbleiben wiederum würde geradezu einem Warnsignal an diejenigen gleichkommen, die das ganze Theater inszeniert hatten.

      Immerhin war da schließlich das Photo.

      Dessen Existenz ließ die Version der Studentin jedenfalls nicht unwahrscheinlicher werden.

      Da sie die Übersetzung und Verbreitung des Materials zudem nie in Abrede gestellt hatte, würde sie ohnehin in Haft bleiben und damit für weitere Befragungen zur Verfügung stehen.

      An diesem Punkt angelangt, war Rogge aufrichtig gespannt auf die folgende Reaktion des Polizeioffiziers.

      Während der für einen Moment unschlüssig zu sein schien, klingelte das Telephon vor ihm.

      Der Este hob ab, meldete sich mürrisch, horchte dann, während er den Ausführungen des Anrufers aufmerksam lauschte, interessiert auf, stutzte sichtlich, blickte dann mit nachdenklichem Blick in die Runde und teilte dem Anrufer mit wenigen Worten etwas mit, was die Deutschen nicht verstanden und was ihnen auch nicht übersetzt wurde.

      Der Polizeioffizier war sich indes sicher, mit seiner nachfolgenden Entscheidung auf die Zustimmung seiner Kollegen zählen zu können und damit auf der sicheren Seite zu sein.

      „Ich schlage vor, dass wir das Verhör für heute beenden.“ Sein Tonfall verriet, dass ihm nicht der Sinn danach stand, diesen Vorschlag diskutieren zu lassen und Rogge war nicht unglücklich darüber.

      Im umgekehrten Fall hätte er vermutlich ebenfalls versucht, die Angelegenheit ohne allzu große Peinlichkeiten aus der Welt zu schaffen. Angesichts des von der jungen Frau erhobenen Vorwurfs und des Photos war seine weitere Beteiligung an den Befragungen ohnehin ausgeschlossen.

      Aus dem erleichterten Aufatmen seiner Kollegen entnahm der Oberrat, dass nicht nur er das begriffen hatte.

      Eine ganz andere Sache war die Frage, wie es weitergehen würde, wenn sie alle den Raum verlassen haben würden.

      Sergej Woronin griff erneut zum Telephonhörer, erteilte dem Angerufenen eine kurze Weisung auf estnisch, wiederholte diese Anordnung nach einem kurzen Moment etwas unwirsch aber mit Nachdruck. Anschließend erhob er sich und bat die Anwesenden aus dem Raum, während die junge Frau abgeführt wurde.

      Während die estnischen Teilnehmer an der Vernehmung in ihre Büros verschwanden, begleiteten Woronin und die offizielle Dolmetscherin die Gäste aus Deutschland hinauf in das Dienstzimmer des Polizeioffiziers, wo sie bereits erwartet wurden.

      Kapitel 5

      „Herr Rogge, das ist Hendrik Ansib.“ Die Polizisten hatten den Weg auf dem Korridor schweigend zurück gelegt. Rogge hatte erwartet, dass sein estnischer Kollege nun irgendeine Einlassung zu dem kleinen Disput von eben folgen lassen würde und war insofern überrascht zu erleben, mit welcher Professionalität der Oberstleutnant die Situation entschärfte.

      „Es tut mir leid, dass Sie sich diesen Unsinn haben gefallen lassen müssen,“ wischte er das Thema auf deutsch kurzerhand vom Tisch und kam dann sofort zur Sache.

      „Herr Ansib ist – wie sagt man – Experte für Sprengstoff und hat eine Neuigkeit, die für uns alle von großem Interesse sein dürfte. Bitte nehmen Sie Platz!“

      Ohne Umschweife berichtete